Sie sind hier

Abo

Gesellschaft

Mütter können Prioritäten setzen

René Mägli, CEO der Basler Niederlassung der Grossreederei MSC, stellt am liebsten Frauen ein. Sie verdienen gleich viel wie die Männer und übernehmen häufig auch Führungspositionen.

Bei René Mägli in der MSC-Reederei in
 Basel arbeiten 125 Frauen und fünf Männer. Bild: Sabina Bobst

Mirjam Comtesse

René Mägli ist kein Feminist, sondern ein Patron alter Schule. Trotzdem beschäftigt der Chef der Basler Niederlassung der Grossreederei MSC fast nur Frauen. 125 sind es zurzeit – und nur fünf Männer. Mägli erklärt dies mit betriebswirtschaftlichen Überlegungen: «Ich habe vor 20 Jahren erkannt, dass die Chefs in meiner Firma nicht die Besten förderten. Auch sehr gute Mitarbeiterinnen liessen sie nicht vorankommen.» Über die Gründe lässt sich nur spekulieren: Die Vorgesetzten fürchteten vielleicht die Konkurrenz, oder sie sahen das Talent zu wenig, weil Frauen ihre Stärken oft nicht gut genug verkaufen. Dennoch ist Mägli strikt gegen eine Quote: «Die Unternehmen sollten selber merken, dass sie sich und den Aktionären keinen Gefallen tun, wenn sie so viel Potenzial brachliegen lassen.»

Der 67-Jährige erzählt in seinem Büro in Basel. Die vertikalen Lamellen am Fenster zeigen ein Frachtschiff, das nebst Containern auch Kamele transportiert. Mägli hatte 1981 die Firma Shipmar gegründet. Da diese inzwischen nur noch Schiffe der Mediterranean Shipping Company (MSC), einer der grössten weltweit – 480 Niederlassungen in 155 Ländern, 70 000 Mitarbeiter –, vertritt, hat der Reeder deren Namen übernommen. Seine Mitarbeiterinnen koordinieren Containerschiffe auf der ganzen Welt. Mägli sagt: «Frauen sind einfach besser geeignet für diesen Job.»

Der Wettbewerb in der ansonsten männerdominierten Branche ist gross, die Margen bewegen sich am unteren Limit. Profilieren kann sich da nur, wer die bessere Dienstleistung anbietet. Oft gehe es hektisch zu und her, erklärt der Chef. Wer priorisieren könne, habe einen Vorteil. Vor allem Mütter seien darin geübt: Wenn das Kind brüllt, der Mann gerade nach Hause kommt, das Wasser auf dem Herd überzukochen droht, dann müssten sie ebenfalls blitzschnell entscheiden, um was sie sich zuerst kümmern.

In Stellenausschreibungen sucht der Unternehmer immer Männer oder Frauen. Er diskriminiert also niemanden. «Aber die Frauen, die sich melden, passen in der Regel besser ins Team», sagt Mägli. Für ihn heisst das: Sie wollen sich auf ihre Arbeit konzentrieren, anstatt ihre Energie in Konkurrenzkämpfe zu stecken. «Männer können das Ellbögeln häufig nicht lassen, das schadet der Stimmung.»

 

Kein Zickenkrieg
Natürlich bildet das Unternehmen ein spezielles Biotop. Was dort funktioniert, kann nicht unbedingt auf andere Firmen übertragen werden. Doch die Zahlen scheinen die Strategie des Chefs zu bestätigen. Zwar gibt MSC Schweiz Umsatz und Gewinn nicht bekannt. Mägli erwähnt aber in einem anderen Zusammenhang, dass die Basler Niederlassung in manchen Jahren um bis zu 25 Prozent gewachsen sei. Das spricht für sein Konzept. Der CEO ist auch sehr geschickt darin, die Teams so zusammenzustellen, dass die unterschiedlichen Charaktere optimal zusammenpassen – egal, ob Mann oder Frau. Diesem Gespür, das ihm alle befragten Mitarbeiter attestieren, ist es wohl auch zu verdanken, dass bei der unvermeidlichen Frage nach Zickenkriegen alle nur mit den Schultern zucken.

Die Gewerkschaft Unia hat vor einigen Jahren bestätigt, dass René Mägli höhere Löhne zahlt, als es dem Branchendurchschnitt entspricht. Er setzt also nicht aus Spargründen auf Frauen. Zur leidigen Lohndiskussion hat er dennoch eine dezidierte Meinung: «Die Frauen sind selber schuld.» Es sei noch nie vorgekommen, dass eine Frau im Jahresgespräch das Thema Geld vorgebracht habe. Bei den meisten Männern wäre dies undenkbar. Für sie ist der Lohn eine Frage des Prestiges. Zudem übernehmen viele nach wie vor die Rolle des Hauptverdieners in der Familie. Mägli findet, Frauen sollten fordernder auftreten, auch mit dem Risiko, damit anzuecken. Schliesslich gehe es bei der Lohnfrage nicht darum, sich beliebt zu machen, sondern darum, seine Interessen wahrzunehmen.

Andere Erfahrungen hat der CEO gemacht, wenn es um Beförderungen geht. Bei ihm habe noch nie eine Frau eine Führungsposition abgelehnt. Die Gründe: Einerseits können bei MSC Schweiz in Basel auch Personen mit relativ niedrigen Stellenprozenten (ab 50 Prozent) ein Team leiten. Dies ermöglicht auch Müttern den Aufstieg. Die Arbeitszeiten sind regelmässig, planbar und damit familienfreundlich. Mägli vermittelt Frauen aber auch klar, wenn er von ihrem Potenzial überzeugt ist. «Ich sage ihnen explizit, dass sie gut sind.» Männliche Chefs vergessen häufig, wie wichtig diese Rückversicherung für Frauen ist, damit sie es wagen, eine leitende Rolle zu übernehmen.

 

Kein Missmut
Bei so vielen Mitarbeiterinnen in einem Unternehmen sind Mutterschaftsurlaube häufig. Ist das ein Problem? Mägli verneint, Männer seien schliesslich ebenfalls ab und zu abwesend wegen Militärdiensten. Er und seine Teamleiterinnen reagieren mit grösstmöglicher Flexibilität. Wenn eine Angestellte ein Kind bekommt, darf sie selbst entscheiden, mit welchem Pensum sie nach dem Urlaub weiterarbeiten möchte. Manche Mütter setzen ein paar Jahre ganz aus und klopfen danach wieder an. Das geht natürlich nur bei einer Firma, in der das Wissen nicht in kurzer Zeit obsolet wird.

Auch spontane Abwesenheiten wegen kranker Kinder bereiten den Verantwortlichen keine Schwierigkeiten. «Wir teilen die Aufgaben dann so auf, dass andere sie übernehmen können», sagt Finanzchefin Armanda Zdouc. Missmut gebe es deswegen nicht. Schliesslich wisse jede, dass auch sie einmal davon profitieren könne. Das grosse Verständnis in der Firma für Mütter und deren Bedürfnisse ist umso bemerkenswerter, als Mägli selbst keine Kinder hat. Er weiss also nicht aus eigener Erfahrung, wie schwierig der Spagat zwischen Beruf und Familie ist.

Aber wie fühlen sich denn die wenigen Männer? Teamleiter Arja Yousefi weiss gar nicht recht, was er antworten soll, weil es für ihn ganz selbstverständlich ist, fast nur mit Frauen zusammenzuarbeiten. Das Geschlecht sei gar kein Thema, sagt er. Jeder und jede werde einfach an der Leistung gemessen.

Mit René Mägli steht ein Mann an der Spitze des Unternehmens. Dabei behauptet doch der Chef, Frauen machten die bessere Arbeit: Diesen Makel wolle er beheben, versichert der 67-Jährige. Seine Nachfolge werde mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit eine Frau übernehmen.

Nachrichten zu Fokus »