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Fernweh

Pendeln im Schnee 
und ein Fondue für zwei

Au-pair im Tessin Mit heftigen Schneefällen ist der Winter letzte Woche im Tessin angekommen. Geraldine Maier versucht derweil, trotz Coronabeschränkungen Kontakte zu knüpfen. Das ist gar nicht so einfach, wie sie feststellen muss.

Selber kochen, worauf man Lust hat, zum Beispiel Fondue, und dabei über Gott und die Welt reden: Das erfreut die Herzen der beiden Au-Pairs. Bild: Geraldine Maier
  • Dossier

Geraldine Maier

 

Ein freudiges Wiedersehen

Meine heutige Reise ist in Ponte Tresa aber noch nicht zu Ende. Jede Minute sollte meine Au-pair Kollegin Larissa* mit dem Auto hier eintreffen. Ihr Tessiner Zuhause ist 
leider nicht so gut mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen wie meines. Dafür hat ihre Familie extra für sie ein kleines Auto besorgt. Larissa ist mit 23 Jahren wie ich eine relativ «alte» Au-pair-Kollegin. Vielleicht verstanden wir uns deshalb schon beim ersten Treffen ausgezeichnet. Nur schade, dass sie nicht gleich um die Ecke wohnt. Wir beide vermissen ein Umfeld oder Freunde, mit denen man in längeren Pausen oder nach Feierabend spontan etwas unternehmen kann. Wir beide haben uns zwar aktiv um einen gesellschaftlichen Anschluss bemüht, doch leider ist sowohl ihr Volleyballtraining, wie auch mein Engagement bei Pro Senectute weiterhin eingestellt. Ich konnte immerhin ein paar Treffen über Couchsurfing organisieren, wodurch ich an andere Orte kam und neue Leute kennenlernte. Mehr wurde aber aus diesen sporadischen, einmaligen Treffen nicht.

Wobei es gerade diesen Montag zu einem unglaublich tollen Wiedersehen in Lugano kam. Als ich mit meinem Freund im August auf dem Schweizer Roadtrip war, berichtete ich von einer spontanen Einladung zu einer Tessiner Geburtstagsfeier oberhalb des Maggiatals (siehe BT vom 28. August). Das dort kennengelernte Geburtstagskind und ihren Partner habe ich nun anfangs Woche wiedergetroffen. Ein freudiges Wiedersehen gibt es auch jetzt mit Larissa. Mein Gepäck wird auf dem Rücksitz verstaut und schon befinden wir uns auf dem Weg zu ihr.

 

Unterschiedliche Essgewohnheiten

Beim Betreten von Larissas Studio werde ich gleich von der Wärme des Cheminéefeuers umgeben. Die Weihnachtsdekoration und die aufgestellten Bilder mit Freunden und Familie verleihen dem Raum zusätzlichen Charme. Am meisten Gefallen finde ich an ihrer eigenen Küche. Wie schön es doch ist, wenn man die Möglichkeit hat, selber zu 
kochen. Wenn man sich plötzlich anderen Essensgewohnheiten anpassen muss, lernt man, die Freiheit zu schätzen, wenn man selber bestimmen kann, was man wie und wann essen möchte.

Kürzlich habe ich auf dem Schulhausplatz von Claudia, einer anderen Au-pair, erfahren, dass es bei ihrer Familie nur zwei Dinge zum Essen gibt: Pizza und Pasta. 
Als ich das hörte, war ich froh, mehr Abwechslung auf den Teller zu bekommen. Dafür musste ich mich erst an die unterschiedlichen Essenszeiten in meiner Familie gewöhnen. Bei Larissa wiederum liegt es an ihr, wann und was auf den Tisch kommt. Zumindest am Mittag. Hingegen ist es gar nicht so einfach, alle Speisen so zu würzen oder den richtigen Garpunkt zu treffen, dass es allen schmeckt.

Heute Abend werden aber sicher alle 
zufrieden sein: Larissa und ich bereiten ein Champagner-Fondue zu, das wir zur für uns idealen Zeit auftischen und dann zu zweit verspeisen.

 

Kein Kinderspiel

Nach dem Essen spielen wir ein paar Runden Skipo, ein Kartenspiel. Dadurch kommen wir auf die Spielerlebnisse mit unseren Gastkindern zu sprechen. Larissa erzählt mir, dass sie ihr drei Jahre alter Junge kürzlich fast auf die Palme bracht. Nach 20 Minuten ununterbrochenem Plärren und gefühlten 100 Versuchen, das Kind zu beruhigen, teilte sie dem kleinen Jungen ehrlich mit, dass sie nicht mehr wisse, was sie für ihn noch machen könne, aber wenn er nicht aufhöre zu schreien, müsste sie mit ihm zum Doktor. Es mache ihr Angst, dass er sich nicht mehr beruhigen könne, und wenn sich das nicht bald ändere, dann sehe sie den Doktor als einzige Lösung. Der Junge habe sie mit grossen Augen angeschaut, noch ein, zwei Mal geschrien und sei dann ruhig geworden.

Das Problem mit schreienden Kindern habe ich glücklicherweise nicht. Dafür kämpfe ich zwischendurch mit trotzenden Kindern. Als ich beispielsweise neulich die Aufgabe hatte, mit Sofia etwas zu unternehmen, damit sie nicht den ganzen Nachmittag vor dem Handy und Fernseher verbringt, hatte ich keine Chance, das junge Fräulein von einer meiner Spielideen zu überzeugen. Erst ein scharfes Wort ihrer Mutter liess die Elektronik verstummen. Die Folge war ein grimmiges Mädchen, das sich in ihrem Bett verkroch und den Kopf unter dem Kopfkissen vergrub.

Ich wollte ja weder Sofia zu einem Spiel drängen oder gar zwingen. Allerdings hatte ich eine klare Anweisung der Mutter: Es war meine Aufgabe, das elfjährige Mädchen zu einer Aktivität zu animieren. 
Irgendwie musste ich ihre Aufmerksamkeit gewinnen, doch wie? Ratlos schnappte ich mir ein Kinderbuch aus Sofias Regal, setzte mich zu ihr aufs Bett und begann aus dem Buch vorzulesen. Schon nach den ersten Sätzen hatte ich 
Gefallen an der Geschichte gefunden und versuchte, meine Stimme für die verschiedenen Charaktere zu verstellen. Plötzlich sah ich, wie sich neben mir etwas regte. Das Kopfkissen wurde langsam zur Seite geschoben. Zuerst waren nur die Ohren freigelegt, etwas später lugte dann auch ein Augenpaar hervor. Das Eis war gebrochen und es folgte ein lustiger Nachmittag.

Lustig habe ich es auch mit Larissa: Wir müssen nicht nur über unsere Au-pair-
Erlebnisse lachen, auch Geschichten von vergangenen Arbeitseinsätzen amüsieren uns an diesem Abend. Und so lassen wir den Abend gemeinsam ausklingen.

*Alle Namen sind geändert.

Info: Geraldine Maier, 21 Jahre alt, ist in 
Meinisberg aufgewachsen und war während 
19 Monaten alleine in Afrika unterwegs. Aktuell befriedigt sie ihr Fernweh in der Sonnenstube der Schweiz. Dies ist ihre letzte Kolumne,

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