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Putzen schadet der Lunge wie Rauchen

Reinigungskräfte gefährden wegen giftiger Putzmittel ihre Gesundheit. Gemäss einer aktuellen Studie sind in erster Linie Frauen betroffen. Mikrofasertücher könnten Abhilfe schaffen.

Symbolbild: Pixabay

Nik Walter

«Zu viel Sauberkeit schadet möglicherweise Ihrer Gesundheit.» Diese Warnung steht zwar auf keinem Putzmittel, sie wäre allerdings angebracht, würde man die Resultate einer aktuellen europäischen Untersuchung berücksichtigen. Gemäss der neuen Studie verschlechtert sich die Lungenfunktion von Frauen, die regelmässig mit Reinigungsmitteln hantieren, nämlich erheblich. «Der Effekt auf die Lungenfunktion ist gleich gross, wie wenn die Frauen 20 Jahre lang ein Päckli Zigaretten pro Tag rauchen würden», sagt Nicole Probst-Hensch, Epidemiologin am Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut in Basel und Mitautorin der Studie.

Für ihre Analyse stützte sich das internationale Forscherkonsortium um Øistein Svanes von der Universität Bergen (Norwegen) auf den «European Community Respiratory Health Survey» (ECRHS). Ziel dieser Befragung ist es, den Ursachen von Atemwegserkrankungen auf die Spur zu kommen. Ein Fokus liege dabei auf Asthma, sagt Probst-Hensch, ein anderer auf der ­chronisch obstruktiven Lungenkrankheit, umgangssprachlich auch Raucherhusten genannt. Neben Befragungen im Abstand von etwa 10 Jahren messen die Forscher im Rahmen des ECRHS auch die Lungenfunktion der Probanden.

In der aktuellen Studie analysierte das Forscherteam Daten von 6230 Freiwilligen in 22 europäischen Zentren. Dabei zeigte sich, dass die Lungenfunktion – etwas vereinfacht: das Lungenvolumen – zwar bei allen Menschen über die Jahre abnimmt, dass die Abnahme bei Frauen, die beruflich oder im Haushalt putzen, aber besonders stark ist. Putzende Frauen leiden zudem auch häufiger an Asthma als Frauen, die nicht reinigen. Dies berichteten die Forscher Mitte Februar im Fachblatt «American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine».

Für das Bestimmen der Lungenfunktion massen die Studienärzte zwei Werte: einerseits diejenige Menge an Luft, die ein Proband in einer Sekunde ausatmen kann (FEV1), andererseits «die forcierte Vitalkapazität» FVC, die jenem Lungenvolumen entspricht, das man maximal ausatmen kann. Die beiden Messwerte reflektieren laut Probst-Hensch unterschiedliche Defizite. So sei FVC ein unabhängiger Vorhersagewert für das Sterberisiko eines Menschen.


Nur wenige Männer putzen
Den bei den Frauen gefundenen Effekt müsse man sehr ernst nehmen, sagt Probst-Hensch. «Die Daten sind solid.» Anders sieht es bei den Männern aus. Da haben die Studienautoren nämlich kein erhöhtes Risiko gefunden. Allerdings gaben auch nur 58 Männer an, im Haushalt zu putzen, und diese Zahl sei möglicherweise zu klein dazu, einen Effekt zu finden. Kommt hinzu, dass viel mehr Männer als Frauen beruflich Stäuben und Gasen ausgesetzt sind. Dies würde den Effekt des Putzens auf die Lungenfunktion möglicherweise vernebeln. Probst-Hensch gibt sich vorsichtig: «Ich würde mich nicht trauen zu sagen, bei Männern gibt es keinen Effekt.» Ebenso unklar ist, ob Putzen auch das Risiko für Lungenkrebs erhöht – diese Frage kann die Studie nicht beantworten.

Die Schweiz respektive das Team um Nicole Probst-Hensch beteiligte sich mit der Sapaldia-Studie an der ECRHS-Befragung. Im Rahmen von Sapaldia (Swiss Study on Air Pollution and Lung Disease in Adults) untersucht ein Team um Probst-Hensch seit 25 Jahren die Auswirkungen der Luftschadstoffbelastung und anderer Umweltfaktoren auf die Gesundheit von rund 10 000 Studienteilnehmern. So konnte das Team früher schon zeigen, dass Reinigungs- und Raumsprays die sogenannte Herzfrequenzvariabilität niedriger machen. «Je tiefer diese Variabilität, desto schlechter», sagt Probst-Hensch.

In einer anderen Sapaldia- Studie hatten Forscher den Effekt von Pollen, Holz-, Metall- oder Steinstäuben sowie Gasen auf die Lungengesundheit angeschaut. Dabei zeigte sich, dass häufiger Kontakt mit solchen Stäuben und Gasen das Risiko für die chronisch obstruktive Lungenkrankheit (COPD) erhöht.

Gleiches hätte man eigentlich auch bei der neuen Studie erwartet: dass also die häufige Nutzung von Putzmitteln das COPD-Risiko erhöht. Dem war aber nicht so. «Das hat möglicherweise damit zu tun, dass die untersuchte Population in der ECRHS-Studie im Gegensatz zur Sapaldia- Kohorte relativ jung war», sagt Probst-Hensch. «Wir wissen, dass das Risiko, eine COPD zu entwickeln, mit dem Alter zunimmt.» Man könne daher auch nicht sagen, dass Putzfrauen kein höheres Risiko für COPD haben.


Mikrofasertücher und Wasser
Dass Putzen ungesund ist, zeigte kürzlich auch eine unabhängige belgische Studie. Demnach haben professionelle Reinigungskräfte – Frauen und Männer – ein deutlich erhöhtes Risiko für einen frühzeitigen Tod als Menschen, die in nicht handwerklichen Berufen arbeiten. Für Reinigungspersonal ist das Risiko, an einer COPD zu sterben, doppelt so hoch, das Risiko für eine tödliche Lungenentzündung ist bei Putzmännern 60 Prozent und bei Putzfrauen 30 Prozent höher als bei Büroangestellten.

Soll man nun ganz auf Putzmittel oder gar aufs Putzen verzichten? Das sei eher unrealistisch, sagt Probst-Hensch, die selber nicht viel putzt, aber man sollte den Einsatz von Putzmitteln «ganz klar stark einschränken». «Ich habe meiner Putzfrau gesagt, sie solle keine scharf riechenden Produkte mehr benutzen», sagt die Gesundheitsforscherin. «Alles, was stechend ist, was stark riecht, wovon man weiss, dass es in die Lunge kommt, all das sollte man minimieren.» Eine Möglichkeit, sich zu schützen, sei auch das Tragen einer Schutzmaske.

Einen einfach umzusetzenden Tipp hat derweil Studienleiter Øistein Svanes: «Die Chemikalien sind in den meisten Fällen unnötig», zitiert ihn eine Pressemitteilung der American Thoracic Society. «Mikrofasertücher und Wasser reichen in den allermeisten Fällen aus.»

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Verschiedene Jobs können die Gesundheit gefährden
Nicht nur Reinigungskräfte setzen ihre Gesundheit aufs Spiel, auch andere Berufsgruppen gefährden potenziell ihre Gesundheit. So haben alle Berufstätigen, die regelmässig mit Stäuben oder Gasen in Kontakt kommen und diese einatmen, tendenziell ein erhöhtes Risiko für Atemwegserkrankungen wie etwa die chronisch obstruktive Lungenkrankheit. Gefährdet sind diesbezüglich Schreiner, Bauern, Malerinnen, Metallbauer und weitere handwerkliche Berufe.

Einem anderen Risiko sind Berufstätige ausgesetzt, die selber im Gesundheitsbereich arbeiten oder mit Menschen in engen Kontakt kommen. Sie haben ein erhöhtes Risiko, sich mit potenziell gefährlichen Keimen zu infizieren, und sie setzen sich Schmutzstoffen aus. Zu dieser Berufgruppe zählen unter anderem Zahnärzte, Dentalhygienikerinnen, Anästhesistinnen, aber auch Flugbegleiter. Mit einem erhöhten Unfallrisiko wiederum müssen Dachdecker, Gerüstbauer oder Sprengmeister rechnen.

Wer nun glaubt, Büroangestellte hätten das kleinste Berufsrisiko von allen, der irrt. Denn ein vorwiegend sitzender Lebensstil zählt zu den grössten Risikofaktoren für ein verkürztes Leben überhaupt. Menschen, die täglich elf oder mehr Stunden sitzen, haben ein um 40 Prozent höheres Risiko, frühzeitig zu sterben, als Menschen, die weniger als vier Stunden sitzen. nw
 

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