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Atlantik

Sascha macht sich zum Affen

Zwischen den Kanarischen Inseln finden Sascha Biedermann und seine Gäste perfekte Bedingungen zum Wellenreiten. Das ist so lange amüsant, bis irgendetwas am Schiff kaputt geht – und sich Biedermann bei üblem Seegang in die Seile hängen muss.

In einer abenteuerlichen Kletteraktion schnallt Sascha Biedermann die delikate Radarschüssel am Mast fest. Bild: zvg
  • Dossier

Sascha Biedermann

Wir frisch gebackene Kanarienvögel sind wir bereit, auf unserem Katamaran Ahora die Kanarischen Inseln zu entdecken. Der Vulkan auf La Palma hat uns, wie wir uns das schon fast gewohnt sind, mit viel Lava begrüsst. Nachdem uns bereits der Stromboli ein Feuerwerk bereitete, und der Ätna bei unseren letzten beiden Malen auf Sizilien kräftig explodierte, jetzt also der dicke Ausbruch auf La Palma. Unser neuer Spitzname lautet Volcano Hunter.

Aufgrund der starken vulkanischen Aktivität und dem Navigationsverbot in der Nähe der glühenden Lava entschliessen wir uns, trotz Gegenwind mit unserem neuen und witzigen Gast Möreli aus Biel die Route von Fuerteventura nach Lanzarote zu segeln. Wie sich nach kurzem Check herausstellt, ist sie top seefest, und wir gönnen uns eine taffe Fahrt mit bis zu Drei-Meter-Wellen und 20 Knoten Wind. Karin macht es sich lieber wieder horizontal gemütlich, während wir zwei die Ahora im Zickzack zum nächsten Wellenspot navigieren.

Die alltäglichen Störungen
Diese Action ist solange amüsant, bis plötzlich die Halterung des Radars beschliesst, abzubrechen. Die grosse delikate Radarschüssel hängt nur noch am Stromkabel und schlägt so stark um den Mast, dass ich meine Fränklis nur so dahinfliegen sehe. Beinahe schmerzerfüllt steuern wir ans nur wenig geschützte Ufer, wo ich die Schüssel bei üblem Seegang hoch am Mast fixieren muss. An einem Seil baumelnd, klammere ich mich, wie ein junger Affe an seine Mutter, um den Mast und schnalle, um weitere Schäden zu verhindern, den «Riesenplämpu» fest.

Weiter geht es mit einer Körperhaltung, als wäre ich eben gerade nach acht Stunden Galopp vom Pferd gestiegen, auch werde ich anschliessend wahrscheinlich freiwillig aufs Stand-Up-Paddeln in der Welle verzichten. Langsam rattert die Ankerkette wieder hoch, bis die Ankerwinde nur noch ein stöhnendes Geräusch macht und sich nicht mehr weiterdreht.

Dios mio! Der Anker hängt schon wieder fest. Gestern musste ich ihn auf neun Meter Tiefe unter einem internationalen Stromkabel hervorziehen und heute auf zehn Meter aus einer Felsspalte. Die Aktion muss ziemlich gut mit der Crew auf dem Schiff abgesprochen sein, damit ich unter Wasser plötzlich nicht auch noch festklemme. Das funktioniert alles 1A. Ich halte jetzt einfach noch einen zusätzlichen Meter länger die Luft an.

Traumwellen vor Traumkulisse
Möreli hat ja das unterhaltsame Actionpaket ganz ohne Morelli gebucht. Deshalb bleiben wir die ganze Woche auch mit weiteren Überraschungen immer guten Mutes und tief zufrieden. Trotzdem freue ich mich jetzt auf die nächste Buchung. Mein alter Kumpel Jerome, ein ehemaliger Windsurfprofi, kommt mit seinen von uns geliebten Kindern Mila und Liam. Die neue Equipe hat Lust auf Wellenreiten und Fischen. So flexibel wie wir sind, passen wir uns gerne auch diesem Wunsch an und schrauben alle Arten von Spass in der Welle hoch. Mit etwas Surffoilen, Wingfoilen, Wellenreiten und Stand-Up-Paddeln sind wir mächtig und prächtig unterhalten.

Jeromes grosser Wunsch ist es aber, vor der längsten rechten Welle Europas am Anker den Sonnenuntergang und Sonnenaufgang zu erleben. Glücklicherweise rollt eine schöne Dünung auf das Riff vor der naturbelassenen Insel Lobos, und der Anker hält ein paar Schiffslängen neben den imposanten Brechern entfernt. Ein Traum geht mit Traumwellen und einer Traumkulisse in Erfüllung.

Der Kurzbesuch war definitiv viel zu kurz. Denn jetzt fliegt schon die seriöse, vierköpfige Truppe eines Marcels, den ich nicht kenne, ein. So wie ich das zwischen den Zeilen des Spontanbuchers gelesen habe, kaufe ich besser vorab gar keine Lebensmittel ohne Einwilligung ein und mir steht anscheinend eine brave vegane Detoxwoche ohne Zucker oder Gluten bevor. Wir essen auf der Ahora in der Regel so oder so wenig Fleisch, Fisch habe ich hier auch noch keinen gefangen und eine Woche mit reduziertem Zucker schadet meiner Form sicher auch nicht.

Die Ungewissheit verfliegt, als ich das Dream-Team am Hafen mit dem Beiboot abhole. Den Bieler Märsu kenne ich, wie sich herausstellt, seit vielen Jahren und er wartet mit weiteren bekannten und sehr interessanten Gesichtern auf die Wassertaxifahrt. Die Brigitte ist die von mir geschätzte, superliebe und fröhliche Giti und ausserdem frisch erkorene Teammanagerin des österreichischen Snowboard-Teams. Der gebürtige Bieler Hans-Peter ist der H.-P. aus Verbier, unter anderem der Skifahrer aus dem weltbekannten Bognerfilm. Nur die blonde Schwedin Ilona, die freundliche und fröhliche Besitzerin des legendären «Mamas Surf Club» in Biarritz, sehe ich zum ersten Mal.

Viele Missverständnisse sind geklärt und wir laufen mit viel mehr Schoggi an Bord als je zuvor aus der Bucht von Corralejo. Erfüllt mit zahlreichen interessanten Diskussionen segeln wir entspannt von Surf Beach zu Kite Beach und wieder weiter. Leider hat sich die Natur entschieden, uns immer nach dem Ankersetzen mit wenig Wind und Wellen zu beglücken. Das ist für alle aber völlig in Ordnung. Schliesslich war einst das Moto von «Mamas Surf Club»: «It’s never to small for the Mamas.» So quetschen wir das etwas trockenere Zitrönchen trotzdem auf den letzten Tropfen aus und amüsieren uns mit dem, was machbar ist. Ich verbringe eine wirklich sehr unterhaltsame Woche mit sympathischen Genussleuten, von denen die meisten dasselbe Lebensmotto wie ich pflegen: Die Welt braucht mehr Liebe.

Angst ist ein schlechter Ratgeber
Nun sind Karin und ich nach Langem wieder mal alleine auf der Ahora. Uns wird einmal mehr bewusst, was es, seit wir in Frankreich ausgelaufen sind, für eine Freude und ein Riesengeschenk ist, mit solch bereichernden Menschen Zeit auf der Ahora verbringen dürfen. Genau so oder noch mehr freuen wir uns jetzt, unsere Familien und Freunde in der Schweiz nach Langem zu sehen und zwei oder drei überdimensionierte Coupes Nesselrode zu verdrücken. Wir segeln gemütlich in Richtung Gran Canaria, wo wir unsere Ahora eine ganze Woche alleine lassen.

Am südlichen Zipfel von Fuerteventura sind wir bereit für den zu segelnden letzten Strich bis ans Ziel. Beim Ankerlichten fährt der andere Katamaran in der Bucht an uns vorbei und fordert uns doch tatsächlich zu einem Rennen nach Gran Canaria auf. «Der Verlierer bezahlt das Bier.» Ich als absoluter Nichtregattler kriege schon etwas meinen alten, sportlich kompetitiven Ehrgeiz gekitzelt, schaue aber nur Karin fragend an und verstehe nicht, wieso der so was macht. Er kann auch einfach so zum Bier einladen. Trotz seines Vorsprungs muss ich ihn zwei Stunden später hinter uns mit dem Feldstecher suchen. Es ist ein perfekter Tag zum Segeln. Auf der restlichen Überfahrt geniessen wir den satten Wind, lassen es knacken und freuen uns auf das englische Loser-Bier.

Nun kommt der Moment, unser geliebtes schwimmendes Heim zu verlassen, um kurz in der alten Heimat vorbeizuschauen. Selbstverständlich gehen die neusten News nicht an uns vorbei, auch wenn wir auf dem Schiff sind. Schliesslich müssen wir uns ständig um die aktuellen Auflagen oder Einreisebestimmungen kümmern. Auch wir haben eine Meinung zur ganzen Situation; jedoch aus einer distanzierteren Warte. Und wir sind uns einen offenen, respektvollen und informativen Austausch gewohnt. Glücklicherweise geniessen wir auf den Kanaren keine Trennung der Gesellschaft.

Darum sind wir erstaunt über die unterschiedlichen, durch Angst verhärteten Überzeugungen von Richtig und Falsch und den Mangel an der jetzt so wichtigen Empathie. Mich hat nicht nur das Leben auf dem Schiff gelehrt, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist. Mir hat einst auch mein mittlerweile verstorbener Mentor Cassian Benz gesagt: «Angst kommt immer aus der ungeschriebenen Zukunft und die Reue kommt aus der Vergangenheit.»
Darum versuche ich, so gut es geht im agilen und erfüllten Hier und Jetzt zu bleiben, und geniesse den langersehnten Austausch mit jedem meiner lieben Mitmenschen. Merci und gracias Ahora!

Stichwörter: Fernweh

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