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Meinung

Schwimmen im Herbst

Auf dem Damm in Vingelz. Donnerstagmorgen um acht. Ein milder Herbstmorgen. Das Licht kommt von hinten links, ist schon silbern.

Sabine Kronenberg. Bild: bt/a(8271308)

Auf dem Damm in Vingelz. Donnerstagmorgen um acht. Ein milder Herbstmorgen. Das Licht kommt von hinten links, ist schon silbern. Trptzdem riecht es noch nach Sommer. Der Beton des Damms ist schön warm. Das Wasser lädt zum morgendlichen Bad ein.

Bei den Bojen sieht man jemanden auf dem Rücken schwimmen. Die Arme werden regelmässig in die Luft und hinter den Kopf geworfen. Das Platschplatsch der Schwimmzüge ist das einzige Geräusch. Eine Dame kommt in wallendem Gewand über den Damm. Sie entsteigt ihrem Gewand, montiert eine Schwimmbrille und steigt in den See. Sie schwimmt in langsamen Schwimmzügen den Bojen entlang. Kopf, Beine und die Arme werden bei jedem Zug einen kurzen Moment in die Luft gereckt. Sehr elegant, wenn auch wenig schwimm-effizient. Vorankommen scheint aber auch nicht die Priorität.

Beide schwimmen geniessend oder geniessen schwimmend. Qigong im Wasser. Langsame, vollständige Bewegungen, regelmässiges, ruhiges Atmen. Der Rückenschwimmer nähert sich der Brustschwimmerin. Die Brustschwimmerin weicht aus. Sie schwimmt jetzt ausserhalb der Bojen. Und der Rückenschwimmer weicht auch aus– ist es nicht immer so? Man überholt jemanden von hinten und die Person schwenkt plötzlich mit einem zusammen nach links oder rechts aus. Menschen wollen zusammentreffen, ob einem das passt oder nicht. Die beiden sind jetzt auch auf so einem Kollisionskurs. Die Brustschwimmerin hat ihre Augen geniesserisch geschlossen, das Platsch-platsch-platsch des Rückenschwimmers im Einklang mit dem leiseren Plätschern der Brustschwimmerin. Sie ahnen nichts von ihrem Kollisionskurs. Die Brustschwimmerin macht ihre Augen auf. Hält kurz inne und schwimmt wieder davon.

Die Kollision hätte vielleicht gar nicht unbedingt stattgefunden. Es wäre ein Erkennen, ein Hallo gewesen. Vielleicht ist der Schwimmer ihr Geliebter, der ihr absichtlich entgegen schwamm. Sie hätten sich umschwommen und umschlungen. Hätten wie Kinder im Wasser getobt. Getaucht. Sich einen nassen Kuss gegeben. Gelacht. Aber nein, da, der Rückenschwimmer hat die Situation gar nicht wahrgenommen und ist schon beinahe beim Damm, lässt sich im Wasser treiben. Und jetzt sieht mans: Es ist eine Schwimmerin. Sie steigt aus, rubbelt sich die kurzen Haare trocken und dehnt den Körper ein wenig. Da kommt auch die Brustschwimmerin zurück. Dann: «Aber Hallo!?» Sie kennen sich. Das Aufeinanderzuschwimmen war doch kein Zufall. Die Brustschwimmerin klettert die Leiter hoch und die Stille des Morgens wird von einer fröhlichen Plauderei unterbrochen.

Info: Sabine Kronenberg ist Historikerin und Ausbildnerin. Sie lebt mit ihrer Familie in Biel. 
kontext@bielertagblatt.ch

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