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Intime Einblicke

«Seine Frau muss ich akzeptieren»

Lisa* ist 51-jährig und hat erwachsene Kinder. Seit 17 Jahren pflegt die Seeländerin eine Beziehung zu einem Mann, der mit einer anderen verheiratet ist. Trotzdem, erzählt sie, gehe es in dieser Langzeit-Affäre um mehr als Sex.

Illustration: Tiphaine Allemann
  • Dossier

Ich habe nun seit 17 Jahren eine Affäre mit einem verheirateten Mann. Im Moment sehen wir uns drei bis vier Mal im Monat. Es ist zwar auch schon vorgekommen, dass er mich besucht hat und ich es einfach nur genossen habe, in seinen Armen zu liegen. Aber im Normalfall haben wir Sex, wenn wir uns sehen. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich für diesen Mann Liebe empfinde – und ich bin mir sicher, er auch für mich. Aber ohne Sex würde dieses Verhältnis nicht funktionieren. Ich weiss nicht, wie es in einer normalen Beziehung wäre, aber so wie ich mich kenne, wäre mir auch da der Sex sehr wichtig. Wenn ich mich an Beziehungen erinnere, die ich in jüngeren Jahren hatte, verhielt es sich auch so, dass, wenn der Sex nachliess, mir etwas fehlte. Wenn Sie mich heute fragen, ob ich sexuell erfüllt bin, muss ich sagen: Jein. Es ist aushaltbar, so wie es ist, aber ich wäre auch nicht abgeneigt, wenn es mehr wäre. Ich kenne viele Geschichten darüber, wie bei Paaren die Lust in einer langen Beziehung abnimmt. Bei mir und meiner Affäre habe ich das noch nie gespürt. Ob wir Sex haben oder nicht, ist keine Frage der Lust. Die Lust hat über die Jahre überhaupt nicht abgenommen. Bei uns ist entscheidend, ob die Umstände es zulassen, dass wir uns sehen können. Vielleicht ist ja auch gerade dieser Abstand der Grund dafür, wieso bei uns praktisch immer Lust vorhanden ist.

Es gab Zeiten, da bestand unsere Beziehung zu 99 Prozent aus Sex. Da kam mir das Zwischenmenschliche zu kurz. Ich habe lange darunter gelitten, nicht mehr von diesem Mann zu bekommen. Erst vor wenigen Monaten hatten wir ein intensives Gespräch darüber. Eine Aussprache, die schon lange nötig war. Und dadurch hat sich auch etwas verändert. Heute ist das Verhältnis zwischen Sex und unserer zwischenmenschlichen Beziehung circa 80 zu 20. Und das reicht mir, damit bin ich zufrieden, jetzt bin ich ruhig. Obwohl ich mir durchaus vorstellen könnte, in einer normalen Beziehung zu leben, habe ich gar nicht das Bedürfnis danach. Ich kann in dieser Affäre, so wie sie heute ist, glücklich sein. Auch wenn er seine Frau verlassen würde, steht für mich fest, dass wir weiterhin separat wohnen müssten. Ich lebe nun schon zu lange alleine und möchte nichts daran ändern. Einen Mann in meiner Wohnung zu haben, würde mich stressen. Und zurückzukehren in das Leben der Hausfrau käme für mich gar nicht in Frage.

Wie oft ich mich mit meiner Affäre treffe, war über die Jahre immer unterschiedlich. Aktuell schaffen wir es wie gesagt drei bis vier Mal im Monat. Manchmal war es nur einmal im Monat. Oder auch nur einmal alle drei Monate. Bei so grossen Abständen hatte ich natürlich das Bedürfnis nach Sex. Trotzdem habe ich es mir nicht einfach geholt. In jungen Jahren war ich da noch anders, aber heute gebe ich meinen Körper nicht mehr her, wenn keine Liebe da ist. In den 17 Jahren, in denen ich mit diesem Mann ein Verhältnis habe, hatte ich insgesamt drei andere Männer. Es waren drei Versuche, mich auf eine Beziehung einzulassen, aber für keinen konnte ich wirkliche Liebe entwickeln.

Auch während diesen Beziehungen habe ich den Kontakt zu meiner Affäre nie ganz abgebrochen. Die längste Pause, die wir während einer meiner Beziehungen eingelegt haben, war ein Jahr. Dann habe ich mich wieder mit ihm getroffen, obwohl meine Beziehung noch weiterlief. Eigentlich war ich in all meinen drei Beziehungen untreu. Aber für mich war das nicht schlimm, weil die Liebe fehlte. Liebe empfand ich nur für meine Affäre.

Die Gefühle, die man für einen Mann empfindet, beeinflussen auch den Sex, den man hat. In der Beziehung zum Beispiel, in der ich mit meiner Affäre eine Pause einlegte, war der Sex einfach nur wild. Ein wildes Gerammel ohne Liebe. Der Sex mit meiner Affäre ist viel intensiver, so voller Leidenschaft. Was besser ist, ist schwierig zu sagen. In der Zeit, als ich diesen wilden Sex hatte, empfand ich ja selbst keine Liebe. Ich habe diese Leidenschaft weder gewollt noch gebraucht und konnte diesen Sex voll und ganz geniessen. Wenn ich heute aber wählen müsste, würde ich mich für die leidenschaftliche Variante entscheiden. Ganz klar.

Meine Definition von gutem Sex hat sich in den Jahren verändert. Heute kann der Sex auch gut sein, auch wenn er kurz und intensiv ist. Früher hätte mir das nicht gereicht. Der Sex musste lange dauern, bis zur Erschöpfung. Mittlerweile sind mehr Dinge wichtig. Das fängt bei der richtigen Atmosphäre an, es geht um die Art, wie er mich in seine Arme nimmt, Leidenschaft ist wichtig … am Ende müssen beide einfach ein Lächeln im Gesicht haben. Ganz wichtig finde ich auch, die Lust des anderen zu spüren. Und ich muss merken, dass er nicht nur auf die eigene Befriedigung aus ist. Dieses Gefühl hatte ich bei meiner Affäre noch nie.

Ich geniesse mit ihm auch immer unser Vorspiel. Ich liebe es, ihn zu reizen, mit meinem Blick, mit doppeldeutigen Sätzen. Dieses Spiel schafft einen gewissen Reiz. Ich versuche meistens, das Vorspiel in die Länge zu ziehen, ihn damit «leiden» zu lassen. Aber das gelingt mir nicht immer. Wenn wir uns ein paar Wochen nicht gesehen haben, ist die Lust einfach zu gross, als dass ich den Sex lange hinauszögern könnte. Wenn wir dann Sex haben, komme ich in den meisten Fällen zum Orgasmus. Es gab eine Zeit, in der ich viele Sorgen mit mir herumgetragen habe. Da klappte es auch bei ihm nicht immer mit dem Orgasmus. Es gab schon Männer in meinem Leben, denen ich einen Orgasmus vorgetäuscht habe, damit sie Ruhe geben. Bei meiner Affäre war dies nie der Fall.

Ich habe keine Probleme, mit ihm über meine Fantasien zu reden. Ich hatte schon in jüngeren Jahren einen offenen Umgang mit Sex und spreche über meine Bedürfnisse. Er ist da verklemmter. Er hat erst in den letzten Jahren begonnen, sich zu öffnen. Mit 50 Jahren… das ist schon speziell. Es gibt da aber etwas in meinem Kopf, das ich ihm noch nicht gesagt habe. Bei uns ist es in der Regel so, dass ich zwar die Initiative ergreife, beim Akt übernimmt er aber dann die dominante Rolle. Ich bin zufrieden damit, aber ich würde auch gerne mal diese Rolle übernehmen: Ich würde ihn gerne fesseln und ihm die Augen verbinden, dass er mir total ausgeliefert wäre. Ich denke, er ist offen genug dafür, sich mir hinzugeben.

Auch wenn wir uns nicht immer sehen können, wenn gerade Lust vorhanden wäre, ist Selbstbefriedigung für mich kein grosses Thema. Höchstens, wenn wir zusammen Telefonsex haben. Ansonsten habe ich kein Bedürfnis danach. Es kommt vor, dass ich damit anfange. Aber meistens bringe ich es nicht zu Ende, ich komme so schlichtweg nicht zum Orgasmus. Ich fand Selbstbefriedigung eigentlich noch nie wirklich prickelnd. Ich habe es früher zwar getan, aber nie wirklich gebraucht.

Treue ist in meinem Liebesverhältnis ein spezielles Thema. Seit acht Jahren hatte ich keinen anderen Mann als ihn, obwohl ich weiss, dass er eine Frau zu Hause hat. Wenn ich einen Mann treffen würde, bei dem alles passt, würde ich es wahrscheinlich probieren mit ihm. Aber ich fühle mich so verbunden zu meiner Affäre, dass ich dies als Betrug betrachten würde. Ob er mir treu ist? Auf eine gewisse Art und Weise schon. Ich habe schon oft über dieses Thema nachgedacht und komme nicht zu einer eindeutigen Antwort. Er ist mir in dem Sinn treu, dass er seit 17 Jahren regelmässig den weiten Weg zu mir fährt. Er könnte sich ja auch jemanden suchen, der näher bei ihm lebt. Tut er aber nicht. Hätte er noch eine andere Affäre, würde mich das mehr stören und ich würde es beenden. Aber das mit seiner Frau muss ich einfach irgendwie akzeptieren. Es ist ja meine Entscheidung, ich wusste von Anfang an, worauf ich mich einlasse. Manchmal schmerzt sie schon, die Vorstellung, wie er mit seiner Frau einkaufen geht, mit seiner Familie am Tisch sitzt. Aber ich stelle mir das so vor: Sie sind mehr wie Bruder und Schwester als ein Liebespaar. Ab und zu fassen sie sich an, einfach, weil sie in einer Ehe leben und man das halt so machen muss. Unsere Treue ist quasi der Sex. Der Sex gehört uns. Er erlebt mit mir Dinge, die er in seinem Leben noch nie erlebt hat und nur wir zwei teilen. Er sagt mir zwar, ich sei frei und könne tun und lassen, was ich wolle. Ich habe ihm dann einmal von einer fiktiven Bekanntschaft erzählt, um zu sehen, wie er reagiert. Es war, wie erwartet: Es hat ihn extrem beschäftigt. Er fragt noch heute immer wieder nach, ob es andere Männer gebe. Er ist schlichtweg eifersüchtig. Denn ich bin auch für ihn mehr als eine Affäre.

*Name der Redaktion bekannt

Aufgezeichnet: Parzival Meister

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