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Berlin

So gut das Brot, so schlecht das Fleisch

Deutsche essen durchschnittlich rund 60 Kilogramm Fleisch im Jahr – acht Kilogramm mehr als Schweizer. Doch vermissen würde unser Fernwehautor Donat Blum deutsches Fleisch nie.

«Ja!», steht bei Rewe auf dem Billigfliesch. «Nein!», ruft der Geschmackssinn. Bild: Donat Blum
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Donat Blum

Sind Leute längere Zeit im Ausland, ist es oft das heimische Essen, das sie vermissen. Den Reis, der in China einfach anders schmeckt als hier. Den Käse, der monatelang reifen konnte. Die süssen Tomaten, die direkt vor dem Haus auf Feldern wachsen.

Bei Deutschen ist es meistens das Brot. So meine Erfahrung. Das «richtige» Brot. Dessen Teig im eigenen Saft hatte gären können, statt mit Triebmittel künstlich aufgeblasen worden zu sein. Und ich gebe ihnen recht: Die deutsche Brotkultur ist ausgefeilt und auch wesentlich ausgefeilter als die schweizerische. Das war mir früher nicht bewusst. Erst während eines Austauschjahrs in China belehrten mich deutsche Freunde mittels einer deutschen Bäckerei, die es vor Ort gab, eines Besseren. Brot aus Sauerteig ist ein Ding. Viel vielfältiger als das, was ich mir als Schweizer darunter vorstellte: Dunkle, saure, in einem Plastikbeutel verpackte Brotscheiben, die man in heimischen Supermärkten kaufen konnte. Nein, richtiges Sauerteigbrot kann sogar süsslich sein und vor allem ähnlich differenziert im Geschmack wie Bier oder Kaffee.

Zu billig, um es zu essen

Was Deutsche im Ausland hingegen eher selten aus ihrer Heimat vermissen dürften, ist das Fleisch. Vielleicht würde die eine oder der andere noch eine spezielle Wurstware anführen: Weisswürste oder so. Ich glaube aber, ausschliessen zu können, dass jemand «deutsches Fleisch» sagen würde. Höchstens wegen der Preise. Denn das ist alles, was deutsches Fleisch auszeichnet: Der Grossteil ist dermassen billig, dass ich aufgehört habe, es zu essen.

Nicht, weil ich Vegetarier geworden bin. Und auch nicht, weil ich die Bilder der katastrophalen Tierhaltung nicht erfolgreich verdrängen konnte. Sondern weil die Qualität des Fleisches jeglicher Würde entbehrt.

Ich stehe im Supermarkt Rewe vor dem Fleischregal und wende mich angeekelt ab: fünf Schweineschnitzel für 4.55 Euro. Oder ein Stück «Premium Beef», 200 Gramm, für 4.38 Euro. Vor dem deutschen Fleischregal bin ich zum Snob geworden. Nicht, weil mir Geld viel bedeuten würde, sondern weil das Geld eins zu eins die Qualität des Fleisches und die Sorgsamkeit, die in seine Produktion gesteckt worden ist, widerspiegelt. Sie ist so gering, dass es kein Lebewesen verdient hat, dafür zu sterben.

Natürlich sehe ich auch die eingepferchten Müttersäue vor meinem inneren Auge, denen jegliche Bewegungsfreiheit genommen worden ist, damit ihre Zitzen ständig für die süssen Ferkel zwischen den Gitterstäben raushängen. Und ich rieche die süsslichen Verwesungswolken, die in der Brandenburger Pampa die Mastbetriebe umgeben. Aber wie gesagt: Diese Bilder und Gerüche kann ich erfolgreich verdrängen. So leid es mir für die Tiere tut: Im Zweifelsfall war ich immer eher auf der Seite der Menschen. Und der Tod in all seinen Formen bereitet mir wenig Mühe.

«Frontal 21» nahm mir jegliche Lust

Was mir hingegen die Lust auf deutsches Fleisch endgültig geraubt hat, war ein Beitrag des investigativen Nachrichtenformats «Frontal 21» auf ZDF, der aufzeigte, wie solche Preise auch noch zustande kommen können: Indem man die Kunden betrügt und Wasser verkauft statt Fleisch. Oder um genau zu sein: Indem man mithilfe von Proteinen gerade mal 18 Prozent Fleisch mit 27 Prozent Wasser und 46 Prozent ausgedrückten Knochen zu einer Masse bindet. Eingereicht bei der DLG-Prüfstelle erhielt «Frontal 21» das silberne Qualitätssiegel für diese «Wurst». Und nicht nur Würste können dank den Proteinen mit Wasser gestreckt und so schwerer gemacht werden, sondern auch Frischfleisch, dem man die Wasser-Protein-Mischung mithilfe von Spritzen einimpft.

In Deutschland werden diese aus Blutplasma gewonnenen Proteine von der Firma Sonac vertrieben. In versteckten Aufnahmen während eines Marketingevents der Firma sagt der Vertreter, das rund 80 Prozent der deutschen Fleischverarbeiter zu ihren Kunden zählen. Ich hätte es als Marketingsprech abtun können, wenn ich nicht wenig später bei uns auf dem Balkon mit Freunden gegrillt hätte und ein Stück Premiumbeef auf meinem Teller zu liegen kam. Der leicht erhöhte Preis, die silber-schwarze Verpackung mit goldenen Sternen und einem Display, durch das man das Stück Fleisch von allen Seiten begutachten konnte, versprachen ein Steak so gross wie mein halber Unterarm, saftig und zumindest geschmacklich von bester Qualität.

An dieser war denn auch nichts auszusetzen. Aber beim zweiten Versuch, einen Bissen davon abzuschneiden, verhakte sich das Messer, und beim dritten und vierten Mal ebenso. Mitten im Fleisch wechselte der Verlauf der Faserung völlig grundlos die Richtung, und es wurde offensichtlich: Das Steak bestand nicht aus einem Stück, sondern aus einer Vielzahl kleineren Stücke, die zusammengeklebt wurden: Das dritte Konzept, das Sonac an dem Marketingevent der versteckten Kamera präsentierte. Mit einem Proteinkleber können Fleischresten so zusammengefügt werden, dass es danach von aussen nach einem «besten Stück» aussieht.

Meistens fehlt das Label

Das war der Moment, in dem ich das Vertrauen in deutsches Fleisch endgültig verloren habe. Mit dem Eindruck, dass in der deutschen Fleischproduktion etwas aus dem Lot geraten ist, bin ich nicht alleine: Jeder zweite Deutsche findet gemäss dem jüngsten «Deutschlandtrend» Lebensmittel zu billig. Laut einer Erhebung von Greenpeace stammen in den Supermärkten 88 Prozent der Frischfleisch-Eigenmarken von Tieren, die in engen Ställen ohne Rückzugsmöglichkeit und Tageslicht gelebt haben. In der Politik wird seit Monaten, wenn nicht seit Jahren, diskutiert, wie die Fleischindustrie nachhaltiger gestaltet werden könnte. Und erst vor zwei Wochen hat eine vom Bundeslandwirtschaftsministerium eingesetzte Expertenkommission empfohlen, die Fleischpreise um 40 Cent pro Kilo zu erhöhen, um bessere Haltungsbedingungen zu finanzieren.

Dass bei den Haltungsbedingungen angesetzt werden soll, scheint ein weitreichender Konsens zu sein. Sogar die Discounter selber haben am 1. April letzten Jahres zumindest theoretisch ein gemeinsames Label lanciert, das auf der Fleischverpackung mit einer Skala von 1 bis 4 die Ausprägung des «Tierwohls» angeben soll. Meistens steht da die zweitschlechtestes Kategorie. Noch öfter fehlt das Label ganz. Trotz oben genanntem Konsens scheint sich weiterhin wenig zu bewegen. Das Gegenteil von dem, was es bräuchte, damit ich irgendwann in Zukunft doch mal noch «deutsches Fleisch» vermissen würde.

Info: Donat Blum, Jahrgang 1986, ist Absolvent des Schweizerischen Literaturinstituts in Biel und pendelt zwischen Berlin und der Schweiz. 2018 ist sein Debüt-Roman «Opoe» bei Ullstein fünf erschienen.

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