Sie sind hier

Abo

Wortsalat

Sprache kann Leben retten. Vielleicht auch Biels Finanzen

Mit einem auf acht bis zehn Jahre ausgelegten Programm will die Stadtregierung die Bieler Finanzen wieder in den Griff kriegen, wie das BT berichtete. Das klingt fatal nach Gürtel enger schnallen.

Matthias Knecht

Matthias Knecht

Vielleicht hat die Stadt ihre Pläne darum unter einem nichtssagenden Begriff präsentiert, nämlich «Substance 2030». Was das genau heisst, bleibt der Fantasie der Bürgerinnen und Bürger überlassen. Vielleicht, dass wir noch bis 2030 von der Substanz leben können? Oder dass spätestens 2030 substanzielle Massnahmen kommen? Jedenfalls zeigt sich der Gemeinderat überzeugt, damit die «besorgniserregende» Entwicklung bei den Steuererträgen zu stoppen.

Auch bei der Pandemie ist 
die Entwicklung besorgniserregend, wie Bundesrat Alain Berset diese Woche einräumte. Massnahmen will er aber keine ergreifen, sondern delegiert an die Kantone. Diese haben den Ball aufgenommen. Der Kanton Luzern etwa will jetzt 3G-plus einführen. Epidemiologisch ist das möglicherweise sinnvoll, jedenfalls, solange die Viren die Kantonsgrenzen respektieren, sprachlich aber ein Unding. 
3G-Plus! Das klingt wie die komplizierte Gebrauchsanleitung für den neuen, internetgesteuerten Multifunktionsherd mit integriertem Cyberschutz. Braucht keiner, will keiner.

Eleganter hat dies die italienische Regierung gelöst. Sie redet gar nicht erst von 3G, sondern vom grünen Pass. Inhaltlich ist dies das Gleiche, denn einen solchen Pass erhält nur, wer geimpft, genesen oder getestet ist. Nur klingt grüner Pass entschieden besser: nach Freiheit, nach Zukunft und dies alles mit frühlingslichtem Öko-Anstrich. 
Diese Sprache kommt an. Im chaotischen Italien beträgt die Impfquote 73 Prozent, eine der höchsten Europas. In der wohlorganisierten Schweiz beträgt sie 65 Prozent, eine der tiefsten. Die richtige Sprache hilft also, Leben zu retten. Und sie macht es einfacher, die Politik anzupassen. Jetzt, da auch Italien 
die Regeln verschärfen muss, 
ist die Rede vom supergrünen Pass. Auch das klingt entschieden besser als 3G-plus. Nämlich nach Supermario. Der schafft alles.

Egal, ob Stadtfinanzen oder die globale Epidemie: Es braucht die richtigen Begriffe, um Fortschritte zu erzielen. 
Findet die Regierung aber nicht die Worte, die greifen, begreift niemand, um was es geht. Hier könnte einer der Gründe für 
die tiefe Schweizer Impfquote liegen.

Haben schon Schweizer und ihre Regierenden ein Sprachproblem, so dürften Ausländerinnen komplett verloren sein. Geahnt hat man das wohl in Biel, vielleicht, weil man hier besonders sensibel für Sprachfragen ist. Also hat die Stadt Biel Impftage für Ausländer 
organisiert, auch hierüber berichtete das BT. Die Erkenntnis: Viele Migrantinnen und Migranten scheitern an der kantonalen Impfseite Vacme. Diese zu verstehen ist aber Voraussetzung, um überhaupt einen Impftermin zu buchen.

Fangen wir also mit der Sprache an: einfach, klar, verständlich. Dann bekommen wir auch die Pandemie in den Griff. 
Und vielleicht sogar Biels Stadtfinanzen.

Stichwörter: Wortsalat, Sprache, Finanzen, Biel

Nachrichten zu Fokus »