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Yukon

Unheilige 
Dreifaltigkeit

Nicht nur Christine Mäders alte Heimat, das Seeland, wird derzeit überschwemmt, sondern auch 
das Territorium des Yukon. Die Region kämpft aber noch gegen zwei weitere Gefahren.

Mit einem Damm von Sandsäcken werden - wie hier am Lake Laberge - Grundstücke mit Seeanstoss vor Überschwemmungen zu schützen versucht. Bild: Tara Lowe
  • Dossier

Christine Mäder

N ach zögerlichem Anfang waren bis Ende letzter Woche nun doch schon 42 Prozent der kanadischen Bevölkerung ab 12 Jahren voll geimpft; hier im Yukon sind es mehr als 68 Prozent der rund 43 000 Einwohner. Lange Zeit galt unser Territorium mit seinen geringen Fallzahlen und der hohen Impfrate als Aushängeschild der Nation in Sachen Covidmanagement. Doch Mitte Juni änderte sich dies schlagartig. Während bei uns in den ersten 14 Monaten seit Beginn der Pandemie total 84 Fälle vermeldet wurden, fiel nun innerhalb eines Monats für 370 Personen im Alter von 1 bis 90 der Coronatest positiv aus, und dies zu einem Grossteil für die Gamma-Variante.

Wie kam es zu diesem unerwarteten Ausbruch? Die Isolierungsvorschriften wurden doch nur für doppelt geimpfte Heimkehrerinnen und Besucher gelockert. Laut Brendan Hanley, Chefarzt von Yukons Gesundheitswesen, ist die Kontakt-Nachverfolgung nicht einfach, und der Ursprung unserer ersten Covidwelle äusserst schwierig zu eruieren. Auffallend, wie sich die Fälle unter Jugendlichen kurz nach den Schulabschlussfeiern mehrten. Ebenfalls mitschuldig ist die durch Alkoholkonsum verminderte Achtsamkeit beim immer noch vorgeschriebenem Abstandhalten in Bars und an Partys. Die Mehrheit der Fälle konzentriert sich auf Whitehorse, wo in mehreren Kitas sowohl Kinder wie Personal positive Testergebnisse erhielten. Doch inzwischen hat sich das Virus bereits auf 12 der 14 Gemeinden des Yukons ausgebreitet.

Werden wir daraus Lehren ziehen?

Hanleys Statistik zeigt, dass rund 85 Prozent unserer Covid-Positiven gar nicht geimpft waren, mehrheitlich zur jüngeren Generation zählen und erheblich stärkere Symptome aufwiesen. Die Restlichen hatten bloss die erste Injektion. Eine Handvoll, die trotz zwei Moderna-Dosen vom Coronavirus befallen wurden, vermeldete einen milden Krankheitsverlauf.

Während die Behörden keine Verschärfung der gegenwärtig geltenden Vorschriften in Erwägung ziehen, wurden doch etliche Vorsichtsmassnahmen getroffen. In Alters- und Pflegeheimen ist die Besucherzahl vorübergehend auf zwei reduziert; in den Krankenhäusern dagegen sind gar keine Besuche erlaubt. Alle nicht dringend notwendigen Operationen sind bis auf Weiteres auf Eis gelegt.

Unsere erste Covidwelle hat das Personal im Gesundheitswesen so sehr an den Anschlag gebracht, dass Hilfe aus anderen Landesgegenden angefordert werden musste. Das klappte glücklicherweise, denn in allen übrigen Provinzen und Territorien sind die Zahlen endlich rückläufig. Das hatte an einigen Orten eine sanfte Lockerung der Vorschriften zur Folge, an anderen jedoch fast von einem Tag auf den anderen eine totale Freigabe.

Dass mit den diversen Virusvarianten nicht zu spassen ist, sollte eigentlich mittlerweile allen klar sein. Unser Yukon-Beispiel zeigt deutlich, dass Ungeimpfte und bloss einmal Geimpfte ein grösseres Risiko eingehen, wenn sie sich maskenlos in dichten Menschenmengen tummeln. Sportveranstaltungen in Stadien, Musikfestivals und Rodeos wie die berühmte Calgary Stampede können leicht zu Superspreader Events werden.

Erst die Hitze, dann das Hochwasser

Nicht infolge von Covid, sondern wegen des Jahrhundert-Hochwasserstands bei Carmacks wurde das diesjährige Yukon River Quest am Vorabend vor dem Start abgeblasen. 136 Wasserratten in 48 Teams wollten sich in Solo-Kajaks und Zweier-Kanus bis zu Acht-Personen-Voyageur-Kanus auf der 715 Kilometer langen Strecke von Whitehorse bis Dawson City ein spannendes Rennen liefern.

Inzwischen ist der Pegel auf dem Yukon River wieder aus der Gefahrenzone raus, dafür ist die Situation im südlichen Teil des Territoriums sehr kritisch. Die unübliche Hitzewelle in den letzten Juni- und ersten Julitagen brach mit über 30 Grad in Whitehorse und gar 33 in Watson Lake nicht nur 20 Temperaturrekorde im Yukon, sondern schmolz die Rekordschneemenge des letzten Winters auf den Bergen in der Southern Lakes Gegend viel rascher als erwartet.

Im Bennett Lake, Tagish Lake, Marsh Lake und Lake Laberge steigt der Pegel gegenwärtig täglich rund zehn Zentimeter. Mehrere Wohngebiete an den Seen stehen unter Evakuierungsalarm. Die Territorialregierung hat am vergangenen Freitag den Notstand ausgerufen für die Southern Lakes Region, was ermöglicht, Leute ohne grosse Vorwarnung zu evakuieren, sollte dies notwenig werden.

Seit Mitte letzter Woche sind Überschwemmungsspezialisten aus Manitoba und Saskatchewan sowie rund 100 Soldaten des kanadischen Militärs vor Ort, um den lokalen Behörden bei der Fluteindämmung und Logistik zu helfen. Fieberhaft werden von Freiwilligen Zigtausende von Sandsäcken gefüllt, damit Seeanstösser einen Schutzwall bauen können. Aufrufe auf Facebook bringen Scharen von Betriebsangestellten aus Whitehorse, Sportteams und die ganze Yukon Arts Centre Belegschaft, von der Programmdirektorin bis zum Tontechniker, zu den verschiedenen Abpackstationen.

In Whitehorse wurde eine Kommandozentrale eröffnet, damit auch der so hoch wie noch nie fliessende Yukon, der gegenwärtig eine Menge Treibholz mit sich führt, in Schach gehalten werden kann. Man befürchtet, dass der Hochwasserstand im südlichen Teil des Territoriums noch bis weit in den August andauern könnte. Auch wenn die Schneeschmelze vorbei ist – Regenfälle könnten da noch viel Schaden anrichten.

Und dann brennt auch noch der Wald

Dass Hitzewellen verheerende Auswirkungen haben können, zeigt das Beispiel von Lytton: Nachdem die kleine Gemeinde im Landesinnern von Britisch Kolumbien mit 49,6 Grad Celsius den kanadischen Hitzerekord gebrochen hatte, wurden wenige Tage später 90 Prozent der Häuser von einem von starkem Wind angetriebenen, verheerend schnell verbreitenden Waldbrand zerstört.

Der Wind macht auch bei uns im Yukon den Boden zundertrocken, was deutlich zu hören ist, wenn man durch den Wald geht. Ein Klimatologe vergleicht das knisternde Geräusch mit «Rice Crispies, die mit Milch übergossen werden». Gewitter mit Blitzschlägen entfachen im Nu Waldbrände. Diese werden bei uns in der Regel nur aktiv bekämpft, wenn das Feuer in die Nähe von Siedlungen, einsamen Blockhütten oder Highways zu kommen droht. In der unbewohnten Wildnis wird es brennen gelassen, damit sich der Wald periodisch erneuern kann.

Diesen Sommer gab es im Yukon schon 47 Waldbrände, die bis anhin über 32 200 Hektaren Wald zerstört haben. Die drei grössten gegenwärtig aktiven Feuer sind – Stand letzten Sonntag – am Clear Creek zwischen Mayo und Dawson City (8700 Hektaren), am Campbell Highway zwischen Ross River und Watson Lake (9200 Hektaren) und am Lake Laberge (4000 Hektaren). Während Regen für die Waldbrandbekämpfung höchst willkommen ist: Beim Hochwasser in unserer Gegend sind wir froh, wenn es derzeit bei einigen Tropfen bleibt.

Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». 1996 wanderte sie in den spärlich besiedelten 
Yukon aus, wo sie heute in Whitehorse als 
Administrative Assistentin in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist.

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