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Titelgeschichte

«Uns fehlt der Wow-Effekt»

Nach zwölf Jahren stehen Andreas Heggs letzte Wochen als Gemeindepräsident von Lyss an. Er erzählt, wie er sich vom Polit-Banausen zum «Präsi» gemausert hat, spricht über Probleme rund um das Asylzentrum und verrät, welches das hässlichste Schaufenster von Lyss ist.

Andreas Hegg tritt Ende Jahr von der Lysser Politbühne ab. Grossrat wird er aber bleiben. Bild: Matthias Käser
Interview: Sarah Grandjean 
 
Andreas Hegg, seit bald zwölf Jahren sind Sie Gemeindepräsident von Lyss. Wenn Sie zurückblicken: Was war der Höhepunkt?
Andreas Hegg: Das Stucki-Chrigu-Fest. Als er 2019 Schwingerkönig wurde, haben wir den Königsempfang innerhalb von zwei Tagen auf die Beine gestellt. Das war der Hammer. Zehntausend Leute kamen nach Lyss, die Stimmung war perfekt. Das hat zwar nicht direkt mit dem Gemeindepräsidium zu tun, denn für einen Schwingerkönig ein Fest zu organisieren, steht nirgends im Pflichtenheft. Aber man muss es einfach machen.  
 
Macht es Ihnen Spass, rasch reagieren zu müssen?
Ja, aber es kann auch in die Hose gehen. Dann ist man «dr gröscht Löu». Wenn es hingegen gelingt, ist man der Held.
 
Was war Ihre grösste Herausforderung?
Das waren die Hochwasserereignisse im 2007, ich war damals Gemeinderat. Das war heavy. Dreimal wurde unsere Gemeinde überschwemmt. Die Schäden betrugen über 100 Millionen Franken. An der Bielstrasse gab es einen Block, bei dem war nach dem Hochwasser der Keller voll. Also hat man die Heizung rausgerissen und eine neue eingebaut. Zwei Monate später: Hochwasser, Heizung raus, neue rein. Einen Monat später: Hochwasser, Heizung raus, neue rein. Die Leute waren am Anschlag. Dann konnte zum Glück der Stollen gebaut und 2011 in Betrieb genommen werden. Ohne ihn hätten wir letzten Sommer wieder ein Jahrhunderthochwasser mit grossflächigen Überschwemmungen im Dorf erlebt.
 
Und während Ihrer Zeit als Gemeindepräsident?
Da habe ich nichts erlebt, was extrem belastend gewesen wäre. Natürlich gibt es immer wieder personelle Entscheide zu fällen. Wenn ich jemandem kündigen muss, ist das immer emotional. Und grundsätzlich weiss man nie im Voraus, wie sich etwas entwickelt. Da fängt etwas ganz harmlos an und plötzlich kann es grosse Ausmasse annehmen, wie zum Beispiel diese Chlorthalonil-Geschichte. 
 
Gab es Tage, an denen Sie Ihren Job am liebsten hingeschmissen hätten?
Nein. Aber an manchen Tagen bin ich nach Hause gekommen und hätte in die Tischkante beissen können. Es gibt Sitzungen, an denen die Leute nur kritisieren, aber keine Lösungen bringen. Das nervt mich. Ich bin ein lösungsorientierter Mensch. Wenn man vor dem Stucki-Chrigu-Fest auf dem Marktplatz steht und noch alles leer ist, könnte man vier Tage darüber diskutieren, wo die Bühne stehen soll. Aber manchmal muss man einfach rasch entscheiden, sonst kommt man nicht vorwärts.
 
Was würden Sie rückblickend anders machen?
Nichts. Es war alles gut, wie wir es gemacht haben. Oft hatten wir auch einfach Glück. Ich komme noch mal mit dem Schwingfest: Der Siegermuni Kolin, ein Riesenvieh, sollte mit Stucki Chrigu auf den letzten Metern den Umzug anführen. Stellen sie sich vor, ein solcher Muni würde in 10'000 Leuten durchdrehen! Es ging alles gut, aber ein halbes Jahr später mussten sie ihn töten, weil er böse geworden war. Oder bei der Tour-de-Suisse-Ankunft an der Bielstrasse 2009: Hätte es Cancellara als Führenden mitten im Hirschenkreisel überschlagen, wäre das unschön gewesen. Solche Dinge weiss man halt nicht im Voraus. Ich bin zufrieden so, wie es war.
 
Was ist aus Ihrer Sicht das grösste Problem in Lyss?
Wir haben keine grossen Probleme. Wer Probleme sehen will und sagt, wir hätten zu viel Verkehr, soll mal nach Nidau oder Aarberg gehen. Dort ist es genau das Gleiche. Und die Verursacher sind wir selbst: 80 Prozent des Verkehrs sind hausgemacht.
 
Das Zentrum ist zu Stosszeiten schon stark überlastet.
Klar, zwischen 17 und 18 Uhr haben wir sehr viel Verkehr. Aber das ist gerade mal eine Stunde pro Tag. Überall in der Schweiz, wo die Bevölkerungsdichte höher ist, ist es so. Und wir haben in Lyss ja zwei Autobahnanschlüsse. Wer beispielsweise von Biel her kommt, muss nicht die Bielstrasse hochfahren, sondern kann anders reinfahren. Den Verkehr schaue ich nicht als Problem an.
 
Wo sehen Sie dann Handlungsbedarf?
Bei der Badi sollten die Becken erneuert werden. Beim Sportzentrum Grien hat es zu wenig Aussengarderoben, und die Fussballplätze sollten anders gestaltet werden. Aber das sind Luxusprobleme. Sonst ist unsere Infrastruktur à jour. Wir haben die Biel- und Hauptstrasse saniert, jede Leitung neu verlegt, jeden Hausanschluss erneuert, Wärme Lyss Nord eingelegt. Der Märitplatz ist super geworden, wir haben den Werkhof und das Feuerwehrmagazin neu gebaut, ein neues Schulhaus im Grentschel realisiert, und beim Stegmatt-Schulhaus wird gerade die zweite Hälfte saniert. 
 
Lyss ist in den letzten 20 Jahren um ein Drittel gewachsen. Wenn das so weitergeht, wird es in ein paar Jahren wieder Schulraum brauchen.
Sicher. Aber für die nächsten vier bis fünf Jahre haben wir genug Schulraum. Einen Teil der neuen Räume des Grentschelschulhauses haben wir sogar an die Heilpädagogische Schule vermietet, auch die integrative Tagesschule ist dort untergebracht. 
 
Lyss will künftig in die Höhe bauen. Verliert die Stadt nicht an Charakter, wenn Hochhäuser im Zentrum entstehen?
Diese Befürchtung hatten wir auch. Das erste geplante Hochhaus sollte hier neben der Gemeindeverwaltung entstehen und 60 Meter hoch werden. Als wir anhand von Ortsmodellen den städtebaulichen Richtplan erarbeitet haben, stellten wir fest, dass das zu viel ist. Wir sind aktuell der Meinung, dass man in Lyss nicht mehr als 40 bis 45 Meter hohe Häuser bauen soll.
 
Wegen des Stadtbildes?
Weil es einfach nicht passt. Ich war nie Feuer und Flamme für dieses 60-Meter-Hochhaus. Es hätte den Charakter kaputtgemacht. Aber massvolle Erhöhungen verträgt es. Es gibt ja schon ein paar siebenstöckige Gebäude. Lyss wird sich sowieso verändern, aber wir wollen keine extrem hohen Bauten.
 
Gemäss Bundesamt für Statistik ist der Leerwohnungsbestand in Lyss mit 4,89 Prozent überdurchschnittlich hoch. Der schweizweite Durchschnitt liegt bei 1,54 Prozent. Wieso baut man trotzdem weiter?
Um den Leerwohnungsbestand zu berechnen, gibt es kein einheitliches System. Deshalb ist mir diese Zahl egal. Wenn in Lyss gebaut wird, sind die Wohnungen rasch verkauft oder vermietet. Zum Beispiel beim Kambly-Areal, 170 Wohnungen: alle weg. Stigli/Spinsmatt, 450 Wohnungen: alle weg. Die neue Überbauung Rossi: alles weg. Ich kriege keine Rückmeldungen, dass wir viele leere Wohnungen hätten. Sondern eher, dass es schwierig sei, eine zu finden.
 
Viele wohnen in Lyss, arbeiten aber in Biel oder Bern. Was kann man tun, damit Lyss nicht zur Schlafstadt wird?
Wir tun alles, damit wir attraktiv sind. Man kann hier wohnen, arbeiten, einkaufen und zum Doktor gehen. Man hat gute Verkehrsanbindungen, viele Vereine, trifft einander. Im Sommer hat die Musikgesellschaft auf dem Marktplatz «Lyss on Stage» organisiert. Das war super. Aber es ist nicht die Gemeinde, die den Platz belebt. Es sind die Leute. Und viele engagieren sich einfach zu wenig. Ich finde, dass alle einmal in ihrem Leben etwas gratis und freiwillig machen sollten. Sei dies im Fussballclub Trikots zu waschen oder die Kinder an die Wettkämpfe zu fahren. 
 
Die Vereine haben doch schon Mühe, Mitglieder zu finden.
Das ist immer ein Problem. Einen Verein zu führen, ist schwierig. Wenn einer seine Sache nicht gut macht und man ihm das sagt, findet er: Mach es doch selbst, ich bin schliesslich freiwillig hier. Aber schauen Sie die Musikgesellschaft an: Vor einigen Jahren war die am Boden. Dann kamen Leute aus der Jugendmusik dazu und haben «Lyss on Stage» auf die Beine gestellt. Und sie wollen es wieder machen. Jetzt kommen andere Vereine, die mitmachen wollen. Sowas schweisst die Menschen zusammen. 
 
Sie glauben also nicht, dass Vereine irgendwann aussterben werden?
Nein. In einem Verein geht es letztlich immer ums Zusammensein, sei es nach dem Fussballspiel, dem Musizieren oder Singen, der Velotour oder dem Schachspiel. Das ist mindestens so wichtig wie die Sache selbst. Vereine wird es immer geben. 
 
Hin und wieder hat man gehört, Sie hätten keine Vision für Lyss. Was sagen Sie dazu? 
Lesen Sie unsere Richtlinien und Zielsetzungen auf der Website das ist unsere Vision. Wir wollen uns qualitativ entwickeln, den guten Mix und Charme behalten, leicht städtisch werden und doch ein Dorf bleiben. Ich finde, wir haben einen guten Groove. Aber uns fehlt im Zentrum der Wow-Effekt. In Frankreich zum Beispiel fährt man manchmal in ein Dorf und denkt: Ist das hier schön! Nun haben wir die Gruppierung «Lyss lebt» gegründet, bei der es darum geht, das Zentrum zu attraktivieren. Wir haben Aussenstehende gefragt, was ihnen auffällt. Eine Erkenntnis: Das schlechteste Schaufenster in Lyss ist jenes der Gemeindeverwaltung. Wir selber realisieren das gar nicht mehr. Vieles könnten wir noch schöner machen. Daran arbeiten wir. 
Nebenbei: Wie kann es sein, dass Lyss noch immer darüber diskutiert, ob man Dorf oder Stadt ist?
Alle hier sagen: Ich gehe ins Dorf. Ich kenne niemanden, der sagt, ich gehe in die Stadt. Fakt ist, dass wir wachsen und immer städtischer werden. Aber im Grunde ist es egal, als was wir uns bezeichnen. Viel wichtiger ist die Lebensqualität.
 
Sie haben in letzter Zeit vor allem durch das Thema Asylzentrum von sich reden gemacht. Sie haben im Grossen Rat eine Motion eingereicht, die fordert, dass die Situation ums Bundesasylzentrum Kappelen-Lyss verbessert wird. Was hat den Ausschlag dafür gegeben?
Das ist eine lange Geschichte. Wir hatten in Lyss 19 Jahre lang ein kantonales Durchgangszentrum. Schon damals gab es hin und wieder Scherereien. Und zwar immer dann, wenn Leute aus dem Maghreb kamen. Dann wollte der Kanton das Land an den Bund verkaufen und ein Bundesasylzentrum realisieren. Es hiess, wir würden diese Probleme nicht mehr haben, denn es gäbe strikte Eingangskontrollen. Um 18 Uhr müssten die Leute drin sein und um 8 Uhr dürften sie wieder raus. Nun haben wir hier aber nicht nur Leute, die auf den Bescheid warten, sondern auch abgewiesene Asylbewerber. Und ich stelle fest: Die Algerier machen Probleme. Bewohnende der Stigli/Spinsmatt erzählen mir, dass sie bei ihnen über den Sitzplatz laufen, in die Wohnung schauen, frühmorgens mit lauter Musik nach Hause kommen. Und wenn man etwas sagt, seien sie mega frech.
 
Ist es nicht etwas heikel, alle Algerierinnen und Algerier in einen Topf zu werfen. 
Natürlich machen nicht alle Probleme. Aber Ärger hatten wir immer mit Personen aus den Maghreb-Ländern. Sie schlagen Scheiben ein, brechen in Wohnungen und Geschäfte ein, stehlen, benehmen sich unmöglich. Meinem Gemeindeschreiber wurde das Velo zuhinterst aus dem Schopf geklaut, und wo hat man es gefunden? Hinter dem Asylzentrum.
Irgendwo muss der Kanton diese Menschen ja unterbringen.
Dann müssen wir schauen, dass sie uns keine Probleme machen. Sie können nicht nach Hause, sind nicht integriert, haben keine Perspektive. Man könnte sie zum Beispiel tagsüber arbeiten lassen. Wenn ich den ganzen Tag nichts zu tun habe, fällt mir auch nur Unsinn ein.
 
Der Grosse Rat hat ihre Motion angenommen. Nun soll der Kanton beim Bund Massnahmen einfordern, um die Kriminalität rund ums Asylzentrum zu unterbinden. Etwa, indem er den Druck auf die Herkunftsstaaten erhöht, die Asylsuchenden gemeinnützig beschäftigt oder sie, wenn sie straffällig werden, einsperrt. Wurde dies aus der Bevölkerung kritisiert?
Nein, ich erhielt nur positive Rückmeldungen. Die Leute sind froh, dass endlich mal jemand hinsteht. Ich sage ja nicht, dass wir das Zentrum nicht wollen. Wir wollen unseren Teil beitragen. Aber wer Scherereien macht, macht unser Image kaputt. Diese Leute sind hier Gäste und entsprechend anständig sollen sie sich aufführen. Ich will, dass sie kontrolliert werden und dass die Polizei für Ordnung sorgt. 
 
Leiden da nicht jene darunter, die nichts getan haben?
Im Gegenteil, denn das unanständige Benehmen einiger weniger wirft ein schlechtes Licht auf alle Asylbewerbenden. Zudem wird für sie gesorgt, sie bekommen Essen, ein Dach über dem Kopf, acht Franken pro Tag und die Krankenkasse wird ihnen bezahlt. Ich bin überzeugt, dass sich die meisten dort an die Regeln halten. Aber es kann nicht sein, dass ein paar wenige machen, was sie wollen. Die können nicht denselben Komfort geniessen wie jene, die sich an die Regeln halten. Ob die Motion etwas bringt, werden wir ja sehen.
 
Kehren wir zurück zu Ihren politischen Anfängen: In jungen Jahren haben Sie sich nicht gross für Politik interessiert.
Überhaupt nicht. Ich bin zur Politik gekommen wie die Jungfrau zum Kind.
 
Was hat Ihr Interesse geweckt?
Ich bin in Lyss aufgewachsen und war hier Lehrer. Ich war immer gut vernetzt, war im Turnverein, im Jedermannsturnen, in der Feuerwehr und im Widderclub. Meine Frau wäre gerne ins Ausland gegangen. Als an einer Schweizerschule in Chile eine Stelle ausgeschrieben war, habe ich mich beworben. Noch am selben Tag haben sie mir zugesagt. Aber ich habe gemerkt: Ich kann das einfach nicht. 
 
Warum nicht?
Ich bin hier verwurzelt. Wenn ich mit Kollegen Billard spielen ging, dachte ich: Bald machst du das zum letzten Mal. Also habe ich abgesagt. 1997 kam dann mein Vorgänger Hermann Moser zu mir. Er suchte Leute für die GGR-Liste. Ich dachte erst, Politik sei nichts für mich. Immer dieses stundenlange «Gliir», und am Schluss ändert sich doch nichts. Hermann Moser sagte zu mir: Du könntest doch in deinem Leben mal was machen. Also liess ich mich auf die Liste setzen.
 
Und Sie wurden auf Anhieb gewählt.
Ich habe absolut nichts gemacht und das zweitbeste Resultat von allen erreicht. Ich kam also ins Parlament und hatte keine Ahnung von nichts. Geblieben ist mir ein Geschäft, bei dem es um den Lothar-Sturm ging. Wir haben diskutiert, ob wir 800000 Franken investieren wollen, um in den Wäldern aufzuräumen. Es gab eine Riesendiskussion, das sei viel zu viel, da bin ich nach vorne gegangen und habe Vollgas gegeben. Ich habe gesagt, ich käme mir vor wie auf einem Schiff mit einem Loch. Wir diskutieren lang und breit darüber, was wir jetzt machen sollen, anstatt das Loch einfach zu flicken, bevor wir sinken. Das Geschäft ist durchgekommen. Da habe ich realisiert: Ich kann ja hier doch etwas bewegen. Vier Jahre später habe ich für den Gemeinderat kandidiert, dann wurde das Gemeindepräsidium frei. Ich finde, Gemeindepräsident ist der beste politische Job, den man haben kann.
 
Wieso? 
Weil man nah an den Leuten ist. Wenn ich rausgehe, schauen sie mir in die Augen, sagen mir direkt, was sie gut finden und was nicht. Und es geht immer um die Sache. Mir spielt es keine Rolle, ob eine Idee von rechts oder links kommt. Wenn sie gut ist, kann ich mich dafür begeistern. Im Gross- und Nationalrat hingegen gibt es Leute, die vertreten nur gewisse Gruppen. 
 
Sie sind also lieber Gemeindepräsident als Grossrat?
Ja. Ich werde zwar wieder für den Grossen Rat kandidieren. Mit meinem Wissen und meiner Vernetzung will ich mich dort für unsere Region einsetzen. Aber das hier ist mein Vollzeitjob, da steckt Herzblut drin. Wenn ich hier rausgehe, bin ich der Gemeindepräsident von Lyss, und zwar rund um die Uhr. 
 
Ist das nicht auch eine Belastung?
Doch. Wenn ich zuhause im Garten «grümschele», kann ich nicht in den schmutzigen Klamotten kurz ins Dorf. Dann würde es heissen: Wie läuft der denn rum? Ich gehe auch nicht einkaufen, das macht meine Frau, denn ich werde ständig angesprochen. Aber meine Zeit als Gemeindepräsident war top. Mir hätte nichts Besseres passieren können.
 
Was haben Sie gelernt?
Man kommt mit unglaublich vielen Leuten, Projekten und Sichtweisen in Kontakt. Wenn wir durch die Gemeinde fahren würden, könnte ich Ihnen überall sagen, was da wann gemacht wurde. Es gibt einem Weitblick.
 
Wie viele schlaflose Nächte hatten Sie?
Es gab schon einige. Wenn man im Fernsehen ein Direktinterview gibt, das man nicht mehr korrigieren kann, ist es wichtig, dass es gut über die Bühne geht. Da ist man schon nervös. 
 
Es wird immer schwieriger, Leute für Gemeindepolitik zu begeistern. Weshalb sollen sie es doch tun?
Man muss schon sehen: In einer kleinen Gemeinde ist man nebenamtlich Gemeinderat und verdient damit praktisch nichts. Geht man abends in die Beiz, hagelt es Kritik, dabei versucht man nur, etwas Gutes zu tun. Wenn es dazu noch kriselt im Gemeinderat, wird es schwierig, jemanden zu finden. 
 
Sie hätten also in einer kleinen Gemeinde nicht kandidiert?
Doch, wahrscheinlich schon. Aber ich kann verstehen, wenn jemand das nicht will. Es ist etwas anderes als in Lyss. Bei uns ist das Gemeinderatsamt ein 30-Prozent-Pensum und Gemeindepräsident ist ein Vollzeitjob. Zudem haben wir eine gut ausgebaute und professionelle Verwaltung, die grosse Unterstützung leistet. 
 
Nun sind sie noch wenige Wochen in ihrem Amt. Was steht noch an?
Ich werde ganz normal weiterarbeiten. Natürlich führe ich auch meinen Nachfolger Stefan Nobs ein, das ist mir wichtig. Wenn ich Leute vom Waffenplatz Lyss oder von Grossunternehmen treffe, nehme ich ihn mit, damit er diese Kontakte auch hat. 
 
Und dann?
Habe ich ein mulmiges Gefühl. Ich glaube, ich werde kein Problem damit haben, dass ich dann nicht mehr Gemeindepräsident bin. Aber ich war nun jeden Abend an einer Sitzung, und ab Januar ist dann plötzlich einfach nichts mehr. Ich werde erst einmal für einen Monat nach Schönried fahren und dort lesen und skifahren. Ich will eine gewisse Distanz schaffen zum Job. Danach ist schon bald wieder die Session, und dann kommen die Grossratswahlen, bei denen ich engagiert mitmachen will. Und dann schaue ich weiter.
 
Freuen Sie sich darauf, nicht mehr als Gemeindepräsident, sondern als Andreas Hegg durch Lyss zu spazieren?
Ja. Ich freue mich, sagen zu können: Jetzt musst du jemand anders anrufen. Nicht, dass es mir egal wäre. Aber ich muss mich nicht mehr kümmern.
 
Das wird wohl auch eine Entlastung sein?
Darauf bin ich gespannt. Ich habe das Gefühl, dieses Amt sei nicht belastend für mich. Aber manche Gemeinderäte haben mir schon gesagt, man merke erst, wenn sie weg ist, was für eine Last von einem abgefallen ist.

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