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Nik Bärtsch’s Ronin

«Unsere Musik ist vertonte Unmittelbarkeit»

Mit «Awase», dem sechsten Album für ECM, fahndet Nik Bärtsch mit seiner Band weiter im Labyrinth seiner «Ritual Groove Music» – obwohl die Band, dieses «Urtier», einen Herzinfarkt erlitten hatte.

Ein Voodoo-Uhrwerk in der Balance: Nik Bärtsch (2. v. l.) und seine Band Ronin machen Musik wie ein Bild von M. C. Escher, in dem entweder der Vogel oder der Fisch erkannt werden kann, aber nicht beides gleichzeitig. Bild: Jonas Holthaus / zvg

Interview: Rudolf Amstutz

Nik Bärtsch, die Musik von Ronin erzeugt schon seit Anbeginn einen hypnotischen Sog. Mit dem neuen Album «Awase» scheint dieser noch stärker geworden zu sein. Da hat sich in den sechs Jahren seit der letzten Platte wohl einiges getan?
Nik Bärtsch: Wir hatten 2012 mit dem Quintett unseren Höhepunkt erreicht und wollten damals mit einem Livealbum zeigen, wie viel Power und Kompaktheit Ronin besass. Aber die Band war auch wie ein Urtier. Wenn es mal rannte, liess es sich kaum mehr stoppen. Uns war damals klar, dass dieses Tier irgendwann mal einen Herzinfarkt erleiden würde.

 

Sie haben zusammen Ronin zum Quartett verkleinert und mit Thomy Jordi einen neuen Bassisten ins Kollektiv geholt.
Ja. Wir vermissten zunehmend die Geschmeidigkeit und die Möglichkeiten des Zusammenspiels, die wir ganz zu Beginn hatten, als wir noch ein Trio waren. Um die Geschlossenheit und die Flexibilität zurückzugewinnen, begannen wir einen langen Prozess, der dann in einem Quartett mündete. Als Zwischenetappe veröffentlichten wir 2016 ein akustisches Album mit unserer «Formation Mobile» und präsentierten damit noch einmal die Band, mit der eigentlich alles begann. So konnten wir wieder zurückkehren an jenen Ort, wo unser Zusammenspiel auf einer ganz subtilen Ebene stattfinden kann.

 

Obwohl Ronin sich aus vier unterschiedlichen Musiker-Persönlichkeiten zusammensetzt, klingt die Musik auf eine Weise kompakt und organisch, die dazu führt, dass das Kollektiv zu einem grossen Ganzen wird. Wie schwierig ist es, in diesem Gefüge einen Musiker auszuwechseln? Muss man da die Reset-Taste drücken?
Ganz genau. Das ist vergleichbar mit der Feinmechanik in einem Uhrwerk. Wir nennen es manchmal zum Spass das Schweizerische Voodoo-Uhrwerk, das wir in der Balance halten müssen. Da hat jedes kleine Rädchen seine Funktion und alles muss gut gewartet sein. Gleichzeitig muss es so laufen, dass man nicht merkt, was dahinter ist. Das ist extrem komplex und eine grosse Herausforderung. Darum spielen Drummer Kaspar Rast und ich auch seit Jahrzehnten zusammen.

 

Der Ort, aus dem Ronin seine Grooves schöpft, scheint wohl geordnet. Die komponierten Module, die als Ausgangsmuster dienen, sind übersichtlich durchnummeriert. Da fühlt sich von aussen die Musik anderer Funkateers, etwa George Clintons Funkadelic, genau umgekehrt an. Dort scheint der Groove aus dem Chaos heraus zu entstehen.
Aus unserer Idee des feinmechanischen gut geölten Räderwerks entsteht die Freiheit, die wir benötigen. Doch das ist bei jeder Funkband so. Egal, ob dies The Meters sind oder Funkadelic. Es geht immer um die Gemeinschaft, die sich untereinander bestens versteht. Mit Chaos hat dies nichts zu tun. Im Gegenteil. Man kennt die Rituale verschiedener afrikanischer Stämme, in denen es darum geht, zu tanzen und in Ekstase zu kommen. Auch dies geschieht über eine klare Organisation. Das Klischee der unorganisierten Völker stimmt nicht. Grooves basieren immer auf einer klaren Struktur.

 

Mit «A» von Bandmitglied Sha gibt es auf «Awase» erstmals eine Komposition, die nicht von ihnen stammt. Das Stück ist perfekt platziert, kommt es doch nach dem 18-minütigen «Modul 58», das den Hörer dermassen tief hineinzieht, dass es dann ein Stück wie «A» benötigt, um wieder rauszufinden.
«A» unterscheidet sich völlig von meinen Kompositionen. Dennoch fügt es sich mit seiner mantraartigen Energie bestens ins Album ein. «A» lässt die anderen Stücke in einem neuen Kontext erscheinen, weil es zwar anders ist, aber alles andere als ein Fremdkörper. Ein Fan hat Ronin kürzlich mit der Schrift Helvetica verglichen. Ich fand dies faszinierend, weil es zeigt, dass wir ein klarer Brand sind, der sich nicht abnützt. Dennoch ist es wichtig, dass sich die Schrift immer wieder in einem anderen Kontext präsentiert. Gerade unter diesem Aspekt ist «A» ein entscheidendes Stück.

 

Eigentlich ist es eine geniale Idee, sein musikalisches Universum anhand von durchnummerierten Modulen zu entwickeln. Auf der anderen Seite fragt man sich, ob Sie nicht manchmal aus dieser Ordnung ausbrechen möchten?
Nein. Als Künstler hat man immer zu viele Ideen und zu viele Interessen. Ich denke, es ist wichtig, dass man mit seiner kreativen Energie haushaltet. Ironischerweise hat aber gerade diese Strategie der modularen Grooves mir kompositorisch mehr Möglichkeiten eröffnet. Sie kommt meiner Affinität zu Rhythmen und meditativen Flows in einer Weise entgegen, die mir zu Beginn gar nicht klar wurde. Ich spüre auch jetzt mit der neuen Platte, dass da noch viel ungenutztes Potenzial existiert.

 

Das klingt, als ob dieser aus Modulen bestehende Spiegelsaal zu Ihnen sprechen würde.
Das ist ganz genau so. Da bekommt das kreative Arbeiten auch eine mystische Seite. Jedes dieser Muster hat einen spezifischen Charakter; und mein Job ist es, diesen Charakter zu untersuchen, der sich erst mit der Zeit öffnet. So wie ich meine eigene Art habe, diese musikalischen Ideen in eine Form zu bringen, hat auch die Band wiederum ihre eigene Art, diese Form zu interpretieren. Das ist ein Prozess, der nie abgeschlossen ist.

 

Es eröffnen sich auch neue Wege für den Hörer. Bei der Minimal-Music eines Steve Reich etwa wird in erster Linie der Kopf des Hörers angesprochen. Bei Ronin kann man aber auch übers Herz oder die Hüfte zur Musik finden.
Was die Art des Denkens betrifft, gibt es eine Verwandtschaft zu den Minimalisten. Allerdings haben diese auch ein gutes Marketing betrieben, indem sie ihre Form der Repetition in die klassische Musik hinein transportierten. Aber diese Art der Arbeit mit Mustern gibt es schon ewig, vor allem in Kulturen, in denen hinter dem Ganzen kein Autor steht. Der Unterschied zu uns ist, dass wir mit Beat-Balancen und mit Beat-Paradoxa arbeiten. Es ist wie bei den Bildern von M.C. Escher, in denen man entweder den Vogel oder den Fisch erkennen kann, aber nicht beides gleichzeitig. Dadurch entsteht eine tänzerische Energie, als ob zwei sich bewegen und der eine durch die Bewegung des anderen hineingezogen wird. Natürlich kann man mental in die Musik eintauchen und Schichten freilegen, aber es ist nicht zwingend notwendig. Unsere Musik soll nicht als gescheite Musik wahrgenommen werden, sondern als vertonte Unmittelbarkeit.

 

Die Unmittelbarkeit ist ein wichtiges Stichwort. Es ist die ewige Suche nach dem Moment.
So ist es. Ich mache ja auch Workshops, in denen ich unsere Musik mit der gewaltlosen Kampfkunst Aikido verbinde. Von da stammt auch der Titel des neuen Albums. «Awase» bedeutet, sich im Einklang miteinander zu bewegen. Man muss sich mit dem Gegner beziehungsweise Partner harmonisieren, so dass Eins plus Eins Eins ergibt, ganz ähnlich wie im Livespiel als Musiker. Das Ganze hat also nicht nur eine technische, sondern auch eine philosophische und spirituelle Seite. Man kann sein ganzes Leben nach dieser Präzision streben. Bis man eine Stufe erreicht hat, in der die Handlung so natürlich daherkommt, als hätte man sie nie geübt.

 

Versteht sich Ronins «Ritual Groove Music» als Gegenentwurf zu der Hektik unseres Alltags?
Würde ich so nicht sagen. Einerseits kehren wir immer wieder zurück an den Ort einer universellen archaischen Energie. Andererseits wollen wir auch eine moderne Band sein, die an der Front einer Entwicklung steht und neue Entwürfe präsentiert. Ganz im Sinne von Stravinsky, der sagte, dass jedes Musikstück eigentlich ein Kommentar sei zu allen anderen Musikstücken, die vor ihm kamen. Deshalb würde ich es nicht Gegenentwurf nennen, sondern eine positive Alternative.

Info: Nik Bärtsch’s Ronin: «Awase» (ECM/Musikvertrieb)

 

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«Simpsons»-Erfinder ist ein grosser Fan
Die Ritual Groove Music des Zürcher Pianisten und Komponisten Nik Bärtsch gibt es schon fast zwanzig Jahre und sie hat sich nie wiederholt, hat sich weder dem Mainstream noch der Routine ergeben. Musik, die kreist und pulsiert und in unendlichen Variationen vertont der Perfektion entgegenrollt. Der Weg als Ziel und die auf Platten verewigten und rund um die Welt in zahllosen Konzerten erschaffenen Klangskulpturen sind die Tagebucheinträge dieser ewigen Reise.

Und so hat sich die Band des 47-Jährigen in den letzten Jahren zu einer der international erfolgreichsten Schweizer Formationen entwickelt. Matt Groening, der Erfinder von «The Simpsons», gehört zu ihren grössten Fans und besucht jedes Konzert von Ronin an der US-Westküste. Wenn das Quartett nicht auf Tour ist, tüftelt es jeden Montagabend live in Bärtschs eigenem Club «Exil» in Zürich weiter.

Mit «Awase» hat Nik Bärtsch (Keyboards) mit Kaspar Rast (Drums), Sha (Bassklarinette, Altsaxophon) und Thomy Jordi (Bass) bereits das sechste Ronin-Album auf dem renommierten Münchner Jazzlabel ECM veröffentlicht. ra

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