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Alt und Jung

Vegane Currywurst 
und erhitzte Gemüter

Fast wöchentlich landen neue vegane Produkte auf dem Markt: Salami aus Erbsenprotein, Hafermilch oder Camembert aus Cashew-Kernen.

Bild: Jessica Ladanie

Alternativen zu tierlichen Produkten sind unterdessen massentauglich und nicht mehr wegzudenken. Ja, die Detailriesen liefern sich eine regelrechte grüne Schlacht.

Das stösst vielen Fleischessern und Fleischesserinnen sauer auf. Wobei, es sind vor allem Männer, die sich über pflanzliche Alternativen echauffieren. Während Sprüche wie «Veganer essen meinem Essen das Essen weg», leiser werden, bleiben einige Vorurteile haften: «Warum werden vegane Produkte wie Fleisch bezeichnet?», oder, «richtige Veganer verzichten auf Produkte, die wie Fleisch schmecken.»

Solche Sätze prasseln à gogo auf mich ein. Vor neun Jahren, als ich mich für ein veganes Leben entschied, suchte ich beim Einkauf vergeblich nach Alternativen zu Fleisch. Im Kühlregal, ganz hinten neben den Schinken-Tortellini, lag ein überteuerter Natur-Tofu. Heute füllen vegane Produkte ganze Theken. Vegetarier und Veganerinnen sind dabei nicht die primäre Zielgruppe. Viel mehr wittern Hersteller das grosse Geld bei den sogenannten Flexitariern. Das ist eine Wortschöpfung und bedeutet «flexible Vegetarier». Also weder Fisch noch Vogel – wobei, manchmal eben schon.

Manche argumentieren, pflanzliche Alternativen zu Fleisch, Milch und Co. seien eine Verbrauchertäuschung. Wo Milch draufsteht, soll auch Milch drin sein. Basta! Das sieht auch der Europäische Gerichtshof so. Nach einem Urteil dürfen nur solche Produkte die Bezeichnungen «Milch» tragen, die aus der «normalen Eutersekretion von Tieren» gewonnen werden. Wie die Laktose einigen auf den Magen schlägt, dürfte der Begriff «Eutersekretion» nicht leicht verdaulich sein – marketingtechnisch erst recht nicht. Würde statt «Wiesenmilch», «Eutersekret von Kühen» das Tetrapak zieren, dürfte der Verkauf von Hafermilch wohl noch mehr durch die Decke gehen.

Wobei «Hafermilch» nicht korrekt ist. Denn diese besteht eben nicht aus «Eutersekret» und darf folglich nur «Haferdrink» genannt werden. Auch Sojamilch sei irritierend, urteilt der Gerichtshof, obschon Menschen in Fernost bereits vor 2000 Jahren Sojamilch herstellten. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel: Die Scheuermilch – ihrerseits höchst toxisch und weder aus Eutern stammend noch für den menschlichen Verzehr geeignet – darf ihren Namen behalten. Ein Hoch auf den Konsumentenschutz!

Dabei sehen wir uns täglich mit kreativen Wortschöpfungen der Lebensmittelindustrie konfrontiert. Doch bei vielen Bezeichnungen sehen die meisten – verständlicherweise – keinen Handlungsbedarf.

Gemessen wird eben gerne mit zweierlei Mass. Während «vegane Currywurst» eine «Verbrauchertäuschung» darstellt, schlemmen wir munter Bärchenwust, Gummibärchen, Zimtschnecken, Katzenzungen, Fleischtomaten oder Honigmelonen. Die beliebte Kinderschokolade ist natürlich nicht aus Kindern, sondern für Kinder. Im Kinder-Überraschungsei finden wir keinen Eidotter, dafür überflüssiges Plastik, das nach kurzer Lebensdauer im Abfall landet. Und überhaupt steckt in fast allen Produkten Eiweiss drin, doch Proteine oder ebene Eiweisse, müssen nicht von Hühnern stammen. Das ist aber den meisten, so wie mir auch, ziemlich egal.

Warum aber essen Veganer und Veganerinnen Fleischalternativen? Ganz einfach: Sie dienen Konsumierenden als Einstiegshilfe in eine tierfreundliche und nachhaltigere Ernährung. Und noch wichtiger: Weil immer mehr Menschen zwar den Geschmack von Fleisch, Milch und Co. mögen, jedoch aus ethischen Gründen darauf verzichten wollen.

Die Schlacht um vegane Produkte hat erst begonnen. Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Zeit ist reif und der Wandel nicht mehr aufzuhalten – die Lebensmittelindustrie wird ihrerseits noch viele amüsante Wortschöpfungen kreieren.

Info: Jessica Ladanie ist 30 Jahre alt, arbeitet in der Kommunikation und ist für die Tierrechtsorganisation Tier im Fokus (TIF) fürs Visuelle zuständig.


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