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Wortsalat

Von der Schönheit des schlechten Wetters

Den Wetterbericht zu lesen ist dieser Tage keine Freude – ausser im «Bieler Tagblatt».

Matthias 
Knecht

Matthias Knecht

Nicht, dass wir im Seeland mit besserem Wetter glänzen als der Rest der Schweiz, im Gegenteil. Doch im Gegensatz zu den scheusslichen Begriffen wie «feuchte Polarluft», «Tiefdruckrinne», «Schneefallgrenze» oder «langanhaltende Regenschauer», die uns verschiedene Online-Wetterdienste um die Ohren hauen, fahren wir bei unseren Vorhersagen eine andere Strategie. So finden sich darin Formulierungen von literarischer Vollendung, wie etwa dieser wunderbare Satz: «Eine schwach ausgeprägte Kaltfront streift die Schweiz, ein seichter Schwall mit mässig feuchter Luft schwappt über die Alpennordseite.» Ganz nach dem Motto: Wir können das Wetter zwar nicht besser 
machen, wir gewinnen ihm aber die poetischen Seiten ab. Schöner lässt sich schlechtes Wetter nicht präsentieren.

Das Lob dafür gebührt nicht der BT-Redaktion, sondern der Firma Meteotest in Bern, die uns regelmässig mit solchen wunderbaren Prognosen bedient. Das erscheint erstaunlich, stehen doch Meteorologen und andere Naturwissenschaftlerinnen im Ruf, ihre Erkenntnisse eher nüchtern unters hochnebelgeplagte Volk zu bringen.

So habe ich über den Zusammenhang von Wetterprognose und Wortkunst nachgeforscht, und siehe da: Die beiden Disziplinen haben eine historisch enge Verbindung. Der erste Mensch, der sich im deutschen Sprachraum an der Meteorologie versucht hat, war nämlich der Universalgelehrte Johann Wolfgang von Goethe. Er besass eines der ersten Barometer, sorgte Anfang des 19. Jahrhunderts für den Aufbau der ersten Wetterstationen und entwickelte die erste Wettertheorie. Demnach entsteht das Wetter dadurch, dass die Erde ein- und ausatmet. Das klingt zwar schön, ist aber doch wenig hilfreich, wenn man wissen will, ob man den Regenschirm oder den Sonnenhut braucht.

Das muss auch Goethe eingesehen haben. Er studierte darum die Schriften des ersten britischen Meteorologen, Luke Howard, auf den die heutigen Benennungen der Wolkenformen zurückgehen, etwa die Cirrus-, Kumulus- und Stratuswolken.

Der deutsche Dichter liebte es allerdings poetischer und schrieb lieber von Kranich- und Zauberwolken. Beeinflusst war Goethe vom Sanskrit-Dichter Kalidasa, der um das Jahr 400 ein meteorologisches Liebesgedicht verfasst hatte. Darin wird ein nachlässiger Diener, der nur an seine schöne Frau dachte, zur Strafe auf einen Berg verbannt, weit weg von seiner Liebsten. Dort überredet der Verbannte eine vorbeiziehende Wolke, seiner Gattin eine Liebesbotschaft zu überbringen. Die 111 erotischen Vierzeiler sind bis heute erhalten – es ist das Epos Meghaduta, das Goethe als Vorlage diente.

Und damit zurück zum Wetter. Wenn es ganz und gar unerträglich werden sollte, dann vertrauen Sie, liebes BT-Publikum, doch einfach der nächsten Wolke eine Liebesbotschaft an! Oder hören zu, was die Wolke zu erzählen hat! Und wenn auch das nicht 
gelingen mag, dann lesen Sie den Wetterbericht im BT! Sie werden poetisch überrascht sein.

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