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Alt und Jung

Von Renens ins Weltall

Es war zwischen Weihnachten und Neujahr, der Tag des Familientreffens ausserhalb von Lausanne, in Renens, einem kleinen Dorf.

Françoise Verrey Bass

Ich war noch klein, vielleicht vierjährig, es war Krieg. 
Wir fuhren mit der tram-ähnlichen Vorortbahn aus der Stadt heraus, bis zur Station Renens, einer Holzhütte. Wir überquerten die schmale Strasse und betraten den schneebedeckten Feldweg. Mein Vater ging voraus und pfadete, wir hinter ihm, mit gestrickten langen Strümpfen an den Beinen, und in Winterschuhen mit Holzsohlen, von denen man immer wieder den Schnee abklopfen musste. Lange Hosen gab es auch für 
Buben nicht. Skianzüge? Unbekannt.

Bis wir bei der Grosstante im umgebauten Bauernhaus ankamen, waren wir durchfroren und nass. An das Fest erinnere ich mich nicht mehr, sehr wohl jedoch an den Rückweg zur Bahnstation. Die Nacht war klar und kalt. Am Himmel funkelten die Sterne, auf der anderen Seeseite streckten sich die schwarzen Berge gen Himmel. Wegen der Verdunkelung war nirgends ein Licht zu sehen. Auch nicht die sonst häufigen Licht-kegel der Fliegerabwehr über dem See. Um uns herum nur Stille, kein Haus in der Nähe, drüben ein kleiner Wald.

20 Jahre später bezogen meine Eltern eine Neubauwohnung im siebten Stock in Renens. Man fuhr direkt mit dem Bus vom Bahnhof dorthin. Ich kam auf Besuch, schaute mir die Wohnung an und trat auf den Balkon. Ganz in der Nähe ein kleiner Wald. Ich blickte nach unten, aufmerksam geworden durch Lärm und Männerstimmen. Und ja, richtig erraten, ich erkannte das Wohnhaus meiner Grosstante. Doch oje, in welchem Zustand! Es wirkte wie eine Baracke; verlottert, umringt von alten Pneus und rauchenden Männern, die hin und her gingen und die Pneus auf einen kleinen Laster luden. Die Männer unterhielten sich in einer fremden Sprache. Vielleicht italienisch? Anfangs der 60er-Jahre hatten wir ja vor allem italienische Gastarbeiter, die im Winter jeweils für drei 
Monate zurück in die Heimat gingen – die 
Saisonniers.

Wenn ich an das alte Bauernhaus zurückdenke, denke ich an drei Bilder der gleichen Landschaft. Erstes Bild: ein alleinstehendes Haus auf einem Hügel, ein Weg. Zweites Bild: viele mehrstöckige Häuser; Strassen, Autos. Drittes Bild: ein Tunnel unter dem Hügel mit einem darin verschwindenden Zug, eine breite Autostrasse entlang des Hügels. Dieser ist kaum mehr zu sehen, dafür eine Stadt mit bereits vereinzelten Hochhäusern.

1969 war die erste Mondlandung. Von 1961 bis 1968 hatte nicht ein Wissenschaftler die Nasa dirigiert, sondern ein Beamter, der es bis in diese hohen Sphären geschafft hatte. Im Laufe der Jahre erreichten die Forschenden der ganzen Welt sehr viel und kamen mit bemannten Raumfahrzeugen immer weiter in die Stratosphäre. Es kam zur internationalen Zusammenarbeit, sodass 1990 das Hubble-Weltraumteleskop ins All geschickt wurde. Es konnten erstaunliche Entdeckungen gemacht werden, die unser astronomisches Wissen um Jahrtausende beschleunigte. Edwin Hubble war ein ganz grosser Astronom, der bereits wesentliche Entdeckungen mit den damaligen Möglichkeiten in der 
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts machte. 
Das Teleskop wurde ihm zu Ehren benannt.

Und jetzt, am 24. Dezember 2021, ein Tag vor Weihnachten, gelang der Start des James-Webb-Weltraumteleskops mit Möglichkeiten, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können und die uns sehr viel über die Vergangenheit des Alls und unserer alten Erde werden sagen können. In sechs Monaten beginnen die wissenschaftlichen Arbeiten, wenn das Webb-Teleskop seine Bahn um die Erde in unvorstellbarer Entfernung erreicht haben wird. So der Plan.

James Webb? Der Beamte, der es Anfang der 60er-Jahre bis zum Nasa-Direktor geschafft hatte, kein berühmter Wissenschaftler. Dafür sind jetzt die besten Forschenden der ganzen Welt in den Startlöchern, um mit Hilfe dieses gigantischen Teleskops möglichst viele Entdeckungen zu machen. Andere Menschen vielleicht, oder irgendwo anderes Leben?

Und das alles in 80 Jahren. Das kleine Mädchen mit den nassen Füssen in den Schuhen mit den Holzsohlen hätte sich eine solche Entwicklung niemals vorstellen können.

Übrigens: Meine Eltern haben etwa 15 Jahre in dieser Wohnung in Renens gelebt. In dieser Zeit verschwand die Baracke, neue Häuser entstanden, Strassen, ein neues Quartier. In der Nähe wurde der neue Bahnhof von Renens erstellt, der im heutigen Bahnverkehr immens wichtig geworden ist für den Warenumschlag. Renens ist Teil von Lausanne geworden. Und die EPFL mit unseren zukünftigen Wissenschaftlern ist nur ein Steinwurf entfernt. Dies ist verbunden mit der Hoffnung, dass die EU die Wiederaufnahme der Schweizer Studenten und Wissenschaftlerinnen in ihr Programm Horizon Europe zulässt, es würde für die jungen Forschenden 
einiges vereinfachen.

Info: Françoise Verrey Bass ist 83 Jahre alt. Sie hat vier Kinder und acht Enkelkinder. Bis 2012 führte 
die studierte Neurologin in Biel eine Praxis. Sie ist 
bilingue und engagiert sich bei Pro Senectute für 
Altersfragen.


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