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Wochenkommentar

Warum es ohne eine sanfte Quote nicht geht

Spätestens in fünf Jahren sollen in den Chefetagen der Bieler Stadtverwaltung 45 Prozent Romands sitzen und damit die Bieler Bevölkerung repräsentieren, die schon heute aus 43 Prozent Französischsprachigen besteht. Um das zu erreichen, hat sich der Gemeinderat das Ziel gesetzt, die Zahl der welschen Chefinnen und Chefs von heute 31 Prozent (von total 90 Kaderstellen) um 14 Prozentpunkte zu steigern.

Deborah Balmer, Stv. Ressortleiterin Region

Deborah Balmer

Er hat begriffen, dass sich das Gleichgewicht zwischen Romands und Deutschschweizern nicht einfach auf wundersame Weise von alleine einstellt. Oder anders gesagt: Weil das bisherige Rekrutierungssystem die Realisierung eines Gleichgewichts nicht förderte, wurde es Zeit, dass sich die Exekutive an die Arbeit machte. «Ich bin sehr froh über diesen Schritt. Er war dringend nötig», sagt Natasha Pittet zufrieden. Sie ist Stadträtin des Parti Radical Romand und spricht sich dafür aus, dass auch in den stadteigenen Unternehmen und deren Verwaltungsräten die Einstellungsquote für Frankophone berücksichtigt wird. Also beispielsweise bei der Congrès Tourisme et Sport SA (CTS), beim Energie Service Biel (ESB) oder bei den Verkehrsbetrieben Biel (VB).

Vorerst betrifft das neue Einstellungsverhalten die Stadtverwaltung. Und das ist gut so: Die Auswahl an kompetenten Französischsprachigen wird mit Sicherheit genug gross sein. Auch, weil seit mehreren Jahren vermehrt Menschen aus der Westschweiz nach Biel ziehen. Die welschen Neuzuzüger kommen zahlreich aus dem Genfersee-Gebiet und aus Neuenburg. In der Stadt Biel finden sie Lebensqualität, loben, dass es für ihre Kinder noch Quartier-Schulen gibt und dass sie in der Stadt noch Eigentum erwerben können, ohne mehrfache Millionäre sein zu müssen.

Zwar redet die Stadt wohl bewusst nicht von einer Quote, sondern von einer Zielsetzung. Streng genommen müsste bei einer Quote in jedem Fall eine Welsche oder ein Welscher eingestellt werden, bis die 45 Prozent erreicht sind. Hier will man sich eine gewisse Flexibilität bewahren. Doch das Ziel, das man durch diese «sanfte Quote» erreichen will, ist klar und richtig. Sie wird auch nicht zu einem Kompetenz-Verlust in der Stadtverwaltung führen. Auch wenn Kritiker oft einwenden, dass (sanfte) Quoten ein schlechter Weg seien und nicht im Sinne der Bestenauswahl funktionierten. Aber wer kann schon ernsthaft behaupten, dass es nicht 41 gut ausgebildete kompetente frankophone Kaderpersonen gibt, die gerne in der Bieler Stadtverwaltung arbeiten würden? So zeigte sich bei der Analyse der Stadt, dass man bisher einerseits die Stellenausschreibungen nicht bewusst genug formuliert hatte, andererseits an falschen Orten suchte oder sogar die Lebensläufe der sich bewerbenden Romands nicht korrekt las.

Der höhere Anteil an Romands in der Stadtverwaltung wird für soziale Fairness sorgen – und positive Folgen haben: Mehr Vielfalt vergrössert erwiesenermassen den Erfolg eines Betriebs. Und gerade in der Administration einer Stadtverwaltung macht es Sinn, wenn sich die Bevölkerung im direkten Kontakt angemessen vertreten sieht.

Das Gleiche gilt praktisch 1:1 für einen repräsentativen Anteil von Frauen in Führungspositionen. Auch hier will es die Stadt bis Ende 2024 schaffen, jeden zweiten Führungsposten mit einer weiblichen Person zu besetzen. Das Ziel mag ehrgeizig sein, aber nicht nur in der Politik, sondern auch in Unternehmen gilt mittlerweile die Devise: Wer ohne Frauen vorwärts kommen will, der verliert. Frauen und Gleichstellungsanliegen werden immer wichtiger und lassen sich nicht mehr ausblenden. Und es ist auch nicht so, dass die Kompetenz in einer Firma sinkt, weil die vermeintlich «schlechtere Frau» statt der «bessere Mann» angestellt wurde. Viel eher ist das Gegenteil der Fall. Dann nämlich, wenn der Wettbewerb um die Stellen zunimmt, weil sich insgesamt mehr Leute darum bemühen. Das geschieht, wenn Frauen in Stellenprofilen ganz gezielt angeworben werden. Oder wenn nötig mit einem Headhunter gesucht werden. Und was, wenn Frauen, sind sie erst einmal in ihrem Job, ihre Arbeit mindestens so gut machen wie die Männer? Denn ohne Frage gibt es genügend qualifizierte Top-Frauen. Immer wieder heisst es, zunehmend seien an vielen Arbeitsstellen Eigenschaften wie Empathie, soziale Intelligenz, Anpassungsfähigkeit und Disziplin gefragt – Eigenschaften, die man besonders den Frauen zuspricht. Nicht mehr starre, sondern eher flache Hierarchien sind gefragt. Und Erfolg im Beruf muss nicht zwangsläufig nur mit einer ständigen Präsenz im Büro verbunden sein. Nicht zuletzt kann eine solche Arbeitswelt auch für Männer attraktiver sein.

Natürlich braucht es für mehr Frauen in den Chefetagen flexible Arbeitszeiten, die gleichen Löhne für Frauen und Männer und ein familienfreundliches Berufsumfeld – etwa firmeneigene Kinderkrippen. Eine «sanfte Quote» ist ein erster Schritt, auch um diese Punkte umzusetzen. So, dass Führungsposten für das weibliche Geschlecht attraktiver werden. Es wäre begrüssenswert, wenn Gemeinderätin Silvia Steidle (PRR) recht hätte mit dem, was sie diese Woche sagte: «Bis ins Jahr 2024 wollen wir 50 Prozent Frauen in den städtischen Kaderpositionen. Das Ziel ist realistisch, wenn man die zu erwartenden Fluktuationen anschaut.»

Funktioniert es tatsächlich, kann die Stadt Biel – zumindest in der Schweiz – sogar eine Vorbildrolle einnehmen.

dbalmer@bielertagblatt.ch

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