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Wortsalat

Was Angela Merkel mit den Impfmuffeln zu tun hat

Haben Sie es im BT gelesen? Angela Merkel hat letzten Sonntag öffentlich Sprachanalyse betrieben.

Matthias Knecht
Matthias Knecht
 
Dabei tat sie genau das, was auch in dieser Kolumne regelmässig passiert: Sie hat den Duden konsultiert. Ihre Erkenntnisse präsentierte Merkel in ihrer Rede zum Tag der Deutschen Einheit. Sie zeigte auf, wie scheinbar harmlose Begriffe in Wahrheit Vorurteile und Geringschätzung zementieren, auch gegenüber der früheren DDR-Bürgerin Merkel.
 
Mindestens so schwierig wie das Verhältnis zwischen West- und Ostdeutschland ist dasjenige zwischen Befürwortern und Gegnerinnen der Covid-Impfung. Auch hier ist das Terrain gespickt mit wertenden Worten. Halbwegs neutral ist der Begriff Impfgegner, laut Duden eine Person, die Impfungen ablehnt und diese auch nicht bei ihren Kindern erlaubt. 2068-mal ist der Impfgegner in Schweizer Zeitungen in den letzten zwölf Monaten verwendet worden. 
 
1323-mal war hingegen von Impfskeptikern die Rede. Diese Wortwahl lässt eine gewisse Sympathie erkennen für die Menschen, die sich nicht piksen lassen wollen, zeigt doch ein Skeptiker wohlüberlegte Vorsicht. Positiv besetzt ist auch das Wort Impfkritikerin – 172-mal.
Schreiben Zeitungen hingegen von Impfverweigerern, zeigen sie eine ablehnende Haltung diesen Menschen gegenüber. Denn so ein Verweigerer ist ja wohl stur wie ein Esel. 511-mal war dies in Schweizer Zeitungen im letzten Jahr der Fall. Noch abwertender das Wort Impfmuffel – 258-mal. Da müffelt es geradezu. 
 
Die Zahlen stammen aus der Schweizer Mediendatenbank und sie zeigen, dass die Schweizer Medien vielfältig sind. Die Sprache offenbart, dass es in den Redaktionen sowohl Befürworter als auch Gegner des Impfens gibt. Auch im «Bieler Tagblatt» sind die genannten Begriffe aufgetaucht; im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt verwendet das BT aber deutlich weniger das positiv besetzte Wort des Impfskeptikers. Dies verrät, dass das BT im Vergleich zu anderen Redaktionen weniger Sympathien für Ungeimpfte hat. Oder spiegelt die Redaktion nur die lokale Stimmung wieder? Im Seeland sind wir schliesslich Impfturbos, wie dick und fett im BT zu lesen war.
 
Der Impfturbo, den man auch abschätzig verstehen kann, tauchte 160-mal in den letzten zwölf Monaten im Schweizer Blätterwald auf. Der neutrale Impfbefürworter schaffte es nur 139-mal in die Zeitungen.
 
Egal ob Turbo oder Muffel: Darf die Zeitung solche wertenden Begriffe verwenden? Die Antwort lautet: Unbedingt! Sie muss es sogar. Denn die Zeitung soll die Dinge klar benennen, in verständlicher, farbiger Sprache, auch wertend. Das erwarten die meisten Leserinnen sogar von ihrer Zeitung.
 
Eine erfolgreiche Politikerin hingegen vermeidet polarisierende Begriffe. Die nüchterne Angela Merkel wurde auch darum zur Weltpolitikerin, weil sie weiss, wie viel Schaden ein falsches Wort anrichten kann. Und weil sie es so gut weiss, hoffen wir, dass die demnächst pensionierte Kanzlerin uns mit weiterer Sprachanalyse beglücken wird.
 

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