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Welsche sind ja herzlicher als wir

Vor etwa 10 bis 2 Millionen Jahren ist der Jura durch eine Verschiebung des afrikanischen Kontinents nach Norden entstanden.

Niklaus Baschung

Niklaus Baschung

Wer dannzumal über den lieblichen Gebirgszug gewandert ist, kann bezeugen, dass noch keine Menschen dort gelebt haben. Nicht einmal französischsprechende.

Ein paar Millionen Jahre später, damals noch im Solothurnischen ansässig, war ich zum ersten Mal auf dem Gebiet des Kantons Jura zu Fuss unterwegs, auf einer Rundwanderung von St. Ursanne aus. Und ich grüsste alle freundlich, die mir über den Weg liefen, mit «Bonjour». So wie man mir dies gelernt hat. Denn ich kam ja in friedvoller Absicht.

In früheren Epochen haben sich Fremde, um das Vertrauen des Gegenübers zu gewinnen, sogar ihre waffenlose rechte Hand dargeboten. Dies fand ich dann doch etwas übertrieben, obwohl ich in diesen fremden Kanton eingedrungen bin.

Zudem wollte ich meine Bewaffnung, also das Sackmesser, nicht hergeben. Trotzdem wurde mein «Bonjour» von den Passanten nie erwidert. Ausser von offensichtlich ebenfalls Deutschsprachigen.

Das nächste Mal, wir waren vom Bahnhof in Saignelégier aus unterwegs, grüsste ich die Menschen deshalb im Akzent meines solothurnischen Heimatdorfes. Denn wahrscheinlich mögen sie hier im Jura einfach diese bösen Berner nicht. Ich sagte also voller Charme «Bonjou» und unterdrückte den Buchstaben «r», wie es bei uns gang und gäb gewesen ist, wenn wir auf den «Bäg ufä si go z’Mogä ässä». Die Wirkung war gleich Null, ich hätte auch gleich «grüessech» sagen können.

Ich überlegte noch kurz, ob ich mich als Zeichen meiner Ehrerbietung verneigen soll, dann auf die Knie falle und ihre Wanderschuhe küsse. Doch schliesslich liess ich das ausserkantonale Küssen und Grüssen während des Wanderns im Jura fortan sein. Ganz offensichtlich grüsst man sich im Welschland einfach nicht.

Mit dieser gefestigten Meinung verbringe ich in diesem Sommer zum ersten Mal Wanderferien im französischsprachigen Unterwallis. Zuerst fällt mir auf, dass mich hier auf den Routen auch wandernde ausländische Touristen, Dänen, Holländer, Deutsche unentwegt mit «Bonjour» begrüssen. Dieselben Leute also, die in deutschschweizerischen Wandergebieten verschämt verstummen, wenn ihnen ein herzhaftes «Grüessech» entgegengebracht wird. «Bonjour» tönt offenbar viel cooler!

Diese aufdringliche «Bonjour’erei» ist auf beliebten Wanderstrecken nach der zwanzigsten Wiederholung etwas nervig. So wage ich es, zunehmend ermattet von so viel Freundlichkeit, an einem Einheimischen stumm vorbeizuschreiten, worauf dieser stehen bleibt und wie ein gestrenger Lehrer wartet, bis ich seinen Gruss erwidert habe.

Unheimlich – Welsche sind ja herzlicher als wir Deutschschweizer. Ich werde nächstens wieder ins jurassische Saignelégier oder ins bald jurassische Moutier gehen und dort alle mir Begegnenden mit einem herzhaften «Grüessech» begrüssen. Und darauf bestehen, dass sie sich darüber freuen.

Stichwörter: Neulich, Welsche

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