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Alt und Jung

«Wenn ich gross bin, werde ich Ärztin», 
sagte die Vierjährige

Geboren wurde ich in Lausanne. 1947 Umzug nach Bern, 3. Primarklasse, Deutsch lernen.

Françoise Verrey Bass 


Françoise Verrey Bass 


Nach der 4. Klasse Prüfung für die Sekundarschule. Das Progymnasium war kein Thema: «Sie kann zu wenig Deutsch!» Ende der 6. Klasse bestand ich die Prüfung für das Progymnasium. Die treibende Kraft: «Ich will Ärztin werden!».

Als es um den Übergang ins Gymnasium ging, wollte der Rektor des Progy dies verhindern, obschon mein Durchschnitt genügend war. Ein Knabe war ungenügend, er sollte meinen Platz bekommen. Meine Mutter sprach beim Rektor vor: «Warum soll ein Mädchen mit genügenden Noten nicht ins Gymnasium gehen können und einem Knaben den Platz lassen?» «Sie wird später sowieso heiraten und Kinder haben und dann ist die ganze Mühe für die Katze!» Meine Mutter liess sich nicht abweisen. Kurz danach überlegten meine Eltern doch die Kosten des langen Studiums. «Willst Du wirklich ...?» Ich wollte.

Ich fühlte mich in der Klasse wohl, obschon ein Lehrer fand, ich sei nicht am richtigen Platz. Leider der Deutsch- und gleichzeitige Klassenlehrer! Doch ich führte es auf meine «Welschheit» zurück und nicht auf die Tatsache, dass ich ein Mädchen war. Schliesslich waren wir deren sechs, also ein Drittel der Klasse.

Nach der Matura kam die Universität. Bevor ich das Studium beginnen konnte, wurde ich zum Dekan der medizinischen Fakultät zitiert: «Fräulein Verrey, Sie wollen Medizin studieren. Wissen Sie, dass Ihre Ausbildung den Staat mindestens 100 000 Franken kosten wird? Wir erwarten von Ihnen, dass Sie sich moralisch verpflichtet fühlen, nach Abschluss des Studiums auch als Ärztin zu arbeiten. Sie werden in der Schuld des Staates stehen!»

Das Lernen an der Uni nach den Jahren im Gymnasium wurde leichter. Ich fühlte mich nicht benachteiligt als Frau. Wir waren sechs oder sieben Mädchen, die Jahrgänge waren klein, 50 Studenten pro Jahr etwa. Schliesslich, nach einem Semesteraufenthalt in Paris, absolvierte ich die drei letzten Semester in Lausanne (meine Eltern wohnten wieder dort) und hatte da das kantonale Stimm- und Wahlrecht! Staatsexamen Dezember 1963. Stellenantritt in Montana am 1. Januar 1964. Damit Verlust des kantonalen Stimm- und Wahlrechts!

Die Assistenten hatten alle den gleichen Lohn. Es war jedoch eigenartig, dass wir nach sechseinhalb Jahren Studium mit 26 Jahren ein Gehalt von 800 Franken pro Monat erhielten; die Lehrer, die mit 20 Jahren aus dem Seminar kamen, erhielten von Anfang an 1200 Franken!

Erst nach dem Studium bekam ich zu spüren, dass eine Ärztin einem Arzt nicht gleichgestellt wurde. Das erste Mal war es, als ich eine Anstellung in einer Kinderklinik suchte. Kein Chefarzt stellte eine Frau an. «Mit Frauen gibt es nur Probleme, und am Schluss heiraten sie und hören auf.» «Und die Männer, der Militärdienst?» «Das ist was ganz anderes. Als Mediziner werden sie Offiziere, lernen befehlen, organisieren, Entscheidungen treffen, reagieren!»

Der Neurologieprofessor in Bern war gerade nach einer Zusatzausbildung aus den USA zurück. Er hatte drei Töchter, dachte an ihre Zukunft. Er stellte mich an, sowie wenig später eine zweite Assistentin. Wir wurden beide Neurologinnen FMH.

Mit 30 Jahren, als Oberärztin in Biel auf der Medizin, realisierte ich entsetzt, dass Frauen und Männer für die gleiche Arbeit nicht den gleichen Lohn erhielten! Verheiratet und mehr verdienend als mein jüngerer Partner, hatte ich jedoch bereits erfahren, dass ich über meinen Lohn nicht frei verfügen konnte: Als ich 1976 aus dem kantonalen Dienst austrat, um eine Praxis in Biel zu eröffnen, wurde mein bisheriger Beitrag an die zweite Säule auf unser gemeinsames Konto überwiesen und war damit für mich definitiv verloren. Selbstständig Erwerbende konnten keine zweite Säule haben. Nach dem alten Eherecht entschied der Ehemann, wie das Geld ausgegeben wurde. Bei einer Ausgabe seiner Frau über 1000 Franken konnte er den Kauf rückgängig machen. Das Recht war auf seiner Seite.

Nach der Scheidung 1983 musste ich mich für einen Namen entscheiden. Der Kinder und der Praxis wegen, nahm ich den Namen Bass an. 1988 kam das neue Eherecht. Ich begab mich aufs Einwohneramt und liess meinen ledigen Namen vor dem zweiten setzen, wobei ich für diese Namensänderung eine rechte Gebühr zahlen musste.

Obschon erfahrene Neurologin, kam es auch nach 1983 vor, dass vor den Sommerferien und vor Weihnachten Rechnungen nicht bezahlt wurden, obwohl die Patientinnen und Patienten das Geld von ihren Krankenkassen erhalten hatten. Wenn ich reklamierte, bekam ich unter anderem die Erklärung, dass ich ja einen Mann hätte, der finanziell für mich aufkäme, somit quasi eine Hobby-Ärztin sei. Diese Äusserungen waren sehr verletzend.

Zum Glück überwogen die positiven Momente. Heute werden die Ärztinnen klar als vollwertige Medizinerinnen angesehen, erleben solche erniedrigenden Situationen nicht mehr, werden auch nicht mehr mit «Schwester» angesprochen. Der Weg ist lang, die respektvolle Gleichberechtigung der Geschlechter noch nicht erreicht, aber vieles ist deutlich besser geworden in den letzten 60 Jahren!

Info: Françoise Verrey Bass ist 82 Jahre alt. Sie hat vier Kinder und acht Enkelkinder. Bis 2012 führte die studierte Neurologin in Biel eine Praxis. Sie ist bilingue und engagiert sich bei Pro Senectute für Altersfragen. 


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