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Titelgeschichte

Wie Künstler das Stedtli sahen

Auch ein historischer Ort wie Büren wandelt sich:Das neue Buch von Ulrich Gribi zeigt Überraschendes, Schönes und Verschwundenes.

Ein Blick ins Bürener Stedtli um 1800. Im Hintergrund thront das 1906 abgerissene Dotzigentor. Bild: zvg/Künstler unbekannt

Andrea Butorin

Während der Coronapandemie sind unzählige neue Projekte entstanden. Eins davon kommt frisch aus der Druckerpresse: «Büren an der Aare. Gestochen, gezeichnet, gemalt», heisst das neueste Buch des Büreners Ulrich Gribi. Ganze zwei Kilogramm wiegt die Sammlung; 316 Bilder auf 256 Seiten.

Nicht dass die Idee dazu erst letztes Jahr entstanden wäre. Ulrich Gribi sammelt seit über 50 Jahren Bilder und Geschichtliches über seine Heimat- und Wohngemeinde. Doch als der Lockdown ausgerufen wurde und der 72-Jährige seine drei Enkel nicht mehr sehen durfte, sagte er sich: «Ich muss etwas Sinnvolles machen, sonst werde ich ja noch verrückt!» Also griff er in seine Schublade, in der er Material für mögliche Buchprojekte hortet, und begann, seine Schätze zu sortieren und historisch einzuordnen.

Eigentlich die Arbeit eines Historikers. Doch das ist Gribi nicht, er ist pensionierter Bankangestellter. Sein Stedtli hat ihn aber immer schon fasziniert. Urgrossvater Emanuel Gribi besass ein Haus, das direkt an die einstige Stadtmauer und ans Dotzigentor angebaut war. Haus, Mauer und Tor gibt es heute nur noch auf Bildern, sie alle mussten der Modernisierung Bürens weichen. Er frage sich immer wieder, schreibt Gribi im Buch, warum seine Vorfahren dieses einmalige Gebäude damals verkauften, um einem hässlichen Bankneubau Platz zu machen. «Ich glaube, wenn das nicht geschehen wäre, würde der einzigartige Torturm heute immer noch als Kleinod unser Städtchen zieren.»

Immer wieder geht Gribi im Buch über sachliche Informationen hinaus und bringt selbst Erlebtes oder eigene Gedanken mit ein. Aus seinem Bedauern über den Verlust der alten Substanz macht er keinen Hehl.

Altes Büren rekonstruieren?
Dotzigentor, Stadtmauer, Ziegelei, alte Mühle, Brauerei: Erstaunlich, wie viel vom einstigen Büren unwiederbringlich verschwunden ist (siehe folgende Seiten). Ulrich Gribi, der 35 Jahre lang als Obmann für Heimatpflege amtete, setzt sich für die Bewahrung von Traditionellem ein. Seien es Details wie Schareisen, die zum Schuhe Putzen vor jeder Eingangstür im Stedtli platziert sind, oder den Erhalt der Dachstruktur, was bedeutet, dass er Sonnenkollektoren auf historischen Dächern bekämpft. Auf seinen Input hin wurden einige historische Restaurantschilder rekonstruiert und hängen heute wieder in der Altstadt.

Möchte Ulrich Gribi am liebsten das alte Büren rekonstruieren? Jenes, in dem noch die Stadttürme standen? Oder zumindest das Büren seiner Kindheit? «Nein, das geht natürlich nicht», meint er. Das Dotzigentor hätte er einst, als die neue Bank gebaut worden ist, tatsächlich gern rekonstruieren lassen, so, wie es etwa Willisau gemacht habe. «Doch heute will man keine Rekonstruktionen mehr.»

Denkt er an seine Kindheit, dann verspüre er zwar in der Tat nostalgische, manchmal auch melancholische Gefühle. Doch damals sei längst nicht alles gut gewesen: Im Hochsommer war die Aare oft äusserst schmutzig, sagt der einst passionierte Fischer. Das Blut vom Metzger und die Molke vom Käser seien ungefiltert und gut sichtbar ins Gewässer geleitet worden. Einziger Vorteil: «Ich habe an dieser Stelle unglaublich viele Weissfische rausgezogen.»

«Sammeln ist krank»
Blättert Ulrich Gribi durch sein Buch, so fällt auf, welch scharfes Auge er für Details hat. Auf einem Bild von der Ländte sieht er «Gstrüpp» an der Aaremauer und alten Bäume, die weichen mussten. Anderenorts entdeckt er ein dekorativ in eine Mauer graviertes Wappen. Da er selbst gern fotografiert, boten die Künstler ihm Inspiration: «Die Maler wussten schliesslich, wo sie den besten Blick auf ihr Objekt erhalten.» Einige der im Buch vorhandenen Maler hatte Gribi gekannt, etwa den Italiener Franco Mazzoni, Ernst Rätz, Hans Beutler oder seinen einstigen Lehrer Willy Hug.

Obwohl Ulrich Gribi so stark mit Büren verbunden ist, hat er noch nie in der Altstadt gelebt. Aufgewachsen ist er an der Bahnhofstrasse, jetzt wohnt er in der Ey mit Blick aufs Wasser. Sein Interesse an Historischem hat er eher von der Mutter als vom Vater geerbt. Die einstige Bauerntochter aus dem Schüredörfli, einem bäuerlichen Weiler entlang der heutigen Aarbergstrasse, ist heute 94 Jahre alt und zeigt reges Interesse am Ortsgeschehen. Der Vater kam 1940 mit 20 Jahren ins Militär und arbeitete danach in der Uhrenfederfabrik Schwab-Feller. Altes und Antikes habe dieser lieber entsorgt statt gehortet. Gribi dagegen ist ein Sammler.

Begonnen hatte er klassisch mit Briefmarken. «Gefischt, Lindenblüten gepflückt oder Altpapier gesammelt: Als Kind habe ich alles Mögliche gemacht, um Geld für Briefmarken zu verdienen.» Dann verlor er das Interesse und sattelte auf alte Bürener Postkarten um. Es folgten Militär-, Weihnachts- sowie Jugendstil-Postkarten. Auch spezielle Ostereier aus verschiedensten Ländern besitzt er. «Sammeln ist krank», sagt er unverblümt, «aber es ist auch etwas sehr Schönes.» Zu einem Ende zu kommen, war für Gribi auch bei seinem jüngsten Buchprojekt schwierig. Denn eigentlich gäbe es noch viel mehr zu zeigen und zu erzählen. «Das Gewicht hat dem dann ein Ende bereitet», sagt er lachend. Einige der Bilder besitzt er selber, viele sind ihm zum Abfotografieren zur Verfügung gestellt worden.

Als Hauptsponsor unterstützt hat ihn der Gemeinderat von Büren mit einem Betrag von 7000 Franken. Prophylaktisch rechtfertigt er sich dafür, das Buch in Deutschland gedruckt zu haben: «Wenn der Kanton Bern das bei seinen Lehrmitteln so macht, brauche ich mich nicht zu schämen.» Ein Druck in Deutschland sei nun mal halb so teuer wie in der Schweiz.

Obwohl Ulrich Gribi glaubt, insbesondere bei den älteren Bildern und Zeichnungen nahezu alles aufgenommen zu haben, was über Büren existiert, sammelt er weiter. Für die Zwischenzeit hat er einige andere Buchprojekte in der Schublade.

Stichwörter: Kunst, Büren, Geschichte

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