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Meinung

Wir können immer noch die Welt verändern

Letzte Woche habe ich einen Tweet gelesen, der sinngemäss folgendermassen lautete: «Lägen die USA im Nahen Osten, würden sie jetzt in die USA einmarschieren wollen, um Frieden, Freiheit und Demokratie zu bringen.»

Bild: bt/a

von Luca Brawand alias Landro

Letzte Woche habe ich einen Tweet gelesen, der sinngemäss folgendermassen lautete: «Lägen die USA im Nahen Osten, würden sie jetzt in die USA einmarschieren wollen, um Frieden, Freiheit und Demokratie zu bringen.» Dieser Kommentar folgte auf die Aussagen Donald Trumps, wonach er die Wahl von Joe Biden nicht akzeptierenwerde, die US-Präsidentschaftswahl als korrupt und manipuliert bezeichnete und sich deshalb selbst zum Gewinner erklärte.

Tatsächlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass gerade in der «ältesten Demokratie der Welt» solche Aussagen eines (noch) amtierenden Präsidenten wirklich möglich sind. Es wirkte wie ein letztes Aufbäumen – ein letzterVersuch, die Grenzen der Demokratie und desgesunden Menschenverstandes auszuloten. Die letzte Trotzreaktion eines Jungen, dessen Vater Fred ihm schon im Kindesalter einbläute, immer und egal mit welchen Mitteln als Gewinner vom Platz gehen zu müssen. Eine Win-Win-Situation gab es für Donald nie. Wenn jemand gewann, musste auch jemand verlieren. Und das warsicherlich nicht er. 

Jetzt sind wir aber tatsächlich an diesem Punkt angelangt: Joe Biden wurde zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten Amerikas gewählt. Jemand, der zwar nicht für alle der absolute Wunschkandidat war – viele junge Leute inklusive mir hätten sich eher den progressiven Bernie Sanders gewünscht – aber sicherlich allemal besser ist als ein notorischer Lügner und Verschwörungstheoretiker, der sich die Wahrheit nach seinem Gutdünken zurechtbiegt. Ohne an dieser Stelle auf alle Wahlversprechen Bidens eingehen zu wollen, gibt Biden mir persönlich durch seine klaren Bekenntnisse schon allein in der Klimapolitik Hoffnung auf einebessere Welt, während Trump auch diese Fakten schlichtweg leugnete und sich stattdessen darauf fokussierte, wie viele Vögel aufgrund von Windrädern sterben würden.

Ein weiteres wichtiges Thema, das in den Diskussionen im Vorfeld der Wahl oft vergessen ging, ist die Vizepräsidentschaft. Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten wird nun mit Kamala Harris eine Frau Vize-Präsidentin. In ihrer ersten Rede nach der Wahl sagte sie: «Ich bin vielleicht die erste Frau in diesem Amt, aber ich werde sicherlich nicht die letzte sein.» Ich denke, das dürfte eine Inspiration für viele junge Frauen sein, und der Weg zur ersten US-Präsidentin dadurch ein wenig geebneter sein als zuvor.

Mittlerweile wenden sich auch konservative Medien wie Fox News, wichtige Parteimitglieder und gar Schwiegersohn und Chefberater Jared Kushner gegen Donald Trumps Aussagen bezüglich eines Wahlbetrugs. Was zum einen zeigt, wie schnell sich das Blatt nach einem Machtverlust wenden kann, zeigt zum anderen, dass Trump mit seinen Aussagen zur Wahlmanipulation jetzt endgültig zu weit geht. So konnte sich der aktuelle Präsident in seiner Amtszeit auf Twitter seine eigene Scheinwelt bauen, Unwahrheiten als Fakten darstellen und kritischen Fragen aus dem Weg gehen (kein US-Präsident gab weniger Pressekonferenzen als Donald Trump).

Irgendwann ist aber auch für ihn genug. Der amerikanische Diskurs wurde zerstört und die Polarisierung auf die Spitze getrieben. Der neue Präsident Joe Biden verspricht nun, das Landwieder zu vereinen und zusammenzuführen. Das weckt zwar viele Hoffnungen, man darf sich aber zurecht fragen, wie viel davon Trump unwiderruflich zerstört hat. Gerade für junge Menschen, zum Beispiel für heutige Teenager, war er wahrscheinlich der erste amerikanische Präsident, den sie bewusst wahrgenommen haben. Was schafft das bei ihnen für ein Bild, wie ein Präsident zu sein hat? Was für ein Vorbild gibt er ab? Und was sagt es über die Menschen aus, die ihn gewählt haben, während diese unschuldige Generation dabei zusehen musste?   

Der Mann hat in den letzten Jahren so viele Dinge gesagt und getan, die für einen amerikanischen Präsidenten bis zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar gewesen sind. Das heisst zwar nicht, dass es jetzt so weitergehen wird, denn das wird es nicht. Aber wir haben es nun bereits erlebt – und somit ist es nicht mehr unvorstellbar.

Die Wahl Bidens mag ein Aufatmen sein. Ein Hoffnungsschimmer am vernebelten Horizont einer zerstrittenen und post-faktischen Nation. Es bleibt aber das ungute Gefühl, dass es jederzeit wieder passieren könnte. Die niveautechnische Messlatte für das scheinbar nobelste Amt der Welt, die vor vier Jahren noch unerreichbar hoch schien, wurde jetzt so tief gesetzt, dass jeder einfach darübersteigen kann. Es bleibt aber die Hoffnung, dass es ein Weckruf war. Ein einmaliger Ausrutscher, der uns daran erinnert, was passieren kann, wenn wir unserer Demokratie nicht Sorge tragen. Ein politischer Fauxpas, der zeigt, wie wichtig Fakten und gemeinsamer Austausch sind. Aber auch eine Erinnerung daran, dass – wenn alle zusammenhalten, einander zuhören und wählen gehen – man die Welt verändern kann.

Info: Der 23-jährige Bieler Luca Brawand ist Musiker und hat einen Bachelor in Kommunikationswissenschaft und Medienforschung. 2018 hat er sein Debütalbum herausgegeben. Letzten Dezember folgte die EP «Lonely Hearts Club Band».

kontext@bielertagblatt.ch

Stichwörter: Kontext, Meinung, USA, Biden, Wahlen, Trump

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