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Meinung

Wir müssen wissen, wer die Crypto AG gewähren liess

Dümmer gehts nümmer. Über Jahrzehnte verkauft eine Schweizer Firma Verschlüsselungstechnik an die halbe Welt.

Bild: bt/a

von Matthias Knecht
, Blattmacher

Diese Woche kam heraus: Dank der angeblich sicheren Technik aus der vermeintlich neutralen Schweiz konnten die ganze Zeit die amerikanische CIA und der deutsche Bundesnachrichtendienst BND mithören. Die beiden Geheimdienste haben der Crypto AG aus dem Kanton Zug ihre grössten Erfolge zu verdanken. Die Schweiz hingegen steht wie ein willfähriger Handlanger der Grossmächte da. Neutralität? Da lachen nicht einmal mehr die Hühner.

Besondere Ironie der Geschichte: Es war die frühere, geldwäschefreundliche Gesetzgebung Liechtensteins und der Schweiz, die überhaupt das ungeheurliche Firmenkonstrukt der Crypto AG erlaubte. Das verschleierte nämlich den Umstand, dass im Jahr 1970 CIA und BND Eigentümer der Crypto AG wurden. Die Schweiz ist somit spät ein Opfer ihrer einst laschen Gesetze gegen Wirtschaftskriminalität geworden. Doch das reicht nicht, um das Ausmass des Crypto-Skandals zu erfassen.

Es gibt Vergehen, die ruinieren den Ruf gründlich. Ab jetzt kann niemand mehr der Schweiz glauben, dass sie neutral ist. Den Schaden tragen Schweizer Diplomaten und Geschäftsleute, denen sich Türen verschliessen, oder auch Schweizer Reisende. Nicht, dass Racheakte zu befürchten sind. Der Reputationsschaden schlägt sich vielmehr in kleinen, aber entscheidenden Feinheiten nieder: Wird man im Ausland als Bürger eines eigenständigen Landes wahrgenommen? Als Bürgerin eines sympathischen, friedliebenden Kleinstaates? Oder wird man mit Deutschen oder gar Amerikanern in einen Topf geworfen? Der Unterschied kann sehr wichtig sein.

Darum ist es gut, wenn die Schweiz alles daran setzt, den Spionageskandal aufzuklären. Das ist für Berner Verhältnisse bemerkenswert schnell angegangen worden: Der Bundesrat hat einen Alt-Bundesrichter mit Ermittlungen beauftragt. Aktiv geworden ist auch die Geschäftsprüfungskommission des Parlaments. In der Debatte ist sogar eine mit vielen Befugnissen ausgestattete parlamentarische Untersuchungskommission. All dies ist richtig und wichtig.

Und doch muss sich der Bundesrat fragen lassen, warum er nicht viel früher einschritt. Diese Frage gilt für jeden Magistraten und jede Magistratin seit den 90er-Jahren. Denn gemunkelt wird über die Crypto AG schon lange. Neu am Skandal dieser Woche ist lediglich, dass CIA und BND offen ihre Ränkespiele zugaben. Und erst jetzt, da sich die Vorwürfe nicht mehr leugnen lassen, reagiert die offizielle Schweiz. Das ist viel zu spät.

Schon in den 90er-Jahren gab es Hinweise, dass die Crypto AG für ausländische Geheimdienste arbeitete. Unter anderem veröffentlichte der Journalist Res Strehle, späterer Chefredaktor des «Tagesanzeigers», ein ganzes Buch darüber. Spätestens jetzt hätte die Bundesanwaltschaft mit Hochdruck ermitteln müssen. Untersuchungen gab es zwar, auch weil ein Verkäufer der Crypto AG mehr als neun Monate in iranische Geiselhaft kam. Doch wurde halbherzig ermittelt. Das alles gipfelte diese Woche in der treuherzigen Erklärung des damaligen Ermittlers Jürg Bühler – aktuell Vizedirektor des Nachrichtendienstes des Bundes –, er sei damals leider von den Verantwortlichen angelogen worden. Ja hat denn noch niemand dem Schweizer Geheimdienst verraten, dass Spione zu lügen pflegen?

Für so viel Stümperhaftigkeit in Bern gibt es nur zwei mögliche Erklärungen: Entweder haben Bundesverwaltung und Nachrichtendienst selbst die Ermittlungen torpediert. Oder der Bundesrat hat diese unterbunden. Letzteres ist laut dem nun durchgesickerten Bericht der CIA der Fall. Darin rühmen sich die amerikanischen Agenten der expliziten Unterstützung durch den damaligen Vorsteher des Militärdepartements, Kaspar Villiger. Der Alt-Bundesrat dementierte diese Woche vehement. Er ist glaubhaft, denn Unstimmigkeiten in den amerikanischen Akten deuten darauf hin, dass sich hier die US-Spione eines Erfolges rühmen wollten, den sie gar nicht erzielt hatten.

Damit wird aber die zweite Erklärung wahrscheinlich: dass Beamte und Schweizer Geheimdienstmitarbeiter die Crypto AG deckten, am Bundesrat vorbei. Plausibel wäre es: Denn Spitzenbeamte haben in der Schweiz eine grössere Macht als in vergleichbaren Demokratien im Ausland. Während dort mit jedem Regierungswechsel auch die Top-Funktionäre ausgetauscht werden, bleiben sie in der Schweiz meist im Amt. Das macht die Schweizer Verwaltung besonders effizient und verlässlich – birgt aber eben auch ein Risiko: das Risiko, dass Funktionäre Entscheide treffen, die nur Politiker treffen dürfen. Die Zusammenarbeit bei der Spionage gehört dazu. Es darf nicht sein, dass solche Angelegenheiten allein von Beamten entschieden werden. Und seien sie noch so kompetent.

Ob es wirklich so war, müssen die aktuell angestossenen Untersuchungen zeigen, mit Namen, Daten und Verantwortlichen. Auch wenn es weh tut. Die Dummheit, die Crypto AG gewähren zu lassen, kann die Schweiz damit nicht mehr rückgängig machen. Was sie aber tun kann, ist, aus diesem Fehler zu lernen.

mknecht@bielertagblatt.ch

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