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Coronablog

Wohin laufen wir denn nur?

Aus lauter Verzweiflung zähle ich jetzt schon meine Schritte. Lasse sie zählen. Nun ja, und was soll ich sagen, ich laufe nicht viel. Wohin auch?

Clara Gauthier
  • Dossier

Aus lauter Verzweiflung zähle ich jetzt schon meine Schritte. Lasse sie zählen. Nun ja, und was soll ich sagen, ich laufe nicht viel. Wohin auch? Aber ich laufe. Vor allem wegen dieses Zählapparats. 6000 Schritte sollen es sein, täglich. Man will sich ja nicht gleich mit nicht Erreichtem frustrieren. In Anbetracht dessen, dass unsere Vorfahren 50000 machten, was 40 Kilometern entspricht: lächerlich. Aber man muss ja heutige Massstäbe anlegen, und da ist man mit 6000 immer noch doppelt so mobil wie die Durchschnittsbürgerin, was krass ist, wenn man bedenkt, dass 3000 Schritte schnell erreicht sind: die Wäsche im Keller holen und einkaufen gehen, viel mehr braucht es dafür nicht. 6000 Schritte, ja, haha, da muss man schon mal gezielt loslaufen, wo man früher Bus fuhr. Oder Velo. Oder Auto. Muss Wetterlagen hinnehmen. Und ab und zu, wenn man das Handy im Auto vergessen hat (wie kam es da hin?) und verärgert bemerkt, dass die strebsame Laufrunde am Morgen nicht mitgezählt wurde, kann man auf dumme Gedanken kommen. Wenn man nämlich auf einen Tretroller steigt, werden Schritte gezählt, wo bestenfalls abgestossen wurde. Oder man legt das Handy auf eine Wiegeschale. Der Trend aus Asien: Schrittezähler-Manipulieren. Toller Sport! Klappt je nach Gerät auch mit Schallwellen. Oder Waschmaschinen. Dann kann man mit dem Schritte-Schnitt bei Krankenkassen protzen, juhu. Und es «spricht» jemand mit dir. Statt der Kollegen und so. «Toll, dass Sie aktiv bleiben! Sie haben Ihr Ziel zu 164 Prozent erreicht.» Fast wie Smalltalk.

14.30 Uhr: müde 600 Schritte erst, dabei war ich schon mehrmals im Waschkeller (vermutlich ohne Handy). Es regnet nicht mal und ich habe trotzdem keine Lust, rauszugehen. Frust. Da helfen nichtmal die 12 000 Schritte von gestern (inklusive Trotti-Runde). Die magische 10 000-Schritte-Marke basiert auf einer alten japanischen Werbung, die 1964 behauptet hat, dass dies das Nonplusultra sei. Studien wollen belegen, dass sich der statistische Überlebens-Vorteil der Laufenden nur bis zu einer Grenze von 7500 Schritten 
steigert. Alles darüber hinaus mache keinen Unterschied. 
Ich komme mir allerdings schon nach einer Woche blöde vor, mich wegen einer App zu bewegen. Schöner wäre es, mal wieder einen wirklichen Schritt nach vorne zu tun.

 

Clara Gauthey
Redaktorin Kultur

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