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Yukon

Zeit des Aufbruchs 
und Umbruchs

Mit der Ankunft der Trompeterschwäne kündigt sich auch im Yukon langsam der Frühling an. Ein Frühlingserwachen gab es auch im Parlament: Anfang April kam es unerwartet zu Neuwahlen – mit überraschendem Ausgang.

Die Rückkehr der Trompetenschwäne in den Yukon, hier am Tagish Lake, ist ein Zeichen, dass es endlich Frühling wird. Bild: Kim Sinclair
  • Dossier

Christine Mäder

Sobald die ersten wärmenden Sonnenstahlen Schnee und Eis zum Schmelzen bringen, schütteln waschechte Yukoner ihre Parkas ab, graben ihre kurzärmligen T-Shirts und Shorts aus der Mottenkiste und tauschen Winterstiefel gegen Flip-Flops aus. Fast als gäbe es hier bei uns keine angemessene Bekleidung für die Zeit zwischen Winter und Sommer ... Doch ich warte lieber ab, bis das Thermometer mal über 20 Grad Celsius klettert, was meist nicht vor Ende Mai der Fall ist.

 

Achtung, Schlagloch!

Nicht nur Flüsse und Seen brechen derzeit auf, sondern auch die Strassenbeläge. Noch selten habe ich Whitehorse mit so vielen und tiefen Schlaglöchern erlebt. Temperaturschwankungen nach der Rekordschneemenge dieses Winters führen zu Wasseransammlungen unter dem Strassenbelag, der sich nach nächtlichen Minusgraden ausdehnt und zu Risse im Asphalt führt. Wenn dann Autos darüberfahren, bricht der Belag ganz auf und die Strecke wird holperig. Die Schlaglöcher werden momentan nur temporär zugeschüttet; richtig repariert werden die Strassen erst im Sommer. Das gleiche gilt für die Fahrbahnmarkierungen und Fussgängerstreifen, die in jedem Frühjahr völlig verschwunden sind, was bei den Verkehrsteilnehmern oft für Verwirrung sorgt.

 

Schwäne sind unsere Frühlingsboten

Weiteres Anzeichen, dass sich der lange 
Winter doch endlich verabschiedet, ist die Ankunft der Trompeterschwäne, die auf ihrer Reise zu Brutplätzen im Yukon und in Alaska auf den Seen südlich von Whitehorse Zwischenstation machen. Infolge verlorenen Lebensraums und für ihre in der Hutmacherei sehr gefragten Federn noch vor 
75 Jahren vom Aussterben bedroht, hat sich die Population dieser majestätischen Wasservögel wieder erholt. Die bis zu 180 Zentimeter Körperlänge und eine Flügelspannweite von mehr als zwei Metern aufweisenden Trompeterschwäne überwintern vorwiegend in Oregon und Washington und fliegen in grossen V-Formationen zurück in den Norden, wo sie sich dann paarweise zum Brüten absondern.

Die Seen in unserer Region haben in der Regel am frühsten offenes Wasser, wo die Schwäne ihre Futterquellen finden. Die 
Beobachtungsstation Swan Haven in der M’Clintock-Bucht am Marsh Lake, 44 Kilometer südlich von Whitehorse, ist jeden April ein beliebtes Ausflugsziel für kleine und grosse Yukoner und Yukonerinnen. Von 
Ornithologen geführte Spaziergänge auf 
dem noch tragenden Eis am Ufer entlang bieten Gelegenheit, die lautstarken Trompeterschwäne, die etwas kleineren Pfeifschwäne und andere Wasservögel aus der Nähe zu beobachten.

 

Beinahe ein Schwanengesang

Doch nicht nur das Frühlingserwachen beschäftigt die Yukonerinnen und Yukoner derzeit: Weil die regierende Liberale Partei des Yukons kaum eine Chance sah, ihren Finanzplan für das bei uns im April beginnende neue Geschäftsjahr im Parlament durchzubringen, wurden am 12. März unerwartet Wahlen ausgerufen. Während die Liberalen, die konservative offizielle Opposition und die am ehesten mit der SP zu vergleichende New Democratic Party (NDP) ihre Kandidaten grösstenteils schon im Vorfeld bestätigt hatten, blieben die Grünen aussen vor und verloren ohne eine einzige Nomination sogar ihren Parteistatus im Yukon.

In jedem der 19 Wahlkreise im Yukon – elf allein in Whitehorse, die übrigen acht verteilt auf das restliche Territorium – gibt es pro Partei nur einen einzigen Kandidaten. Die Wähler müssen sich eigentlich für die ihnen am meisten zusagende politische Partei entscheiden; wie bekannt und beliebt der oder die Kandidierende ist, kann ausschlaggebend sein. In Kanada gilt die einfache Mehrheit, was heisst, dass der- oder diejenige mit den meisten Stimmen den Sitz in seinem oder ihrem Wahlkreis gewinnt. Immer mehr kommt dieses System jedoch unter Beschuss, vor allem von den verlierenden Parteien.

Bei Territorialwahlen im Yukon erhalten die Kandidaten die Adresslisten aller in ihrem Wahlkreis eingetragenen Stimmberechtigten, wissen allerdings nicht, in welche politische Richtung die Leute tendieren. Unter Einhaltung der sozialen Distanzierungsregeln war das sonst übliche von Tür-zu-Tür-gehen der Bewerber und Bewerberinnen um einen Parlamentssitz stark eingeschränkt, aber alle Parteien beglückten uns mit Broschüren, Inseraten in der Zeitung und in den sozialen Medien. Erstmals konnten alle Stimmberechtigten auf der Website von Elections Yukon oder in einem der während der Dauer des Wahlkampfs für jeden der 19 Kreise eingerichteten Büro Briefwahlunterlagen anfordern. 
In früheren Jahren war dies nur im Fall von Ortsabwesenheit oder aus anderen zwingenden Gründen möglich. Am Wochenende vor dem stets auf einen Montag angesetzten Wahltag sind die Urnen jeweils 
offen für die Vorauswahl. Doch nur ein Viertel der knapp 29 000 stimmberechtigten Yukoner und Yukonerinnen machte von diesen Angeboten Gebrauch, was auf den Zeitpunkt während Covid-19, das tolle Wetter über Ostern und auf den eher lustlosen Wahlkampf zurückzuführen ist.

 

Falsch gepokert

Dass etliche Abgeordnete mit weniger als 
30 Stimmen Unterschied zum zweitplatzierten Kandidaten gewählt wurden, lag an der enttäuschenden Stimmbeteiligung von bloss 64,44 Prozent. Da bei unserem System die Siege in den einzelnen Wahlkreisen ausschlaggebend sind, sieht die Verteilung mit 8-8-3 etwas anders aus als bei der Gesamtstimmenzahl, wo die konservative 
Yukon Party mit 39 Prozent einen deutlichen Vorsprung hatte auf die Liberal Party mit 32 Prozent und die New Democratic Party mit 28 Prozent.

Die Liberalen stellten als einzige Partei in jedem Wahlkreis einen Kandidaten, büssten aber schliesslich drei Sitze ein und verloren damit die Mehrheit im Parlament. Eine Minderheitsregierung ist hierzulande immer etwas unsicher, kann doch jederzeit ein Misstrauensantrag gestellt werden, wenn die offizielle Opposition (die zahlenmässig zweitstärkste Partei) und die Drittpartei zusammenspannen. Um diesem Schritt vorzubeugen, schlossen die erneut die Regierungspartei bildenden Liberalen mit der NDP flugs einen Pakt, der bis mindestens 2023 Stabilität 
garantieren soll.

Frauen waren im territorialen Wahlkampf 2021 mit 26 von insgesamt 56 Kandidierenden erfreulich gut vertreten. Old Crow, die nördlichste Gemeinde des 
Yukons, war einer der drei Wahlkreise mit ausschliesslich weiblichen Kandidaten. Die bisherige liberale Gesundheitsministerin erhielt genau gleich viele Stimmen wie die linke Herausforderin, was eine Nachzählung erforderlich machte.

Laut des Wahlgesetzes im Yukon wird bei einem Gleichstand der Name des Siegers aus dem Hut gezogen. Das Los begünstigte die NDP-Newcomerin, was die Verliererin jetzt vor Gericht anficht mit der Begründung, zwei der Wähler seien gar nicht stimmberechtigt gewesen.

Wann es in diesem Fall zu einem Urteil kommt, steht noch in den Sternen.

 

Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim Bieler Tagblatt. 1996 wanderte sie in den spärlich besiedelten Yukon aus, wo mittlerweile 74 Prozent der über 18-Jährigen die erste Covid-Impfung hatten und bereits 
65 Prozent der Bevölkerung mit der zweiten 
Dosis immunisiert sind.

Stichwörter: Fernweh, Yukon

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