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Koronare Herzerkrankung

Zucker ist der eigentliche Feind

Lange Zeit galten gesättigte Fettsäuren als Hauptursache für Herzprobleme. Nun haben aber amerikanische Forscher herausgefunden: Die Gefahr geht eher vom Zucker aus.

Ein Herz leidet unter handelsüblichen Haushaltszucker. Bisher wurde dies in Ernährungsempfehlungen aber vernachlässigt. Fotolia
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Angelika Lenssen

Die koronare Herzerkrankung (KHK), bei der die Herzkranzgefässe durch Ablagerungen geschädigt sind, ist die Todesursache Nummer eins in westlichen Ländern. Ein akutes Symptom für diese Erkrankung ist ein Herzinfarkt. Jahrelang haben wir zu hören bekommen, dass wir mit gesättigten Fetten aufpassen müssen, weil diese die Herzkranzgefässe zu viel belasten. Ein viel grösserer Übeltäter, Zucker, bleibt dadurch vernachlässigt, schreiben die Forscher James Dinicolantonio, James O’Keefe und Sean Lucan im Fachjournal «Progress in Cardiovascular Dissenses».

Scheinwerfer auf Fette

Sie analysierten, welche Beweise es gibt für den Zusammenhang zwischen gesättigten Fettsäuren, Zucker und koronaren Herzerkrankungen. Ihre Schlussfolgerung: Zuckerkonsum, vor allem in Form von raffiniert zugefügtem Zucker wie handelsüblicher Kristallzucker, verursacht viel eher Herzerkrankungen als gesättigte Fette.

Die grosse Aufmerksamkeit für gesättigte Fettsäuren ergab sich aus Forschungen, die in den 50er-Jahren durch den Amerikaner Angel Keys gestartet wurden. Er ging davon aus, dass gesättigte Fettsäuren den Cholesterinspiegel ansteigen lassen und zu Herzerkrankungen führen. Zur selben Zeit wies der Brite John Yudkin auf die viel gefährlichere Rolle von Zucker hin. Beide Wissenschaftler konnten ihre Theorien durch grosse Beobachtungsstudien stützen, denn Menschen essen Nahrungsmittel, die beides enthalten und nicht nur einzelne Nahrungsbestandteile. Doch Medizinwelt und Regierungen drängten ab den 60er-Jahren vor allem auf eine Begrenzung der Fettzufuhr.

Fettstoffwechsel ist komplex

Dass Yudkin und Keys zu dieser Zeit zu entgegengesetzten Schlussfolgerungen kamen, ist verständlich: Menschen, die viel Zucker essen, essen oft auch viele gesättigte Fette. Doch heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, verfügen die Wissenschaftler über wesentlich mehr Daten und Ergebnisse. «Ausserdem verstehen wir besser, welchen Einfluss Nahrung auf unseren Körper und vor allem auf koronare Herzkrankheiten hat», sagt Dinicolantonio.

Wie gesättigte Fette im Stoffwechsel verarbeitet werden, erweist sich doch als weitaus komplexer, als lange Zeit angenommen. So sind bestimmte gesättigte Fette sogar gut fürs Herz. Sie erhöhen nämlich das «gute» HDL-Cholesterin, das mit einem reduzierten Risiko für Herzkrankheiten in Verbindung gebracht wird.

Fette oft durch Zucker ersetzt

Die gesättigten Fette oder eine andere Komponente in der Ernährung auszutauschen, bedeutet beinahe zwangsläufig, es durch anderes zu ersetzen. Wenn Kohlenhydrate, besonders raffinierte Kohlenhydrate wie Zucker, die gesättigten Fette ersetzen, kann das einen negativen Einfluss auf die Blutfettwerte haben.

Wie bereits vorher erwähnt, essen Menschen keine isolierten Fettsäuren; sie essen Nahrungsmittel, die aus einer Mischung von Fettsäuren und anderen Bestandteilen bestehen. Während eine hohe Zufuhr von verarbeitetem Fleisch das Risiko für koronare Herzerkrankungen steigern kann, können gesättigte Fette aus Milchprodukten das Risiko sogar senken.

Schäden innert kurzer Zeit

Es wurde bereits gezeigt, dass eine Ernährung mit viel Zucker innerhalb weniger Wochen schon zahlreiche Veränderungen hervorruft, die auch bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung vorkommen. Dazu gehören hohes Gesamtcholesterin, hohe Triglycerid-Werte, hohes «schlechtes» LDL, hoher Harnsäurespiegel, Insulinresistenz, niedriges «gutes» HDL und eine veränderte Funktion der Blutplättchen.

Zuckerhaltige Ernährung ist wahrscheinlich schädlicher als ein erhöhter Konsum gesättigter Fette, die zwar das «schlechte» LDL erhöhen können, aber auch zugleich das «gute» HDL steigen lassen.

Übergewicht als Gefahr

Zugefügte Fruktose – meist in Form von Haushaltszucker – oder Fruktosesirup in verarbeiteten Lebensmitteln und Getränken scheint dagegen potenziell besonders gefährlich. Der Konsum dieser Zuckerarten kann zu einer Resistenz gegen Leptin führen, welches das Schlüsselhormon für die Regulierung eines normalen Körpergewichts darstellt. Die übermässige Zufuhr von Fruktose erhöht ohne Zweifel das Risiko für Übergewicht, was ebenfalls ein Risikofaktor für die koronare Herzerkrankung ist.

Unterschiedliche Fruktose

Übermässiger Konsum von Fruktose erhöht ausserdem merklich das Risiko für eine nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLE), eine der am häufigsten vorkommenden Lebererkrankungen und ein starker Risikofaktor für die Schädigung der Herzkranzgefässe. Eine Fettlebererkrankung schädigt das Herz mehr als Rauchen, Bluthochdruck, Diabetes, männliches Geschlecht, hohes Cholesterin und metabolisches Syndrom.

Natürlicher Zucker aus Obst und Gemüse birgt hingegen keine erhöhte Gefahr fürs Herz. Das Problem sind die raffinierten Zuckerarten in verarbeiteten Lebensmitteln und Fertiggerichten. Leider enthalten 75 Prozent der verpackten Lebensmittel und Getränke zugefügten Zucker oder Fruktosesirup. Eine sehr zuckerhaltige Ernährung fördert ausserdem Prädiabetes und Diabetes, wie Studien festgestellt haben. Beides schädigt die Herzkranzgefässe und besonders die linke Koronararterie.

Verarbeitetes meiden

Stark verarbeitete Lebensmittel sind tendenziell auch Quellen für gesättigte Fette, doch die Schäden, die diesen Produkten zugeschrieben werden, haben vielleicht nichts mit dem Fett zu tun, aber alles mit der Verarbeitung selbst. Deshalb ist die beste Empfehlung, verarbeitete Lebensmittel zu meiden, anstatt nur gesättigten Fetten aus dem Weg zu gehen.

Das könnte dazu führen, dass Menschen Lebensmittel meiden, die harmlos sind und – im Falle von Milchprodukten sogar gesundheitsfördernd. Sie könnten im schlimmsten Fall zu Produkten greifen, die ihnen eher schaden, weil sie zwar wenig Fett enthalten, aber stark verarbeitet sind und versteckten zugefügten Zucker enthalten. «Nach einer gründlichen Analyse der Beweislage scheint es angemessen, dass die Ernährungsempfehlungen den Fokus nicht länger auf die Reduzierung gesättigter Fette richten, sondern mehr auf die Vermeidung von zugefügtem Zucker», erklärt Dinicolantonio. «Die wichtigste Empfehlung sollte das Essen frischer Nahrungsmittel unterstützen und die Vermeidung von stark verarbeiteten Nahrungsmitteln.»

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Wenn Herzschmerz krank macht

Das Broken-Heart-Syndrom führt zu einer Veren-gung der Herzgefässe. Die Symptome ähneln einem Herzinfarkt.

Das gebrochene Herz: Unzählige Male wurde es beschrieben, besungen, beklagt. Aber hätten Sie gedacht, dass hinter dem gebrochenen Herzen mehr als eine Redewendung steckt; dass es mitunter eine ernstzunehmende Erkrankung ist? Das Broken-Heart-Syndrom. Übelkeit, Panik, Atemnot und ein Engegefühl in der Brust: Die Symptome ähneln denen eines Herzinfarkts. Doch die Ursache ist eine andere.

Anfang der 90er-Jahre beschrieben japanische Kardiologen die Erkrankung zum ersten Mal. Dabei wurden zunächst vor allem ältere Damen diagnostiziert, die kürzlich ihren Partner verloren hatten. Die Japaner nannten das Phänomen «Tako-Tsubo».

Tako-Tsubo bezeichnet eigentlich einen Tonkrug, mit dem Tintenfische gefangen werden. Beim Broken-Heart-Syndrom erinnert die Form der linken Herzkammer an eben jene Tintenfischfallen: Die Herzspitze ist typischerweise aufgebläht und bauchig erweitert, wohingegen Ausflusstrakt und Hauptschlagader massiv verengt sind. So ist das Herz nicht mehr in der Lage, ausreichend Blut in den Körper zu pumpen.

Sechsfacher Wert

Anders als bei einem Herzinfarkt entstehen die akuten Symptome also nicht durch eine verschlossene Ader, sondern durch eine Verengung der Herzgefässe. Somit liegt beim Broken-Heart-Syndrom eine Funktionsstörung des Herzmuskels vor. Auslöser des Syndroms sind Stresssituationen. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um Liebeskummer handeln. Generell trifft es Menschen, die plötzlich existenziell in Not geraten, denen die Lebensgrundlage entzogen wird. Konflikte im familiären Umfeld sowie traumatische Erlebnisse oder Operationen sind als Ursachen bekannt.

Wissenschaftler vermuten, dass durch die seelische und körperliche Belastung das vegetative Nervensystem stark aktiviert wird – was die Ausschüttung von Stresshormonen auslöst. Ihre Konzentration kann auf das Sechsfache des Normalwerts steigen. Sie machen den Körper in Ausnahmesituationen leistungsfähig. In grossen Mengen können sie ihm jedoch Schaden zufügen. Für die Herztätigkeit bleibt ein plötzlicher Ausstoss nicht ohne Folgen.

Viele Fragen ungeklärt

Stress-Kardiomyopathie, wie das Broken-Heart-Syndrom auch genannt wird, ist ein sehr seltenes Phänomen. Rund zwei Prozent aller Patienten mit der Verdachtsdiagnose «Herzinfarkt» leiden in Wirklichkeit unter einer Form von Kardiomyopathie. Doch die Krankheit wird bei Weitem nicht in allen Fällen erkannt. Denn sogar im EKG kann die Erkrankung wie ein Infarkt erscheinen. Vollständigen Aufschluss gibt nur eine Herzkatheteruntersuchung, bei der die Ärzte die Herzgefässe sichtbar machen.

Die Unterscheidung zwischen Herzinfarkt und Broken-Heart-Syndrom hat wichtige Konsequenzen für die Therapie: Während beim Infarkt Gerinnsel bekämpft werden müssen, die den Blutfluss blockieren, stehen beim Broken-Heart-Syndrom Massnahmen gegen die Wirkung von Stresshormonen im Vordergrund. Das kann zum Beispiel mit stressmindernden Präparaten geschehen. Damit sich eine Attacke nicht wiederholt, sollten Betroffene ausserdem lernen, mit Stress umzugehen.

Zwar gibt es grosse Fortschritte bei der Erforschung des Krankheitsbildes. Viele Fragen sind aber weiterhin ungeklärt. So ist nach wie vor nicht bekannt, warum vor allem Frauen nach der Menopause von dem Syndrom betroffen sind. Die Vermutung liegt nahe, dass ein Zusammenhang mit dem Hormonhaushalt besteht. Nach den Wechseljahren produziert der Körper der Frau weniger Östrogene, die das Herz schützen.

Das Herz stolpert

In der Regel heilt ein gebrochenes Herz ohne Folgen aus. Anders als beim Herzinfarkt bleiben meist keine Narben oder Funktionsstörungen des Herzmuskels zurück. Allerdings ist es möglich, dass Herzrhythmusstörungen die Folge sind. Genaue Prognosen können nicht gestellt werden, da Stress-Kardiomyopathie-Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus selten langfristig beobachtet und untersucht werden. Auch wenn der Name der Erkrankung nach Herzschmerz wie im Kitschroman klingt, so zeigt das Broken-Heart-Syndrom doch eindrucksvoll, wie die Psyche auf unseren Körper wirken kann.

Karoline Kallweit

 

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