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Murten

Der wohl jüngste Museumsdirektor der Schweiz

Leonard Riesen war gerade mal zehn Jahre alt, als er das Eisenbahn und Sammler Museum Courlevon eröffnete. Nun hat der Siebtklässler in Murten seine erste Verkehrsausstellung auf
die Beine gestellt – und entführt sowohl Kinder als auch Erwachsene in eine Zeit,
als noch Dampflokomotiven und Pferdewagen durch das Seeland ratterten.

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  • 5/9 Leonard Riesen zeigt seine Ausstellung in Murten. Bilder: Tanja Lander
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Sarah Grandjean

 
Inmitten von antiken Fahrzeugen, Schwarz-Weiss-Fotos und Urkunden fühlt sich Leonard Riesen wohl. Er kennt jedes Ausstellungsstück in diesem Raum, in dem der Geruch nach Motoröl und die Erinnerung an eine vergangene Zeit hängen. Auswendig nennt er Jahreszahlen und Firmennamen und erklärt die Funktionsweise verschiedener Motoren. Er deutet auf das Modell einer sogenannten Mallet-Lokomotive, benannt nach ihrem Erfinder Anatole Mallet. Durch die Verbrennung von Kohle wurde Dampf hergestellt und der Druck brachte den Kolben in Bewegung. Das Besondere an der Mallet-Lokomotive ist, dass der Dampf zwei Mal verwendet wird. Zudem besass sie ein zweigeteiltes Triebwerk für kurvige Bergstrecken. 1889 fuhr sie bei der Pariser Weltausstellung um den Eiffelturm, weiss Leonard. 
 
Da ist auch ein winziges Auto mit Holzvergaser. Während des Zweiten Weltkriegs war Benzin ein rares Gut, deshalb hat man Holz verbrannt und den Motor mit dem entstandenen Gas angetrieben. Was fasziniert ihn an diesen alten Geräten und Maschinen? Dass sie robust gebaut sind und meist noch immer funktionieren – beziehungsweise, dass man sie mit etwas Zeit und dem nötigen Fachwissen wieder zum Laufen bringen kann. «Im Gegensatz zu den modernen Dingen», sagt er. 
 
Leonard Riesen aus Courlevon ist 13 Jahre alt und hat in Murten eine Verkehrsausstellung auf die Beine gestellt. Sie dreht sich um Technik, Fortbewegungsmittel und Geschichte im Drei-Seen-Land. Medientermine machen den Siebtklässler kaum noch nervös: Er war mit zehn Jahren zum ersten Mal in der Zeitung, als er bei sich zuhause das Eisenbahn und Sammler Museum Courlevon (ESMC) eröffnet hat (siehe Infobox). Es folgten das Radio und das Fernsehen. Entsprechend selbstbewusst und gelassen führt der junge Museumsdirektor durch seine erste Ausstellung. Wenn ihm ein Begriff nicht einfällt, hilft sein Vater Jeorge Riesen weiter. Aber das kommt kaum vor.
 
Der alte Lokschuppen
 
Die Ausstellung «Das Depot» befindet sich beim Bahnhof im ehemaligen Lokschuppen. Das Gebäude ist in zwei hohe Räume und einen Gang unterteilt. Im ersten Raum steht ein Modell des Bahnhofs Murten im Massstab 1:160, so wie er 1944 aussah. «Ich wollte einfach mal selbst eine Anlage bauen», erklärt Leonard. Er findet diesen Ort interessant, weil hier früher zwei Eisenbahngesellschaften aufeinandergetroffen sind. Nämlich die Freiburg-Murten-Ins-Bahn (FMA), die heute zu den Freiburgischen Verkehrsbetrieben (TPF) gehört, und die Schweizer Bundesbahnen (SBB). Es trafen aber auch zwei Extreme aufeinander: Bereits 1903 wurde die FMA elektrifiziert, was für diese Zeit fortschrittlich war. In den 30er-Jahren stellten viele Bahngesellschaften von Dampf- auf Elektroantrieb um. Die SBB vollzogen diesen Schritt jedoch erst 1946. Aber auch nach der Elektrifizierung seien gewisse Züge, zum Beispiel Abendgüterzüge, weiterhin mit Dampf gefahren, erklärt der junge Fachmann, der sich sein Wissen im Internet und in Büchern, aber auch im Austausch mit Zeitzeugen holt.
 
Entlang der winzigen Gleise stehen winzige Gebäude, die bis heute existieren. Leonard hat die echten Gebäude von allen Seiten fotografiert und im Bildbearbeitungsprogramm Photoshop auf die passende Grösse skaliert. Daraus hat er einen Bastelbogen zum Ausschneiden, Falzen und Kleben kreiert. Der 13-Jährige deutet auf das Modell des ehemaligen Lokschuppens, in dem wir uns in diesem Moment befinden. Er wurde 1899 erbaut und war bis in die 60er-Jahre in Gebrauch, danach wurde er von der Landi Seeland als Kornspeicher genutzt. Die letzten 15 Jahre stand er leer. Als Leonard den Chef der Landi gefragt hat, ob er hier eine Ausstellung realisieren dürfe, habe dieser das «eine coole Idee» gefunden.
 
Dies bedeutete aber auch eine Arbeit, die man nicht auf den ersten Blick wahrnimmt: der Lokschuppen musste nämlich erst umgebaut werden. Der Raum war eine geschlossene, dunkle Holzkiste mit lediglich einer Tür, es wurden Durchgänge und Fenster ausgesägt. Bei der ganzen Arbeit erhielt Leonard Unterstützung vom Verein. Der Lockdown kam dem Schüler gelegen, denn so konnte er mehr Zeit in die Vorbereitung der Ausstellung investieren. «Die Pandemie war grad gäbig», sagt er und lacht verhalten. 
 
Prunkstück Camion Berna
 
Im zweiten Raum steht ein kleines Auto mit Holzrädern, eine sogenannte Voiturette. Gebaut wurde sie 1916 von Eric Wavre aus Neuenburg. Der 16-Jährige hatte es satt, mit dem Velo ins Gymnasium zu fahren, und hat mit seiner Voiturette sogar den Führerschein gemacht.
 
Ein Stück von der Voiturette entfernt ist Leonards liebstes Sammlungsstück ausgestellt: ein Camion Berna, Baujahr 1948. Er hat den Lastwagen für einen symbolischen Betrag erhalten und zu Hause mit der Hilfe seines Vaters auf Vordermann gebracht. Dafür haben die beiden vor der Käserei in Courlevon, in der sie wohnen, einen provisorischen Unterstand gebaut. Die Karosserie des Camions hatte Beulen, die entfernt werden mussten, ausserdem war das Fahrzeug teilweise verrostet. Das mit Segeltuch überspannte Eschenholz-Dach musste vollständig erneuert werden. Das meiste könne man selbst machen, sagt Leonard, die Technik sei einfach. «Es ist schön, weil man meist am Ende des Tages sieht, was man gemacht hat.»
 
Der Camion gehört zur ersten gemeinsamen Modellreihe der Firmen Berna und Saurer. Er wurde vollständig in der Schweiz hergestellt, vom Motor über die Räder bis hin zur Elektronik. Das beeindruckt Leonard. Er klingt älter, als er ist, wenn er sagt: «Das ist wahnsinnig. Heute kann man so was nicht mehr, das ist verloren gegangen.» Der Motor zum Beispiel wurde von Saurer in Arbon am Bodensee produziert. Er war für diese Zeit fortschrittlich, da er eine Motorbremse hatte. Auf diese Weise wurde die Räderbremse nicht allzu sehr beansprucht, wenn man etwa von einem Pass herunterfuhr, was gerade in der bergigen Schweiz durchaus ein Vorteil war. «Andere Hersteller haben das auch versucht, bei denen ist einfach der Motor kaputt gegangen», sagt Leonard trocken.
 
An der Führerkabine ist ein sogenannter Winker befestigt: der Vorgänger des heutigen Blinkers. Er springt auf Knopfdruck raus – so musste man nicht den Arm aus dem Fahrzeug strecken, wenn man abbiegen wollte. Die Scheinwerfer hat die Elektronikfirma Scintilla im solothurnischen Zuchwil produziert. Scintilla hat auch die Stichsäge erfunden, das entsprechende Patent hängt an einer Wand. Der Erfinder war höchst einfallsreich: Er spannte anstelle einer Nadel ein Sägeblatt in eine Nähmaschine. Leonard demonstriert dies, indem er am Handrad einer gusseisernen Maschine dreht, woraufhin die Säge rauf und runter flitzt.
 
Vom Pferdewagen zum Auto
 
Das Konzept für die Ausstellung zu erstellen sei eine «Winterbüez» gewesen. Die Ausstellung soll eine Entwicklung aufzeigen: Vom Pferdewagen über die Dampflokomotive bis hin zum Automobil. Leonard hat sich zuerst überlegt, welche Objekte er zeigen möchte. Einige davon gehören ihm selbst, er hat sie geschenkt bekommen oder von seinem Taschengeld gekauft, etwa ein Armeevelo von 1930. Andere sind Eigentum des Vereins oder Leihgaben. Dann hat er Bekannte angefragt, von denen er wusste, dass sie etwas Passendes besitzen. «Manche waren einverstanden, andere nicht.» Ein Citroën-Sammler aus Murten hat ihm einen Camion aus dem Jahr 1930 zur Verfügung gestellt. Mehrere der an der Wand hängenden Fahrräder gehören dem Velomuseum Freiburg. Ein hölzerner Pferdewagen stammt von einem benachbarten Bauern.
 
Manches findet der junge Sammler auch im Internet oder auf Messen. Etwa einen Töff von 1949, den er in Frankreich abgeholt hat und nach dem er zuvor lange gesucht hatte. «Das findet man nicht einfach so», sagt er. Beim Sammeln achte man immer darauf, dass die Objekte eine Besonderheit aufweisen. Bei besagtem Töff zum Beispiel ist noch immer die Originalfarbe erhalten. Zudem wurde er zwar nach dem Zweiten Weltkrieg gebaut, allerdings mit einer Vorkriegstechnik. Nach etwas Restaurationsarbeit ist er nun wieder fahrtüchtig – muss aber zuerst beim Strassenverkehrsamt angemeldet werden.
 
Faszination Flohmarkt
 
Die Frage, wie er zum Sammeln gekommen ist, bringt Leonard zum Lachen: «Man sagt nicht von einem Tag auf den anderen, ich mache das jetzt. Das ist ein Prozess. Mit der Zeit kommen immer mehr Dinge zusammen, und irgendwann ist es eine Sammlung.» Er weiss aber, wo seine Faszination für alte Dinge erwacht ist: auf Flohmärkten, die er zusammen mit seinen Eltern besucht hat. Während sie nach Möbeln gesucht haben, um das Haus einzurichten, hat er die Marktstände nach alten Spielzeugen durchstöbert.
 
Auch eine Dampfmaschine und eine alte Modelleisenbahn, die im Haus seiner Eltern standen, haben ihn von klein auf interessiert. Seine ersten Sammelstücke waren denn auch Modelleisenbahnen, für die er in seinem Zimmer Anlagen aufgebaut hat. Jetzt kommt der junge Sammler ins Schwärmen: «Ich hatte zum Beispiel den TGV». Er habe sich dann auf den Boden gesetzt und zugeschaut, wie der Zug seine Schlaufen drehte. «Das ist als Kind eine coole Erfahrung», sagt er, sehr erwachsen.
 
Irgendwann wurde in seinem Zimmer der Platz knapp. Die Idee, in seinem Elternhaus ein Museum zu eröffnen, war zunächst als Witz gemeint. Aber dann habe er sich das genauer überlegt und gedacht: «Warum soll ich meine Sammlung für mich behalten, wenn ich sie auch anderen zeigen kann?» Das Sammeln ist für ihn nach wie vor ein Hobby, wenn auch ein sehr zeitaufwendiges. «Ich mache nur das. Ich gehe nicht noch in einen Fussballverein oder so was.» Und offensichtlich macht er es mit Begeisterung: Nachdem der junge Kurator zu fast allen Ausstellungsstücken etwas gesagt hat, bleibt das Gefühl, er könnte noch lange weitererzählen.
 
Info: Die Ausstellung an der alten Freiburgstrasse 34 in Murten ist bis am 25. Oktober jeden Sonntag von 14 bis 16 Uhr geöffnet. www.dasdepot.ch
 
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Das Museum in Courlevon
 
2016 hat Leonard das Eisenbahn und Sammler Museum Courlevon (ESMC) in seinem Elternhaus eröffnet. Er zeigt dort Modelle von Eisenbahnen, Dampfmaschinen und Autos sowie historische Ausstellungsobjekte wie etwa Uniformen, Hüte und Schilder. Im Vorstand des Vereins sitzen Francis Chevalier, Reto Burger, Christoph Wieland und Leonards Vater Jeorge Riesen in der Funktion des wissenschaftlichen Beraters. Das Museum in Courlevon bleibt während der Ausstellung in Murten geschlossen.  sg

 

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