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Kriminalstatistik

Häusliche Gewalt nimmt um einen Fünftel zu

Über 1500 Fälle von häuslicher Gewalt sind im 2020 im Kanton Bern registriert worden. Beunruhigt ist die Polizei zudem aufgrund der Zunahme von Gewalttaten: Fast jede zweite schwere Körperverletzung wurde in der Region Biel begangen.

Bild Würgen.jpg (8434851)129,2 Straftaten auf 1000 Einwohnende. Biel belegt im Kanton hinter Bern den zweiten Platz. Besonders häufig, Fälle von häuslicher Gewalt

Lino Schaeren

Im Pandemiejahr 2020 hat die Kantonspolizei Bern 1557 Fälle von häuslicher Gewalt registriert. Das entspricht einer Zunahme von 21 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das geht aus der gestern veröffentlichten Kriminalstatistik hervor. 75 Prozent der Fälle entfallen demnach auf Paarbeziehungen (inklusive ehemalige Partner), in 15 Prozent waren Kinder betroffen. Rund ein Drittel der gut 1500 Fälle entfällt auf Tätlichkeiten, in vier Fällen kam es zu einem Tötungsdelikt. In 33 Fällen wurde eine Vergewaltigung angezeigt, in 14 sexuelle Nötigung. 27 Fälle betreffen sexuelle Handlungen mit Kindern.

Bereits im Februar hatte der Kanton informiert, dass die Interventionen wegen häuslicher Gewalt deutlich zugenommen haben. Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei Bern, nennt als Grund für die Zunahme unter anderem die Coronapandemie, deren Bekämpfung die Bewegungsfreiheit eingeschränkt hat. Er verweist aber auch auf die Sensibilisierung der Bevölkerung für das Thema. Blättler glaubt, dass die steigenden Zahlen nicht nur auf zunehmende Fälle von häuslicher Gewalt zurückzuführen seien, sondern auch darauf, dass sich mehr Betroffene getrauen, diese zu melden. Straftaten im häuslichen Bereich würden noch zu oft verschwiegen, etwa aus Scham, so der Polizeikommandant.

Keine Zahlen zur häuslichen Gewalt liegen derzeit heruntergebrochen auf die Verwaltungskreise Biel, Seeland und Berner Jura vor. Fabian Sauvain, Chef der Regionalpolizei, geht jedoch davon aus, dass die Entwicklung nicht anders aussieht als im gesamten Kanton. «Wir hatten definitiv mehr Interventionen im häuslichen Bereich», sagt er. Sauvain verweist dabei auch auf das neue kantonale Polizeigesetz, das den Einsatzkräften geschärfte Instrumente gegen häusliche Gewalt an die Hand gibt. So können seit Anfang 2020 Täter zum Schutz der Opfer neu 20 statt 14 Tage aus der gemeinsamen Wohnung weggewiesen werden. Der regionale Polizeichef verweist zudem auf eine Sensibilisierung auch innerhalb des Polizeikorps; so habe man dies in internen Weiterbildungen zum Thema gemacht. Man habe zudem davon ausgehen müssen, sagt Sauvain, dass es während der Pandemie zu mehr häuslicher Gewalt kommen könnte.

 

Schwere Gewalt

Die Kriminalstatistik wird jeweils in drei Bereiche unterteilt: Delikte gemäss Strafgesetzbuch, Straftaten betreffend das Betäubungsmittelgesetz und solche gegen das Ausländer- und Integrationsgesetz. 2020 sind 78,5 Prozent der Delikte auf das Strafgesetzbuch entfallen. Im Verwaltungskreis Biel haben diese Delikte gegenüber 2019 um acht Prozent zugenommen, im Seeland um fünf Prozent. Um ein Prozent gesunken sind die Straftaten im Berner Jura. Betreffend Betäubungsmittelgesetz gab es in Biel keine signifikanten Veränderungen, im Seeland stiegen die Fallzahlen um 17 Prozent, im Berner Jura gingen sie um ein Prozent zurück. In Bezug auf das Ausländer- und Integrationsgesetz kam es lediglich im Berner Jura zu einer nennenswerten Verschiebung (minus 28 Prozent). Auffallend ist generell, dass gemessen an der Bevölkerungszahl im städtischen Bereich vergleichsweise viele Straftaten begangen werden.

Das zeigt sich auch in der Stadt Biel: Die Zahl der Delikte nach Strafgesetzbuch ist um sieben Prozent auf 7186 gestiegen. Das entspricht 129,2 Straftaten auf 1000 Einwohnende. Biel belegt damit im Kanton hinter Bern (132,9 Delikte pro 1000 Einwohnende) den zweiten Platz und überholt in dieser Statistik die Tourismusdestination Interlaken. Dass in den grossen Gemeinden Bern und Biel gemessen an der Bevölkerung mehr Fälle registriert werden, führt die Polizei unter anderem auf die Zentrumsfunktion dieser Städte zurück. Knapp 70 Prozent der Vergehen gemäss Strafgesetzbuch sind Vermögensdelikte. Laut Sauvain ist die Zunahme der Fälle in Biel vor allem auf diese zurückzuführen; so hätten etwa die Betrugsfälle im Zusammenhang mit der Cyberkriminalität auch 2020 erneut zugenommen. Die absoluten Zahlen, sagt Fabian Sauvain, seien deshalb nicht beunruhigend. Sorgen macht sich der Polizeichef hingegen aufgrund der Entwicklung bei den Gewalttaten.

Die Gewaltstraftaten im Kanton Bern haben 2020 insgesamt um sechs Prozent zugenommen; zwei Drittel der Gewalttaten wurden dabei im öffentlichen Raum begangen. Markant ist der Anstieg bei den schweren Gewaltdelikten um 26 Prozent.

Eine Entwicklung, die Sauvain auch in der Region Biel, Seeland und Berner Jura feststellt. «Delikte gegen Leib und Leben nehmen in allen drei Verwaltungskreisen zu», sagt er. Im Verwaltungskreis Biel sei zudem eine Verschiebung von einfachen zu schweren Gewaltstraftaten zu beobachten.

Laut Sauvain passiert fast jede zweite der kantonsweit registrierten 82 schweren Körperverletzungen in der Region Biel, Seeland, Berner Jura. «Es kommt vermehrt zu schwerer Gewaltanwendung», sagt der Polizeichef. Man stelle dabei auch wiederholt den Einsatz von gefährlichen Gegenständen, etwa Messer, fest.

Die Kantonspolizei hat aufgrund der neuerlichen Zunahme der Gewalttaten die Gewalt im öffentlichen Raum auch für das laufende Jahr zum Schwerpunktthema erklärt. In den Sommermonaten soll zudem eine Bevölkerungsbefragung zum Sicherheitsempfinden im öffentlichen Raum durchgeführt werden.

 

Weniger Diebstähle

Rückläufig waren die Zahlen 2020 hingegen bei den Diebstählen. 5139 Diebstähle bedeuten eine Abnahme von sechs Prozent. Laut Kommandant Blättler haben die zwischenzeitlich geschlossenen Grenzen und die bis heute geltenden Reisebeschränkungen zu einer Abnahme des Kriminalitätstourismus geführt. Zudem habe die Tatsache, dass sich aufgrund der Bewegungseinschränkung viele Personen oft zuhause aufgehalten haben, Einbrecher abgeschreckt.

Zu einer deutlichen Zunahme hat die Pandemie bei den Straftaten gegen die öffentliche Gewalt geführt (plus 68 Prozent): Bei den 2685 Fällen handelt es sich vorwiegend um Behinderung von Amtshandlungen und Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen. Viele dieser Fälle wurden laut Blättler im Zusammenhang mit Kundgebungen im Zusammenhang mit der Coronapandemie registriert.

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