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Energiegesetz

Klimapolitiker nehmen den Verkehr ins Visier

Die Motorfahrzeugsteuer erhöhen und die Elektromobiliät fördern: Nach dem Nein zum Energiegesetz suchen die Klimapolitiker im Kanton Bern nach einem neuen Weg – und wollen Kompromisse.

Elektromobilität wird in der Mäzsession des Grossen Rates mehrmals Thema sein. Bild: Gaetan Bally

Sandra Rutschi

Der Kanton Bern hätte bei den Gebäuden am besten handeln können. So lautet das Fazit von Klimapolitikern, nachdem das Energiegesetz an der Urne knapp gescheitert ist. Die Energienutzung bei den Gebäuden ist zudem ein Bereich, der laut dem letzten Bericht zur kantonalen Energiestrategie noch nicht auf Kurs ist. Im Herbst will die Regierung nochmals aufzeigen, wie weit der Kanton beim Umsetzen seiner Ziele ist. Diese sehen vor, bis 2035 Wärme zu 70 Prozent aus erneuerbarer Energie zu erzeugen. Strom soll zu 80 Prozent erneuerbar sein.

Dennoch: Ein Nein ist ein Nein, auch wenn es knapp war. «Basierend auf den aktuellen Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich macht ein neues Gesetz keinen Sinn», sagt Daniel Klauser (Grüne, Bern), Präsident der Bau-, Energie-, Verkehrs- und Raumplanungskommission des Grossen Rates. Die Energiedirektoren werden diese Vorschriften voraussichtlich im Lauf der nächsten Jahre überarbeiten. Eine Stossrichtung könnte sein, dass Neubauten übers Jahr hinweg betrachtet mehr Energie erzeugen müssen, als sie verbrauchen. «Das könnte mehr Flexibilität für eine neue kantonale Vorlage geben», sagt Klauser.

Fokus Motorfahrzeugsteuer
Ruhen wird die Energiepolitik im Kanton in der Zwischenzeit nicht. Zwar betonen die Energiepolitiker, dass im Verkehrsbereich vor allem der Bund das Zepter in der Hand hält, um den CO-Ausstoss bei Fahrzeugen zu beschränken. Doch bereits für die Märzsession sind Vorstösse vorgesehen, die beim Verkehr ansetzen. Einer davon stammt von Politikern von GLP, FDP und BDP. Sie fordern eine ökologische Revision der Motorfahrzeugsteuer, die schwere Fahrzeuge sowie solche mit hohem Schadstoffausstoss stärker als heute belastet. So soll die in Bern sehr tiefe Motorfahrzeugsteuer mindestens auf den Schweizer Mittelwert erhöht werden. Die Motionäre hoffen auf Mehreinnahmen von circa 40 Millionen Franken.

Höhere Motorfahrzeugsteuern haben im Kanton Bern einen schweren Stand. 2012 hat das Stimmvolk sie gesenkt, und der Grosse Rat verwarf bislang alle Anträge seitens der Ratslinken und der Regierung, welche daran schrauben wollten.

Doch bei diesem Vorstoss locken die Motionäre mit einem Zückerchen: Sie wollen die gewonnenen 40 Millionen Franken für eine Steuersenkung bei natürlichen Personen einsetzen. Ein Anliegen, das gerade der FDP und der SVP sehr wichtig ist. «Für mich ist diese Koppelung zentral, um Mehrheiten zu finden», sagt Mitmotionär und BAK-Vizepräsident Peter Flück (FDP, Brienz).

Die Rechnung könnte aufgehen. So zeigt sich zumindest BAK-Mitglied Hans Jörg Rüegsegger (SVP, Riggisberg) unter diesen Umständen gesprächsbereit. Er hatte sich schon bei der geplanten Senkung der Unternehmenssteuer dafür eingesetzt, dass auch natürliche Personen hätten profitieren können. Und ist überzeugt, dass die Vorlage unter diesen Umständen angenommen worden wäre. Die Regierung erwartet zwar nur einen bedingten ökologischen Lenkungseffekt von der Idee. Dennoch ist sie bereit, den Vorstoss zu prüfen, wie sie gestern mitteilte. Hingegen lehnt sie einen weiteren Motorfahrzeugsteuer-Vorstoss ab, der ebenfalls im März Thema wird. Natalie Imboden (Grüne, Bern) möchte Autofahrer, die nur wenig unterwegs sind, steuerlich entlasten. Das sei technisch und administrativ nicht umsetzbar, findet die Regierung.

E-Mobilität und Trift
Doch nicht nur die Motorfahrzeugsteuer steht im Fokus. Im März kommt auch ein ganzes Paket von Massnahmen in den Grossen Rat, welche die Elektromobilität im fördern sollen. Dabei geht es etwa um eine Pflicht zu Ladestationen, um Strom aus erneuerbaren Energiequellen und um Anreize für Firmen. «E-Mobilität ist kein Allerheilmittel, denn auch diese braucht Energie», relativiert Klauser. Sie könne aber einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz leisten. Ganz in Ruhe lässt das abgelehnte Energiegesetz die Politiker aber noch nicht: Flück, der sich als FDP-Mann anders als seine Partei für die Vorlage eingesetzt hatte, überlegt, wie man die Hauseigentümer in die Pflicht nehmen könnte. Sie betonten stets, dass sie freiwillig viele Massnahmen treffen würden. «Es müsste eine Art Monitoring geben, um das zu überprüfen.» Derweil nennt Rüegsegger nochmals einen anderen Aspekt, wenn er von der Klimapolitik im Kanton Bern spricht. «Meines Erachtens müssen wir das Projekt Trift, den Stausee und das Wasserkraftwerk Trift der KWO bestmöglich unterstützen. Alles andere ist sekundär.»

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Klimastreik-Aktivisten enttäuscht
Tausende von Jugendlichen nahmen unentschuldigte Absenzen in Kauf und schwänzten die Schule, um für strengeren Klimaschutz und gegen untätige Politiker zu demonstrieren. Streiken fürs Klima ist zu einer richtigen Jugendbewegung geworden. Nur: In einen zählbaren Abstimmungserfolg liess sich die Mobilisierung der Jungen nicht ummünzen. Wie enttäuscht ist man bei der Bewegung über das Nein des Berner Stimmvolks zum Energiegesetz?

Offiziell wolle man das Nein nicht kommentieren, sagt Pascal Kipf, einer der Mitorganisatoren der Berner Klimastreiks. «Wir mischen uns nicht in die institutionelle Politik ein.» Persönlich sei er aber sehr enttäuscht», so der 21-jährige Biologiestudent. «Die vorgeschlagenen Änderungen wären ein kleiner und begrüssenswerter Schritt gewesen.»

«Besonders die niedrige Stimmbeteiligung ärgert mich», fügt Ronja Fankhauser hinzu. Die Erkenntnis der 19-jährigen Gymnasiastin und Klimaaktivistin: «Wir müssen gerade die Jungwähler noch mehr politisieren und weiter informieren.»

Dass die Klimastreiks nicht mehr Jungwählerinnen und Jungwähler mobilisiert hätten, zeige, dass die Jugendbewegung zwei Probleme habe, urteilt Fankhauser. Erstens sei die Bewegung keiner politischen Richtung zuzuordnen. «Wir sind apolitisch und wollen das auch bleiben.» Dadurch werde es für den Einzelnen einfacher, sich als Teil von etwas Grösserem zu fühlen. Es führe aber nicht dazu, dass sich die Jungen automatisch mehr für Politik interessieren und abstimmen würden.

Zweitens zeige die niedrige Stimmbeteiligung, dass die Klimabewegung ein Reichweitenproblem habe – und zwar auch unter den Jungen, so Ronja Fankhauser weiter. «Es gibt einen apolitischen Teil, den wir noch nicht erreichen können.» Bisher funktioniere die Vernetzung der Jugendlichen vor allem über die Gymnasien. «Nun beschäftigen wir uns damit, wie wir auch diejenigen an den Berufsschulen mit ins Boot holen und überzeugen können, sich für den Klimaschutz zu engagieren».

Dafür wünscht sich die Gymnasiastin mehr Unterstützung von den Lehrkräften – und dies schon früher. «Der Klimawandel und seine Folgen müssen bereits an der Oberstufe thematisiert werden», fordert Fankhauser. bit

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Der Stadt-Land-Graben war schon tiefer
Für Samuel Leuenberger, BDP-Grossrat aus Trubschachen, war es kein einfacher Sonntag. Selbst ein Befürworter des Energiegesetzes, sitzt der Mann auch im Vorstand des Berner Hauseigentümerverbandes. Im Gremium also, welches das Referendum gegen das Gesetz ergriffen hatte. Ein Interessenkonflikt – im Abstimmungskampf hielt sich Leuenberger deshalb zurück. Das gebiete der Anstand und entspreche seinem Verständnis von Kollegialität, sagte er am Tag danach.

Diskussionen um Energie, Klima und Wandel verlaufen oft entlang ideologischer Linien. In der Vergangenheit entsprachen diese Linien nicht selten dem Graben zwischen Stadt und Land. Das knappe Nein zum Berner Energiegesetz offenbarte: Die Gräben waren schon tiefer. Exemplarisch zeigte sich das in Leuenbergers Heimat, in den Gemeinden am östlichen Zipfel des Emmentals. In Langnau, Trub und Trubschachen sprach sich eine Mehrheit der Stimmberechtigten für die Vorlage aus. Leuenberger sagt: «Die Region war schon immer recht progressiv in Energiefragen.»

Der Trubschacher Gemeindepräsident Beat Fuhrer (GLP) begründet die Zustimmung mit dem Bewusstsein, das im Dorf herrsche: «Die Leute hier wissen, wie wichtig der sorgfältige Umgang mit Energie ist.» Tatsächlich scheint die Energiewende in Trubschachen mehr zu sein als ein blosses Lippenbekenntnis: Auf dem Dach der Schulanlage stehen 486 Solarmodule. Geheizt wird mit Holschnitzeln statt Öl. Bei der Beleuchtung seiner Strassen setzt das Dorf – als eines der ersten des Landes – komplett auf LED-Lampen. Und der Gemeinderat hat sich Elektrovelos als Amtsfahrzeuge zugelegt.

Pioniergeist und Holz
Raoul Knittel ist Umweltingenieur und Projektleiter der Energieregion Emmental. Er verweist auf die Tradition lokaler Genossenschaften. «Die grossen Energieversorger interessieren sich nur sehr bedingt für die Peripherie.» Für ihn kein Nachteil, im Gegenteil. «In den Tälern und Gräben müssen wir uns selbst helfen.» Noch kratze man erst an der Oberfläche. 2010 verfasste die Energieregion Emmental eine Studie, die zum Schluss kam: Das Emmental könnte sich bis zu 80 Prozent selbst mit Energie versorgen. Die Solargenossenschaft Trubschachen zum Beispiel produziere Solarstrom auf dem Schulhausdach Hasenlehn und vermarkte diesen erfolgreich. «Wir müssen Projekte dieser Art noch konsequenter weiterverfolgen.» Man habe bewiesen, dass es realistische Alternativen gebe und dass sich damit Geld verdienen lasse. Die Solargenossenschaft etwa schreibe längst schwarze Zahlen. «Wenn das bei uns funktioniert, dann geht das überall.»

Der Emmentaler Pioniergeist ist eine Art, das Resultat zu deuten. Ein Anruf in Trub offenbart eine andere. Die Hälfte der Gemeindefläche ist bewaldet. Seit den Winterstürmen im vergangenen Jahr ist Holz in rauen Mengen vorhanden, gleichzeitig sind die Preise gefallen. Viele lokale Landwirte sind auf die Nebeneinkünfte aus dem Verkauf angewiesen. Das Energiegesetz hätte ihnen eine Tür geöffnet und die Nachfrage womöglich angekurbelt. «Die Leute wollen ihre Ware verkaufen», sagt der Truber Gemeindepräsident Peter Aeschlimann (SVP).

Für Samuel Leuenberger ist das abgelehnte Energiegesetz nicht das Ende der Wende. Aber ein Signal: «Die Wende gelingt nur, wenn wir sie sukzessive und in kleinen Schritten vollziehen», sagt er. Künftig wird auch er sich wieder offen dafür einsetzen. Cedric Fröhlich

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