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Sollen sich Zwölfjährige alleine für die Covid-Impfung entscheiden dürfen?

Im Kanton Bern sind bereits über ein Drittel der 12- bis 15-Jährigen gegen das Coronavirus geimpft. Dass sie dafür nicht einmal die Einwilligung der Eltern brauchen, gibt zu reden.

Ihre Impfung – ihre Entscheidung: Eine Schülerin lässt sich gegen Covid-19 impfen. Bild: Keystone

Benjamin Bitoun, Markus Dütschler und Sarina Keller

Im Kampf um jedes Prozent Impfquote bemüht sich der Kanton Bern nun verstärkt um Kinder und Jugendliche. Seit Sommer empfiehlt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) die Impfung zum Schutz gegen Covid-19 auch für Personen ab zwölf Jahren. Fünf mobile Impfteams sind mittlerweile an Berufsschulen und Gymnasien im Kanton unterwegs. Und in Zusammen­arbeit mit den Regionalspitälern werde dieses Angebot laufend ausgeweitet, teilt der Kanton auf Anfrage mit.

Dies scheint Wirkung zu zeigen. Bezeichnete die kantonale Gesundheitsdirektion das Interesse der Jugendlichen an der Impfung zu Beginn noch als «eher bescheiden», haben sich in den letzten Tagen immer mehr dafür entschieden. Wie der Kanton schreibt, waren Stand gestern 17 600 der 12- bis 15-Jährigen auf dem Covid-19-Portal Vacme registriert. 13 272 sind bereits vollständig geimpft. Das entspricht gut einem Drittel aller Berner in dieser Alterskategorie – ein Wert, mit dem der Kanton im schweizweiten Vergleich im Mittelfeld liegt.

Vielen Eltern geht es zu weit

Rund um die Impfung der 12- bis 15-Jährigen stellen sich verschiedene Fragen. Da wäre zunächst einmal diejenige des Nutzens – für die Jugendlichen selbst, aber auch für die Eindämmung der Pandemie. Denn in der Regel verläuft die Krankheit bei Kindern und Jugendlichen ohne Vorerkrankungen mild. Und mit rund 4 Prozent Anteil an der Gesamtbevölkerung wird die Alterskategorie für die Eindämmung der Pandemie als nicht essenziell eingestuft. Daher empfiehlt das BAG den Jugendlichen, vor dem Impfentscheid eine persönliche Risiko-Nutzen-Analyse vorzunehmen.

Kontrovers diskutiert wird indes vor allem die Tatsache, dass sich Jugendliche im Kanton Bern selbstständig impfen lassen können – anders als etwa in Basel-Stadt, Luzern oder dem Aargau, wo es dafür das Einverständnis eines Elternteils braucht.

Als einzige Bedingung im Bernbiet gilt, dass die 12- bis 15-Jährigen «informiert und urteilsfähig» sind. Doch sind sie das wirklich, um eine derart wichtige Entscheidung fällen zu können?

Darüber gehen die Meinungen auseinander. «Wir erleben eine junge Generation, die sich sehr wohl und sehr gut ihre eigene Meinung bilden kann. Bisher hat man sie nur noch nicht richtig angesprochen», sagt Lulzana Musliu von der Stiftung Pro­Juventute. Sie findet: Man dürfe Jugendliche nicht unterschätzen.

Fest steht: Juristisch spielt das Alter von zwölf Jahren bei verschiedenen wichtigen Entscheidungen durchaus eine Rolle. So ­besitzen Kinder ab diesem Lebensjahr zumindest ein Anhörungsrecht, wenn es etwa darum geht, ob sie nach einer Scheidung der Mutter oder dem Vater zugeteilt werden. Zudem haben gemäss UN-Kinderrechtskonvention Kinder und Jugendliche das Recht, sich frei eine eigene Meinung zu bilden und sich frei zu äussern.

Ob nun beim Impfen oder bei anderen Themen – auf der Suche nach einer Antwort sei es deshalb wichtig, dass Eltern ihr Kind in den Entscheidungsprozess einbezögen, schreibt Pro Juventute.

Einbeziehen ja, aber allein entscheiden, das geht vielen Eltern zu weit. Sie empfinden die Regelung als Einmischung des Staats in den familiären Hoheitsbereich. Nach jedem ungenügenden Test in der Schule brauche es die Unterschrift der Eltern, selbst für ein Tattoo oder ein Piercing sei deren Einverständnis nötig, schreibt eine erboste Mutter der «Berner Zeitung». Dass sie nun ausgerechnet beim Impfentscheid aussen vor blieben, sei unverständlich.

Die Vorbehalte der Experten

Auch Experten äussern Vorbehalte. Unbedingt solle man Schülerinnen und Schüler einbeziehen und dafür sorgen, dass sie über das Thema Covid-Impfung informiert seien, betont Tina ­Hascher, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bern.

Sie sagt aber auch: «Für mich ist es etwas problematisch, eine wichtige Entscheidung wie das Impfen allein einem zwölfjährigen Kind zu überlassen.» In diesem Alter seien Kinder in ihrer kognitiven Entwicklung noch nicht so weit, dass sie alle Argumente dafür und dagegen auf einem höheren Abstraktionsniveau verstünden.

Die Erziehungswissenschafterin hält ausserdem für problematisch, dass Kinder an Schulen – zumindest theoretisch – hinter dem Rücken der Eltern geimpft werden könnten. «Da interveniert die Schule ins Elternhaus hinein, dabei sollte das Verhältnis zwischen Eltern und Schule ein partnerschaftliches sein», so Haschen.

«Eltern sollten vor der Impfung ihrer 12- bis 15-jährigen Kinder zumindest angehört werden», sagt auch die Kinder- und Jugendpsychologin Renate Blaser. «Ein Bruch, der zwischen Eltern und Jugendlichen entstehen kann, scheint mir für eine positive Entwicklung der Jugendlichen gravierender als der Nutzen einer Impfung.»

Fachperson entscheidet

Ob die Jugendlichen urteilsfähig genug sind, um geimpft zu werden: Entscheiden muss dies der Regelung von BAG und Kanton zufolge letztlich die «impfenden Fachperson».

Doch wie beurteilt diese, ob sich ein Zwölfjähriger, der beim mobilen Impfteam erscheint, tatsächlich mit der Covid-Impfung auseinandergesetzt hat? Dies geschehe im Gespräch und werde fallbezogen beurteilt, sagt Gundekar Giebel, Sprecher der Gesundheitsdirektion.

Zudem werde beim Check-in und vor der Impfung gefragt, ob die Person damit einverstanden sei, so Giebel. Bis zum Piks könne das Einverständnis jederzeit zurückgezogen werden. Und: Bestünden Zweifel an der Urteilsfähigkeit, würden immer die Eltern oder Erziehungsberechtigten kontaktiert.

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