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Weihnachtsgeschichte

Und dann Weihnachten

Kein Tannenbaum, keine Weihnachtslieder, kein Familienfest. Hans muss Weihnachten zum ersten Mal alleine feiern - fast. Eine Weihnachtsgeschichte von Giorgina Hämmerli.

Hans verbringt Weihnachten zum ersten Mal alleine. Bild: Keystone

Giorgina Hämmerli

Es ist das erste Weihnachten alleine. Hans sitzt in seinem Lehnstuhl im Wohnzimmer seines nun viel zu grossen Hauses.

Im März war Elsie gestorben, ganz plötzlich. Ohne Schmerzen, hatte der Arzt gesagt, sie war einfach eingeschlafen, ohne etwas davon zu merken. Ohne etwas davon zu merken, hatte Hans gedacht, wie kann man sterben, ohne etwas zu merken.

Sie hatten sie beerdigt, im engsten Kreis. Danach waren seine Töchter abwechselnd zwei Mal die Woche vorbeigekommen und hatten nach ihm geschaut. Es war schön, sie plötzlich so viel um sich zu haben, er hatte das genossen.

Aber heute Abend, an Weihnachten können seine Töchter beide nicht kommen, die eine arbeitet und die andere ist mit ihrer Familie nach Thailand geflogen. Weihnachten am Strand, hatte sie gesagt und gelacht, und er hatte sich gefragt, ob sie vergessen hatte, dass ihre Mutter nun nicht mehr da war oder ob sie genau deshalb gehen wollte.

                           * * *

Bisher hatten sie Weihnachten immer zusammen als Familie gefeiert. Elsie hatte etwas Feines gekocht, und er hatte bei Bru einen Baum geholt. Nach dem Essen hatten sie die Geschenke unter den Baum gelegt, Kerzen angezündet und Weihnachtslieder gesungen. Hans lächelt.

Es war Elsie gewesen, die darauf bestanden hatte zu singen. Sie waren alle keine besonders guten Sänger, aber Elsie wollte trotzdem jedes Jahr singen. Das sei wichtig, hatte sie gesagt, für die Kinder, und für mich auch. Nach zwei, drei Liedern hatten die anderen jeweils genug gesungen fürs ganze Jahr. Aber Elsie wollte unbedingt noch eines, ein besonders schönes, und dann noch eines…

                           * * *

Hans fällt plötzlich auf, wie still es ist. Er steht auf, geht zum Fernseher und stellt ihn ein. Der Tagesschausprecher zieht sich gerade eine Nikolausmütze an und wünscht lachend frohe Weihnachten. Hans schüttelt verärgert den Kopf. Nur Chabis im Fernsehen, sagt er laut.

Er steht auf, holt sich eine Zigarette aus der Küchenschublade und zündet sie an. Elsie hatte es nicht gemocht, wenn er Zigaretten geraucht hatte. Zigaretten seien etwas für junge Burschen, nicht für so alte Brummbären wie er einer sei, er solle Zigarren rauchen, hatte sie gemeint. Also hatte er Zigarren geraucht.

Aber jetzt raucht er wieder Zigaretten und das im Haus.

Er steckt die Mikrowelle ein und stellt die Plastikschale mit dem Weihnachtsmenü hinein. Das Menü hatte ihm seine Tochter liefern lassen. Das Altersheim biete diesen Super-Service an. Sie bringen den Leuten, die nicht mehr selber kochen können, das Essen nach Hause, hatte sie ihm begeistert erzählt. Er kann aber noch selber kochen. Und sonst isst er Landjäger mit Brot, das schmeckt wenigstens. Nach zwei Minuten ist das Essen heiss.

Hans drückt seine Zigarette im Spülbecken aus. Dann leert er das Weihnachtsmenü auf einen Teller, nimmt Besteck und die Flasche Wein, die er gestern angefangen hat, und setzt sich an den Tisch.

Dieses Weihnachtsmenü sieht aus, als ob es schon mal jemand im Mund gehabt hätte, denkt Hans und steckt den ersten Bissen in den Mund. Es schmeckt besser, als es aussieht.

Er will gerade einen Schluck Wein nehmen, als es an der Haustüre klingelt. Hans stellt das Glas zurück auf den Tisch, steht auf und geht an die Türe.

                           * * *

Es ist die Nachbarin, mit einem Teller Kekse. Ich will Sie nicht beim Feiern stören, ich wollte Ihnen nur schnell ein paar Kekse bringen und Ihnen frohe Weihnachten wünschen, sagt sie.

Wir feiern nicht, ich bin alleine, antwortet Hans, vielen Dank für die Kekse. Oh, sagt sie.

Hans sieht, dass sie Mitleid mit ihm hat; schnell sagt er: auf Wiedersehen, und Ihnen ebenfalls frohe Weihnachten. Warten Sie - kommen Sie doch zu uns herüber, wir würden uns freuen, wenn Sie mit uns feiern würden, sagt sie.

Danke, aber ich geh wohl bald schlafen, ich bin etwas müde, sagt Hans.

Sie können es sich ja noch überlegen, sagt die Nachbarin, winkt ihm zu und läuft zurück ins Haus.

Hans schliesst die Türe hinter ihr und geht zurück zu seinem Abendessen. Er setzt sich hin und trinkt einen Schluck Wein.

Dann steht er auf, geht ins Schlafzimmer und zieht sich ein frisches Hemd an.

Als er sich umdreht und aus dem Zimmer gehen will, fällt sein Blick auf das Bild von Elsie, das auf seinem Nachttisch steht.

Hans zwinkert ihr zu. Ich erzähl dir dann, wie es war, sagt er und macht sich auf den Weg ins Nachbarshaus.

Info: Giorgina Hämmerli ist 22 Jahre alt und studiert seit 2012 am Schweizerischen Literaturinstitut in Biel Literarisches Schreiben. Für die Geburt ihrer Tochter hat sie das Studium unterbrochen. Hämmerli wohnt mit ihrer Familie in Zürich.

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