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«Der grösste Liebestöter ist die Selbstverständlichkeit»

Seit acht Jahren bietet Ronny Kownatka in Orpund Paarberatungen an. Der 43-Jährige sagt, wie er vom Dachdecker zum Paarberater geworden ist. Und was das Wichtigste in einer Beziehung ist.

Hat als Teenager auf der Strasse gelebt: Ronny Kownatka in seiner Praxis in Orpund. Bild: Peter Samuel Jaggi
  • Dossier
Aufgezeichnet: 
Sarah Grandjean
 
Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass Paare zu mir in die Beratung kommen? Dass sie aneinander vorbeireden, jemand eine Affäre hat oder dass es im Bett nicht mehr klappt. Ob es sich dabei um eine homo- oder heterosexuelle, um eine mono- oder polygame Beziehung handelt, spielt keine Rolle. Die Probleme sind dieselben. Es gibt zum Beispiel Beziehungen, in denen wird pausenlos gestritten. Da ist klar, dass man an einer konstruktiven Kommunikation arbeiten muss. Andere Beziehungen sind hingegen so sehr auf Harmonie bedacht, dass sie einschlafen. Die Menschen gehen Konflikten aus dem Weg, sagen dem Frieden zuliebe Ja, auch wenn sie anderer Meinung sind. Und was passiert? Wir hören auf, uns innerlich zu bewegen. Wir werden unzufrieden und suchen nach etwas Anderem, Neuem, etwa, indem wir fremdgehen.
 
Ich komme ursprünglich aus Norddeutschland. Geboren bin ich in Neubrandenburg in der ehemaligen DDR. Gleichzeitig wie die Mauer gefallen ist und Deutschland sich wieder vereinigt hat, haben sich meine Eltern getrennt. Dies, weil sich herausgestellt hatte, dass mein Vater nicht mein leiblicher Vater war. Das war sehr einschneidend. Ich war zwölf Jahre alt und für mich wäre ein stabiles Umfeld wichtig gewesen. Aber meine Mutter ging nach Süddeutschland, um sich ein neues Leben aufzubauen. Und mein Vater machte sich aus dem Staub. Er hat sich nie wieder bei mir gemeldet.
 
Ich lebte eine Zeit lang bei meinen Grosseltern, dann im Kinderheim, im Jugendnotdienst, auf der Strasse. Mit 14 Jahren bin ich zu meiner Mutter gezogen, die mittlerweile wieder geheiratet hatte. Ich war wütend auf sie, wusste in dem Moment aber nicht, warum genau. Ich habe die Schule abgeschlossen, dann eine Lehre als Dachdecker gemacht und nebenbei im Kino gearbeitet. 
 
Mit 28 bin ich in die Schweiz gekommen. Ich war unzufrieden, brauchte eine Veränderung und Arbeit. Ich habe auf dem Bau als Fenstermonteur gearbeitet und wollte eigentlich nur ein, zwei Jahre bleiben. Schliesslich bin ich wegen der Liebe zu einer Frau geblieben. Als Fenstermonteur habe ich mich bald intellektuell unterfordert gefühlt. Ich habe einige Jahre als Berater für Krankenkassen gearbeitet und dabei gemerkt, dass ich zwar ein guter Berater, aber ein miserabler Verkäufer bin. Irgendwann hat mir eine Kollegin einen Prospekt über die Ausbildung zum Paar- und Jugendberater in die Hand gedrückt. Ich habe gewusst: Das ist es. Aristoteles hat mal gesagt: Wo sich deine Talente mit den Bedürfnissen der Welt kreuzen, liegt deine Berufung. Und so wars. 2013 habe ich meine Praxis RK-Beratung hier in Orpund eröffnet. Ausserdem arbeite ich in der Praxis Blickwinkel in Herzogenbuchsee.
 
Ich biete Einzel-, Familien- und Paarberatungen an und habe Klienten jeden Alters. Der jüngste ist 13, der älteste 68. Wenn ein Paar zu mir kommt, müssen beide Personen bereit sein, an der Beziehung zu arbeiten. Wenn das nur eine will, kann ich nicht helfen. Es gibt Paare, bei denen eine oder zwei Sitzungen genügen, was ich sehr schön finde. Da geht es vielleicht nur darum, ein Missverständnis aufzuklären. Manche Paare kommen aber auch sechs bis zwölf Mal zu mir. Besonders beeindruckt hat mich ein Pärchen, das über Jahre versucht hat, ein Kind zu zeugen. Das hat schliesslich geklappt, worüber die beiden glücklich waren. Aber die Zeit, die es bis dahin gedauert hat, hat ihre Sexualität fast vernichtet. Nun war es schwierig für die beiden, auf der Paarebene wieder zu funktionieren. Sie haben aber inzwischen geheiratet und sind, soweit ich weiss, noch immer zusammen.
 
Bezüglich Sexualität sind wir viel offener als vor 30 Jahren. Aber wir reden noch immer zu wenig über unsere Bedürfnisse. Wenn wir mit jemandem zusammenkommen, treffen wir uns häufig beim kleinsten gemeinsamen Nenner – und bleiben dann dort. Wir hören aus Angst oder Scham auf, unsere Sexualität zu steigern.
 
Bei Männern stelle ich oft fest, dass sie überfordert sind, ihre Rolle zu definieren. Sie fragen sich: Wer bin ich als Mann? Der liebende Familienvater, der nette Kerl, der gute Zuhörer? Oder der Macho, der Bad Guy, der harte Typ, der das Geld nach Hause bringt und auch mal auf den Tisch haut? Viele wollen beides sein und finden ihren Platz zwischen den Polen nicht. 
 
Die meisten Paare kommen zu mir, weil sie ihre Beziehung retten wollen. Es gibt aber auch welche, die kommen – bewusst oder unbewusst – um sich zu trennen. Gleichgültigkeit und Ekel sind für mich klare Indizien dafür, dass eine Beziehung am Ende ist. Der grösste Liebestöter ist die Selbstverständlichkeit. Dass wir aneinander vorbeileben, uns kaum noch in die Augen schauen. Ein Hallo und Müntschi reichen eben nicht. Wir müssen uns streicheln, in den Arm nehmen, «Ich denke an dich» auf ein Post-it schreiben. Solche kleinen Aufmerksamkeiten fehlen im Alltag oft. Manchmal gebe ich meinen Klientinnen Hausaufgaben mit, zum Beispiel, mit ihrem Partner ein Bild zu malen. Häufig haben sie dabei tolle Erlebnisse, lachen, schäkern und streiten. Was sie malen, ist mir egal. Es geht darum, dass sie mal etwas anderes zusammen machen. Häufig sage ich meinen Paaren: Liebe will nicht verstanden werden. Liebe will gelebt werden.
 
Zeit miteinander zu verbringen ist wichtig, aber ebenso wichtig ist Zeit für sich selbst und für die sozialen Kontakte. Wenn wir mit der Familie, mit Freunden oder Bekannten zusammen sind, können wir unsere verschiedenen Facetten ausleben. Ich empfehle meinen Klienten oft, doch mal einen Männer- oder Frauenabend zu machen. Sich mit anderen Menschen auszutauschen verändert unsere Gedanken und Gefühle. Zuhause kann man dann erzählen, was man erlebt hat. Es gibt doch nichts Schöneres.
 
Ich selbst habe verschiedene Beziehungsformen ausprobiert und viele Beziehungen geführt, kurze, lange, intensive. Das Wichtigste in einer Partnerschaft finde ich, dass man miteinander redet und keine Angst vor Veränderungen hat. Viele Menschen suchen Beständigkeit, auch in der Beziehung, und vergessen dabei, dass wir uns verändern. Denn die Erde dreht sich weiter, die Gesellschaft verändert sich und wir uns mit ihr. Wir müssen wachsen und uns selbst verwirklichen, das ist ein menschliches Grundbedürfnis.
 
Ich habe mal ein Interview mit einem Mann gelesen, der über 50 Jahre verheiratet war. Als man ihn fragte, wie es gewesen sei, so lange mit ein und derselben Person verheiratet zu sein, sagte er: «Das war ich gar nicht. Ich war mit zwölf Frauen verheiratet.» Ich fand das toll. Das zeigt, wie wichtig es ist, sich mit der Zeit zu verändern. Wenn wir das zulassen, kann es sein, dass wir uns innerhalb einer Beziehung neu verlieben. 
 
Alle Folgen der Serie finden Sie unter www.bielertagblatt.ch/montag

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