Sie sind hier

Abo

Kallnach

Der Köhli weiss nun, wer es war

Mit den urkundlich belegten Wasserhändeln rund um die Mühle Kallnach erhält die Redewendung «Jemandem das Wasser abgraben» ihre ursprüngliche Bedeutung zurück. Das Bauwerk besitzt eines der grössten Mühlräder der Schweiz.

Claudine Boss hat in den Räumen, die von der ausgeklügelten, alten Mühlentechnik geprägt sind, eine wohnliche Atmosphäre geschaffen. Bild: Peter Samuel Jaggi
  • Dossier

Sarah Zurbuchen

«Schon öfters hat der Peter Köhli, Burger zu Aarberg, verspürt, dass ihme das Wasser abgeleitet wird, welches seiner Besizung hinter Kallnach nach der vestgesezten Kehre zufliessen soll. Lezten Mitwochen Nachts widerfuhr das gleiche, mit dem Unterscheid, dass der Köhli nun weiss, wer ihm das Wasser dieses mal abgeleitet hat: Es ist der Abraham Marti, des Meyers sel. Sohn, auf der Mühli zu Kallnach, der diesen Frevel begangen.»

Dieser Auszug aus einer «Kundmachung und Vorladung der Landschreiberey Aarberg» stammt vom 12. August 1780 und dokumentiert, wie sich der Müller der Mühle Kallnach und die Landwirte in der Vergangenheit um das Wasser gestritten haben. Es war nicht das einzige Mal, wie die heutige Mühlenbewohnerin Claudine Boss aus alten Dokumenten weiss. «Streitigkeiten um das Wasser gab es immer wieder, Urkunden über Wasserhändel gehen bis ins frühe 17. Jahrhundert zurück.»

Oftmals hätten, im Gegensatz zum hier erwähnten Fall, Bauern das Wasser abgeleitet, um ihre Felder zu bewässern. Dies, obwohl die Müller auf vielen Parzellen der Gemeinde die Wasserrechte beanspruchten. So wurden 1683 benachbarte Matten der Mühle zum Schaden des Müllers bewässert, was Landvogt von Graffenried in öffentlicher Verkündung unter Strafandrohung rügte. 1723 und 1729 musste der Müller wieder klagen. 1734 liess der Landvogt gar eine Mahnung von der Kanzel verlesen.

Manche erinnern sich noch

In der Mühle Kallnach wurde noch bis ins Jahr 1977 gemüllert. Müller Fritz Marti (1884-1977) sei mancher Kallnacherin und manchem Kallnacher noch in lebhafter Erinnerung, sagt Claudine Boss. «Besonders der legendäre Sacklift, mit dem Marti die Mehlsäcke und auch sich selbst über drei Stockwerke transportierte, übte auf die damaligen Kinder eine grosse Faszination aus.» Die Ursprünge der heutigen Mühle gehen auf die Jahre 1630-1650 zurück. Gemäss Überlieferungen ist die Mühle mehrmals abgebrannt, zuletzt im Jahre 1860, als mehrere Häuser einem Grossbrand an der Mühlegasse zum Opfer fielen. Erhalten geblieben sind zwei prächtige spätgotische Fenster im Erdgeschoss über dem Brunnen.

Das heutige Gebäude mit seinen gut erhaltenen Mühleinrichtungen wurde 1863 erstellt. 1895 wurde das Holzrad durch das heutige, mächtige Schaufelrad aus Eisen ersetzt. Der Durchmesser beträgt 7,5 Meter und ist somit eines der grössten noch funktionierenden Wasserräder der Schweiz. 54 Schaufeln fassen je 30 Liter Wasser. Bei vier Umdrehungen pro Minute und einem Wasserverbrauch von 6500 Litern entwickelt es drei bis vier Pferdestärken. Dank einer ausgeklügelten Transmission konnten auch Holzsägen, Jauchepumpen und ein Heuaufzug betrieben werden.

Ein Neubeginn

Die Kallnacher Lehrerin Claudine Boss hat die Mühle vor 35 Jahren zusammen mit ihrem damaligen Mann gekauft und in den folgenden Jahren schrittweise renoviert und Wohnungen eingebaut. Zeitweise führte sie in der Mühle einen Kinderladen, einen Gastrobetrieb und zuletzt zusammen mit einer Freundin einen Kulturbetrieb, die Moulin Culture. Die Räume wurden in Ausstellungsräume und Begegnungsorte umfunktioniert. Theaterstücke und Konzerte wurden aufgeführt, Weinseminare gegeben. Und auch die Mühle erweckten sie zu Demonstrationszwecken hin und wieder zum Leben. Private Umstände führten 2013 dazu, dass Claudine Boss und ihre Freundin das Projekt auf Eis legen mussten.

Doch die Mühlenbewohnerin hat bereits eine neue Idee, wie sie die altehrwürdigen Räumlichkeiten und den weitläufigen Garten nutzen will. Sie ist nämlich frisch pensioniert und hat nun Zeit und Lust, etwas Neues in Angriff zu nehmen. Spruchreif sei aber noch nichts, sagt sie. Zuerst will sie etwas Luft in die Räume bringen, in denen sich über die Jahre viele Einrichtungsgegenstände angesammelt haben.

Vom 11. bis am 13. September macht die unternehmungslustige Mühlenbesitzerin deshalb einen Flohmarkt bei der Mühle, um für das Mobiliar, Antiquitäten und Raritäten neue Besitzer zu finden. Interessierte dürfen bei dieser Gelegenheit auch die Mühle besichtigen.

Konfliktlösung

Im Falle des eingangs erwähnten Konflikts schlug die Landschreiberei übrigens Folgendes vor: «Da nun der Köhli dadurch beschädigt worden (...) Es dann auch Rechtens und billig ist, dass jedern den Schaden ersetze, den er zugefügt hat: Als wird vorgedachter Abraham Marti, hierdurch angesonnen, sich ohne ferneres mit dem Köhli desshalb in Freundlichkeit abzufinden, widrigenfalls er andurch unter Bedrohung gesetzlicher Folgen, förmlich vorgeladen seyn soll.»

Stichwörter: Kallnach, Mühle, Mühlrad

Nachrichten zu Seeland »