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Grossaffoltern

Der Seebär aus dem Seeland

Die einzige Konstante in Fritz Gerbers Leben war das Fernweh. Der Seemann befuhr mit Dampfern die Weltmeere, war Walfänger in der Antarktis und Kapitän auf Schweizer Schiffen. Nun ist ein Buch über ihn erschienen.

Der Bramsegelschoner Senator ist 1912 Fritz Gerbers erstes Schiff. Bild: Walter Zürcher

Simone Lippuner

Würde Fritz Gerber heute leben, er wäre ein Star auf Social Media. Bilder vom stürmischen Meer, von grossen Schiffen, Häfen in aller Welt, vielleicht Selfies mit schönen Frauen, zweifellos auch unschöne Aufnahmen von getöteten Walen – im Netz würden sie hohe Wellen schlagen.
Doch Fritz Gerber ist seit 65 Jahren tot. Niemand hätte Bilder aus seinem Leben gesehen, etwas über den Seemann aus Grossaffoltern erfahren, hätte nicht der Schaffhauser Autor Walter Zürcher jahrelange Recherchearbeit betrieben. Schliesslich ist Fritz Gerber der legendärste Schweizer Seemann. Er befuhr mit Dampfern die Weltmeere, war Walfänger in der Antarktis und Kapitän auf Hochseefrachtern. «Es gab bisher keine Literatur über Gerber», weiss Zürcher, der beim VBS als Analyst arbeitet. Sein Buch «Schweizer zur See» ist vor wenigen Tagen erschienen.

Mit 17 kam das Fernweh
Fritz Gerber wird am 5. Februar 1895 als Sohn eines Lohnkäsers in Grossaffoltern geboren und mit ihm der Traum, Seemann zu werden. «Als der wirblige junge Fritz auf dem Dorfplatz in Grossaffoltern von einem Nachbarn angehalten und gefragt wird, was er einmal werden möchte, antwortet er stolz: Kapitän, aber nicht auf dem Bielersee, sondern auf dem Meer!», schreibt Zürcher in seinem Buch. Der Nachbar lacht den kleinen Fritz aus.
Getrieben von Abenteuerlust, zieht Fritz Gerber schon als 17-Jähriger von zu Hause los und mustert als Schiffsjunge in Bremen auf seinem ersten Segelschiff an, das Kohle zwischen Schottland und der Weser transportiert. Später ist Gerber auf einem Heringsfangschiff in Island und arbeitet im transatlantischen Dienst von Deutschland nach Brasilien und Argentinien.

85-jähriger Neffe meldet sich
«Für das Buch habe ich tagelang im Staatsarchiv von Bremen recherchiert», sagt Walter Zürcher. Auch dank Beziehungen in die USA kam er zu Infos über Gerber. Doch die grösste Hilfe war dem Autor ein Aufruf im «Brückenbauer» (heute «Migros-Magazin») von 2011: Tatsächlich meldete sich ein Neffe von Seemann Fritz Gerber, ein heute 85-jähriger ehemaliger Pfarrer. «Er überliess mir Gerbers gesamten Nachlass, Fotos, Tagebücher, alles.»
Glücklicher konnte der Zufall nicht sein, durch die Masse an Material reduzierte sich für walter Zürcher der Aufwand für Nachforschungen. Dennoch arbeitete er insgesamt sechs Jahre lang an dem Buch, das auch die Biografien von zwei weiteren Schweizer Seefahrern enthält (siehe Zweittext).

Schwimmender Kühlschrank
Das Leben auf dem Meer und die Karriere vom Matrosen und später zum Offizier und Kapitän gestalten sich härter, als Fritz Gerber sich das vorgestellt hatte. 1913 ist er mit dem 84 Meter langen Stahlsegler Niobe nach Südamerika unterwegs. Auf der 145 Tage langen Reise nach Peru segelt die Mannschaft in den südlichen Winter: Es wird derart kalt, dass die Bordwände von zentimeterdicken Eisschichten bedeckt sind und die Mannschaft das Schiff als «schwimmenden Kühlschrank» bezeichnet. Heizung gibt es keine. Sowohl Gerber wie auch der Koch und sieben Matrosen haben danach genug und desertieren.
Doch lange dauert diese Berufspause nicht. Nach einem Jahr im Westen der USA meldet sich die Lust aufs Meer zurück. Fritz Gerber segelt mit einem Viermaster nach Australien, an Bord eines norwegischen Dampfers kehrt er zurück nach Europa. Wieder in der Schweiz, muss Gerber 1917 ins Militär. Er wird Korporal in der Infanterie und leistet Aktivdienst. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitet er nahe Schaffhausen bei der Heerpolizei.

Auf der Jagd nach Walen
1923 meldet sich wieder das Fernweh. Gerber heuert auf verschiedenen Schiffen an. Seinen Jugendtraum, Kapitän zu werden, hat er nicht aus den Augen verloren. In der renommierten Seefahrtsschule in Bremen ist er ein ausgezeichneter Schüler. 1929 legt er als einziger Ausländer unter zwölf Prüflingen das anspruchsvolle Examen zum Kapitän auf Grosser Fahrt ab. Kurz darauf beginnt er als 3. Offizier auf einem deutschen Dampfer, fährt damit nach Australien, Neuseeland, Nordamerika und steigt zum 2. Offizier auf.
Sieht Gerber keine Perspektive für eine Beförderung zum 1. Offizier? Oder sucht er ein neues Abenteuer? Unklar sind die Gründe, weshalb Fritz Gerber 1936 zu einer deutschen Walfanggesellschaft wechselt. «Gerber liebte Herausforderungen, besass eine gehörige Portion Selbstvertrauen, war zielstrebig und hatte Mühe mit dem Mittelmass», schreibt Zürcher.
Gerbers Walfangboot zählt 15 Männer, die erlegen 202 Wale. Es folgen weitere erfolgreiche Expeditionen. 1939 bricht der Zweite Weltkrieg aus, der mittlerweile 44-Jährige muss in die Schweiz und ins Militär einrücken.

Die letzte Vorstellung
Nur vier Tage nach dem Ende seines Aktivdienstes mustert Kapitän Gerber in Genua auf dem Schweizer Schiff St. Cergue an, wo er bis 1943 bleibt. Auf seinen Reisen rettet er mehr als 100 Seeleute vor dem Tod und wird dafür von der niederländischen Regierung ausgezeichnet. Bis 1952 ist Gerber Kapitän auf verschiedenen Schweizer Schiffen, darunter der «General Dufour».
Als die «Dufour» am 2. Mai 1952 in Taltal, Chile, einläuft und Salpeter belädt, besucht Fritz Gerber eine Theatervorstellung, bricht zusammen und stirbt. Walter Zürcher schreibt: «Als Kapitän Gerber am Hafendamm zusammenbrach und sich nicht mehr aufrichten konnte, sagte er zu seinen Begleitern: ‹Entschuldigen Sie.›»

 


Über Autor und Buch
Walter Zürcher, Jahrgang 1956, stammt aus Schaffhausen und lebt heute in Herbligen. Seine Leidenschaft für die schweizerische Schifffahrtsgeschichte resultiert aus der Zeit als Offizier zur See. Seit 1986 hat Zürcher vier Bücher über die Schweizer Schifffahrtsgeschichte verfasst. Sein jüngstes Werk ist Mitte März erschienen: «Schweizer zur See. Drei Persönlichkeiten und ihre Schiffe». Nebst der Geschichte über Fritz Gerber  (siehe Haupttext) finden sich  im Buch die Biografien der Schweizer Seemänner Edward Walter Eberle und Henry Felix Tschudi. sl

Info: Walter Zürcher, «Schweizer zur See», Simowa-Verlag Bern, 216 Seiten, ISBN-Nummer 978-3-908152-50-7, Fr. 43.90.

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