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Gemeindefinanzen

Die Seeländer Gemeinden leben vom Notgroschen

Im vergangenen Jahr verbuchten die Städte und Dörfer im Seeland fast 38 Millionen Franken Verlust. Handlungsspielraum für Korrekturen haben sie wenig. Die Steuern wurden kaum erhöht, das Eigenkapital reicht vorerst aus.

Das Seeländer Steuerparadies liegt in Treiten, der Gemeinde mit dem tiefsten Steuerfuss. Oberwil hingegen musste die Steuern erhöhen und ist neu am Ende der Skala, Bild: Patrick Weyeneth/bt

von Fabian Maienfisch

Heute ist der erste Arbeitstag im neuen Jahr. Während ein Jenser mit durchschnittlichem Einkommen gemäss Eidgenössischer Steuerverwaltung bis am 5. Februar ausschliesslich für den Staat arbeiten wird, fliesst in Treiten das Einkommen schon am 31. Januar in die eigene Tasche. Die Differenz von einer Arbeitswoche erklärt sich durch die verschiedenen Steuerfüsse in den Dörfern und Städten - und diese weisen im Seeland auch im Jahr 2015 eine grosse Spannweite auf (siehe Grafik). Erneut ist die steuergünstigste Seeländer Gemeinde Treiten, das 450-Seelen-Dorf hat einen Steuerfuss von 1.2.

«Das ist nicht überraschend. Wir haben die Kiesgrube», sagt Treitens Gemeindepräsident Matthias Schumacher. Ein Unternehmen, das die Gemeindekasse stets gut füllt. Das heisse indes nicht, dass sein Dorf immer aus dem Vollen schöpfe, so Schumacher weiter. Aber die eigenen Aufgaben überprüfen wie in anderen Gemeinden müsse man hingegen nicht. Und Diskussionen über eine Steuererhöhung gebe es auch nicht.

 

Die Lage verdüstert sich

Nur die wenigsten Seeländer Gemeinden haben Sonderfaktoren wie eine Kiesgrube, die das Budget spürbar entlasten. Von 63 Dörfern und Städten konnten nur gerade fünf ihre Steuern senken, vier mussten sie gar erhöhen. Zudem budgetieren alle Gemeinden bis auf Treiten, Meienried, Gampelen und Jens ein Defizit für 2015. Kein gutes Omen: Im Jahr 2014 betrug das Defizit zusammengenommen gut 38 Millionen Franken. Acht Millionen mehr als im Jahr 2013. Die Pro-Kopf-Verschuldung hat im Seeland zwischen 2003 und 2013 laut kantonaler Finanzdirektion von 5309 auf 5435 Franken zugenommen. Obschon die Bevölkerung im selben Zeitraum um über 10 000 Personen angewachsen ist. 2013 standen die 63 Gemeinden mit 916 Millionen Franken in der Kreide.

«Die finanzielle Lage der Gemeinden ist schon seit einiger Zeit angespannt», bestätigt Beat Baumgartner, bei der kantonalen Finanzverwaltung zuständig für den innerkantonalen Finanzausgleich. Eine Ursache für die Misere ortet er bei den stagnierenden Steuereinnahmen. Dies sei teils konjunkturell bedingt, sagt Baumgartner. Zahlreiche Gemeinden verzeichnen aber auch weniger Einnahmen wegen Steuersenkungen auf Kantonsebene. Mit der geplanten Unternehmenssteuerreform des Bundes kann sich diese Situation künftig noch verschärfen. Einen weiteren Grund macht Baumgartner bei den steigenden Ausgaben für Verbundsaufgaben aus. Das sind Aufgaben, die Gemeinden und Kanton gemeinsam tragen, wie Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen.

Dazu Bernhard Bachmann, Gemeindepräsident von Ipsach und bis Ende 2014 Präsident des Vereins Seeland.biel/ bienne: Wenn die Kosten der Lastenverteilsysteme steigen, dann könne man nicht sagen, das sei alles fremdverursacht. Mit anderen Worten: Nicht nur der Kanton ist schuld. «Schliesslich geben die Gemeinden die Gelder auch selbst aus oder bestellen die Leistungen beim Kanton, beispielsweise für den öffentlichen Verkehr.»

 

Das Eigenkapital schmilzt

So lebt heute die überwiegende Mehrheit der Dörfer und Städte in der Region vom Ersparten - sie lösen die Reserven auf. Geschätzt die Hälfte der Gemeinden haben ihre Defizite im vergangenen Jahr über das Eigenkapital gedeckt. Oft sei das Eigenkapital überdurchschnittlich angehäuft worden, sagt Baumgartner. Davon solle man jetzt Gebrauch machen. «Solche Reserven machen ja auch Sinn, sie sind der Notgroschen für schlechte Zeiten.»

Noch scheint der Notgroschen für eine Weile auszureichen. Und obwohl im vergangenen Jahr nur sieben Gemeinden einen Gewinn auswiesen, sieht Bachmann für 2015 noch keinen Grund alarmiert zu sein. «Ein negatives Budget bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass auch die Rechnung negativ sein wird.» Indes: 59 von 63 Gemeinden rechnen 2015 mit einem Verlust.

 

Nur Steuererhöhung als Option?

Die Steuerungsmöglichkeiten der einzelnen Gemeinden sind jedoch sehr klein. Was also können die Gemeinden tun, um ihre Finanzen wieder ins Lot zubringen? Sparpotenzial gebe es zwar fast überall, so Gemeindepräsident Bachmann. Aber halt nur im beeinflussbaren Teil des Budgets. Und dieser Anteil mache, je nach Berechnungsart, weniger als 20 Prozent aus. «Wenn also eine Gemeinde 5 Prozent des beeinflussbaren Teils spart, dann hat sie weniger als 1 Prozent des gesamten Budgets gespart.»

Der Hebel könne natürlich auch bei den Einnahmen angesetzt werden, so Bachmann. Hier sei der Gemeindesteuerfuss die entscheidende Grösse. Dem stimmt Baumgartner zu: «Bis 2011 haben viele Gemeinden die Steuern gesenkt. Jetzt müsste man das überprüfen.» Keine Option sei es, den Gemeindefinanzausgleich zu erhöhen. «Das ist ein politischer Entscheid», sagt der Fachmann. Und zur Budgetdisziplin zwingen könne der Kanton seine Gemeinden kaum. «Das greift in die Gemeindeautonomie ein.»

Gemäss Artikel 74 des bernischen Gemeindegesetzes darf «der Bilanzfehlbetrag einen Drittel des ordentlichen Jahressteuerertrages nicht übersteigen». Erst wenn dem so ist, kann die Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion eingreifen. Dieser Extremfall ist im Seeland bisher noch nie eingetreten.

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