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Obergericht

Die Trennung liess ihn austicken

Heimtückisch und ohne Skrupel wollte er seine Ex-Partnerin töten. Jetzt hat das Obergericht einen 38-Jährigen wegen versuchten Mordes und mehrfacher Vergewaltigung schuldig gesprochen.

Mit einem Messer hat der Täter auf seine Ex-Frau eingestochen. Nur dank einer Notoperation hat sie überlebt. Symbolbild: Adobe Stock
Carmen Stalder
 
Kurz bevor Oberrichterin Franziska Bratschi das Urteil ausspricht, ist der Gerichtssaal mit Spannung erfüllt. Wird sie der ersten Instanz folgen und den Täter wegen versuchter Tötung schuldig sprechen? Wird sie ihn etwa, wie es die Verteidigung will, freisprechen? Oder folgt sie der Staatsanwaltschaft, die auf versuchten Mord plädiert? Es ist Letzteres, und sogar noch mehr als das. Doch von Anfang an.
 
Als die beiden gebürtigen Türken, er damals 31 und sie 41 Jahre alt, 2014 zusammenkommen, führen sie erst eine glückliche Beziehung. Er zieht bald einmal mit seiner Tochter in die Brügger Wohnung der Frau und ihrer beiden Töchter ein, wo sie fortan als Patchwork-Familie zusammenleben. Doch schon bald zeigt der Mann ein anderes Gesicht: Er ist eifersüchtig, aufbrausend und akzeptiert im Schlafzimmer kein Nein. Er verbietet seiner Partnerin, alleine nach draussen zu gehen – sie darf nicht mit ihren Freundinnen einen Kaffee trinken, sie darf nicht alleine zum Arzt und nicht einmal ohne Begleitung in die Waschküche hinunter.
 
Nach eineinhalb Jahren trennt sie sich. Es ist ein unschönes Ende: «Wenn ich dich nicht mehr haben kann, bekommt dich auch sonst niemand», sagt er zu ihr. Damit beginnen Monate voller Drohungen, er ruft sie immer wieder an und stellt ihr nach. Schliesslich kommt es zur Eskalation: Am 30. Juli 2016 kehrt die Frau von ihrem Samstagseinkauf zurück. Sie will gerade die Haustür aufschliessen, als er sie von hinten packt und kurz darauf zusticht. Sie könne sich noch erinnern, dass ihr plötzlich etwas Warmes über die Brust geronnen sei, sagt sie später aus. Acht Mal sticht er auf sie ein, am Schluss lässt er sie blutüberströmt im Hauseingang liegen, wo sie von ihrer älteren Tochter gefunden wird. Eineinhalb Monate muss die schwer verletzte Frau im Spital verbringen. Noch heute quälen sie körperliche und psychische Beschwerden.
 
17 statt 8 Jahre
Im Dezember 2019 kam der Fall vor Gericht. Doch anders als von der Staatsanwaltschaft gefordert, wurde der Beschuldigte in Biel lediglich der versuchten Tötung und nicht des versuchten Mordes schuldig gesprochen. Weder Rache, Eifersucht noch ein extremer Egoismus sei das Motiv für die Tat gewesen, begründete Elisabeth Ochsner, Gerichtspräsidentin am Regionalgericht Berner Jura-Seeland das Urteil. Er sei gekränkt und wütend gewesen, habe jedoch ohne ausserordentliche Grausamkeit gehandelt. Von der mehrfach begangenen Vergewaltigung sprach die erste Instanz den Täter aus Mangel an Beweisen ganz frei.
 
Zwei Jahre später befasst sich das Obergericht mit dem Messerstecher. Es kommt zu anderen Schlüssen als die erste Instanz und verhängt ein wesentlich strengeres Urteil: 17 Jahre statt 8 Jahre muss der Beschuldigte wegen versuchten Mordes und mehrfacher Vergewaltigung absitzen. Für Oberrichterin Franziska Bratschi steht fest, dass der Mann skrupellos und heimtückisch gehandelt hat. «Als Antwort auf die Trennung hat er seinen Tötungsvorsatz konsequent und unerbittlich verfolgt.» Als Tatmotive nennt sie Zurückweisung, Kränkung und eine kulturell bedingte Demütigung durch das Verlassen-Werden. Das seien allesamt nichtige Motive, die den Angriff nicht im Ansatz rechtfertigen würden. «Er konnte und wollte sich nicht damit abfinden, dass er in ihrem Leben keinen Platz mehr hatte», so Bratschi.
 
Zufriedene Staatsanwältin
Staatsanwältin Franziska Marti zeigt sich nach der Urteilsverkündung zufrieden. «Es ist ein sehr erfreuliches Urteil. Das Obergericht ist meinen Anträgen gefolgt und liegt beim Strafmass sogar über meiner Forderung von 16 Jahren.» Marti hält fest, dass die zweite Instanz mehrere Punkte anders beurteilte, als dies das Regionalgericht getan hatte. So habe dieses nie von einer «heimtückischen» Tat aus «nichtigen Gründen» gesprochen. Und weiter habe die erste Instanz die Trennung als nachvollziehbaren Auslöser für den Angriff bezeichnet – was für Marti jedoch überhaupt keine Erklärung darstelle.
 
Nicht zuletzt begrüsst die Staatsanwältin, dass das Obergericht den Beschuldigten auch der mehrfachen Vergewaltigung schuldig gesprochen hat. «Es ist wichtig, dass dem Opfer in dieser Sache Glauben geschenkt wird», sagt sie.

 

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