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Titelgeschichte

Dieses Feld trotzt selbst dem Hagel

Der Grossaffoltner Biobauer Markus Bucher hat genug von der traditionellen Landwirtschaft. Hinter seinem Hof lässt er Gemüse und Beeren zwischen Bäumen und Tümpeln wachsen, und zwar in Kreisen statt in Reihen. Das zahlt sich aus.

Markus Bucher, Bild: Barbara Héritier
Text: Jana Tálos Bild: Barbara Héritier
 
Der Nebel kriecht in dicken Schwaden durch die Landschaft. Die Äcker, die an uns vorbeirauschen, wirken kahl und leer. Nur vereinzelt zeigt sich ein wenig Grün auf den sonst dunkelbraunen Flächen. Es scheint, als seien die Felder zwischen Suberg und Grossaffoltern in einem tiefen Winterschlaf versunken und der Dunst habe sich wie eine schützende Decke über sie gelegt.
 
Auch auf dem Farngut, dem Betrieb von Biobauer Markus Bucher, hat der Winter Einzug gehalten. Im Hof stapeln sich die Paletten mit der letzten Ernte und es riecht nach Knoblauch, eine von Buchers Hauptanbaukulturen. Doch eines der Felder hinter dem Hof scheint sich mit aller Kraft gegen die Ankunft der kalten Jahreszeit zu wehren: Zwischen hohem Gras blühen noch Malven in sattem Lila und strecken violette und türkisfarbene Kohlpflanzen ihre Köpfe aus der Erde. Es ist Markus Buchers Versuchsfeld, eine Fläche von rund dreieinhalb Hektaren direkt am Waldrand. Statt in Reihen wächst das Gemüse hier in Kreisen und wild durcheinander, Rüebli neben Lauch, Mais neben Kürbis, Pastinake neben Salat. Das Prinzip nennt sich Misch- oder auch Permakultur – eine Anbaumethode, die auf landwirtschaftlichen Grossbetrieben in der Schweiz bisher kaum zum Einsatz kam.
 
Gemüse aus dem Biotop
Begonnen hat Markus Bucher mit diesem Experiment vor gut zwei Jahren (das BT berichtete). Für den 48-Jährigen ist nämlich klar: Bauen die Bäuerinnen und Bauern im Seeland weiterhin so Gemüse an wie in den letzten 20 Jahren, hat die Landwirtschaft hier bald keine Zukunft mehr. «Die Böden sind ausgelaugt, egal, ob darauf biologisch oder konventionell produziert wird», sagt Bucher. Damit sie wieder leben können, müsse man von den Monokulturen wegkommen und auch die Natur wieder zurück aufs Feld bringen.
 
Letzteres ist dem Gemüsebauer besonders wichtig. Auf der Versuchsfläche hinter dem Hof hat er sich einiges einfallen lassen, um eine möglichst naturnahe Struktur zu schaffen: Neben verschiedenem Gemüse wächst alle paar Meter ein Jungbaum, auch Stauden und Sträucher sind über die Fläche verteilt. Dazwischen hat der gelernte Forstwart in diesem Sommer kleine Tümpel und Totholzhaufen angelegt. 
 
«Das Ziel ist es, ein natürliches Ökosystem in Gang zu setzen, wie wir es auch aus dem Wald kennen», sagt Bucher. Konkret bedeutet das: Nebst Gemüse, den Beeren und Früchten sollen auf diesem Feld auch Wildtiere, Amphibien, Insekten und Vögel Platz haben. Im Idealfall schützen sie sich gegenseitig vor Schädlingen, Feinden oder Wetterextremen. Geht ein Tier oder eine Pflanze dennoch zugrunde, gibt es immer noch genügend andere, die das Überleben der Art sicherstellen.
 
Ersten Härtetest überstanden
Dass dieses Prinzip tatsächlich funktioniert, hat der vergangene Sommer auf eindrückliche Weise demonstriert: Wie viele andere Seeländer Gemeinden wurde auch Grossaffoltern Ende Juni von einem massiven Hagelsturm und den darauffolgenden Unwettern getroffen. «Die Kulturen waren völlig zerstört, die Felder standen wochenlang unter Wasser», erinnert sich Bucher. Seine «normalen» Äcker, auf denen er nach wie vor in Monokulturen anbaut, erlitten teilweise Totalschaden. 
 
Anders die Situation auf dem Versuchsfeld mit den Permakulturen: Zwar hat der Hagel auch hier einigen Schaden angerichtet, wie die immer noch abgeschlagene Rinde an den Jungbäumen zeigt. Ein Teil der Pflanzen habe sich aber schnell wieder erholt und sei dann einfach weiter gewachsen, erzählt Bucher. Und auch die Tiere seien nach einiger Zeit wieder in die Fläche zurückkehrt.
 
Von ähnlichen Beobachtungen berichtet auch Hans Ramseier, Dozent für Pflanzenschutz und ökologischen Ausgleich an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (Hafl). In einer Studie untersucht der Wissenschaftler verschiedene Pilotbetriebe in der Schweiz, die nach den Prinzipien der Permakultur anbauen – so auch den von Markus Bucher und seinem Team. 
 
Bei vielen dieser Höfe habe er im letzten Sommer gesehen, wie sich die Pflanzen nach den Unwettern wieder erholt haben, zumindest aber keinen grösseren Schaden erlitten als die in den Monokulturen. «Das sind natürlich nur Beobachtungen und keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse», betont Ramseier. Dennoch würde einiges darauf hindeuten, dass Gemüse, Früchte oder Kräuter aus Permakulturen mit solchen Wetterkapriolen besser zurechtkommen als die aus Monokulturen. Eine Erkenntnis, die angesichts einer Zukunft, in der Hagelstürme, Dürren und Dauerregen wohl häufiger vorkommen, einiges wert sein dürfte.
 
Erst wenig Gesichertes
Den Agronomen Ramseier interessiert aber nicht nur, wie Permakulturen mit den Wetterlagen und dem Klimawandel zurechtkommen. Er untersucht auch, wie sich die Anbaumethode auf die Menge und Qualität der produzierten Lebensmittel sowie auf den Boden auswirkt. «Im Kanton Freiburg begleiten wir einen Betrieb, der komplett auf Pflanzenschutzmittel und sonstige Hilfsmittel wie Dünger verzichtet und trotzdem seit Jahren gute Erträge und die gleiche Qualität hinbekommt wie konventionelle Betriebe», erzählt er. 
 
Hier gelte es nun herauszufinden, wie ihm das gelinge, welche Faktoren dazu beitragen und welche dabei irrelevant sind. Denn: «In der Permakultur basiert vieles auf Erfahrungen und Beobachtung. Wissenschaftliche Nachweise, wie etwas genau funktioniert, existieren jedoch noch sehr wenig», so Ramseier.
 
Solche Nachweise sind jedoch zentral, damit sich auch grössere Landwirtschaftsbetriebe für die Anbauweise interessieren. Nur wenn Wissen und Beratung vorhanden ist, würden diese ein solches Experiment wagen, so Ramseier. Seine Studienergebnisse will er deshalb später auf einer Plattform zur Verfügung stellen und eine Beratungsstelle gründen. Über diese sollen Landwirte künftig Hilfe in Anspruch nehmen können und bei ihren Versuchen mit der Permakultur begleitet werden.
 
Noch kaum wirtschaftlich
Soll sich die Permakultur in der Landwirtschaft als Anbaumethode etablieren, gilt es allerdings noch einen weiteren Nachweis zu erbringen: die Wirtschaftlichkeit. Viele Flächen, auf denen nach diesem Prinzip angebaut wird, sind zwar produktiver, weil sich die Pflanzen gegenseitig fördern und schützen. Mit herkömmlichen Landmaschinen können solche Flächen aber nicht mehr bearbeitet werden, da nicht mehr jede Kultur in einer Reihe, sondern eben in Mischkulturen wächst.
 
Die Landwirtinnen und Landwirte, die bereits mit Permakulturen wirtschaften, bearbeiten die Flächen meist von Hand. «Auf einem kleineren Betrieb zahlt sich das vielleicht noch aus, wobei schon höhere Preise verlangt werden müssen», sagt Ramseier. Für einen grösseren Hof komme dieses Vorgehen aber nicht mehr in Frage. 
 
Umso hoffnungsvoller beobachtet der Wissenschaftler das Projekt von Markus Bucher. Dieser hat nämlich keineswegs vor, seine Felder künftig alle von Hand zu bearbeiten. «Um die Landwirtschaft zukunftsfähig zu machen, muss auch die moderne Technik miteingebunden werden», sagt der Biobauer. 
 
2018 hat Bucher sich deshalb mit der Firma Semesis zusammengetan, ein Unternehmen, das auf den Bau von Hightech-Landmaschinen spezialisiert ist. Unter dem Projektnamen «Honesta» tüfteln sie seither an einer Maschine, die auf die Bedürfnisse seines Versuchsfelds abgestimmt ist – und die später auch anderen Landwirten zur Verfügung stehen soll.
 
Ein Alleskönner
Markus Bucher schwebt bei der Entwicklung dieses Hightechgeräts aber nicht bloss eine etwas wendigere Version eines Traktors vor. Die Maschine soll den Landwirtinnen und Landwirten auch ein gutes Stück ihrer heutigen Arbeit abnehmen. So soll sie autonom arbeiten und sowohl mit Werkzeug für die Ansaat, für die Pflege und die Ernte der Pflanzen hantieren können. «Das Ziel ist, dass sich das Gerät merkt, wo es einige Monate zuvor einen Samen gesät hat und dann bei den jeweiligen Pflege- oder Erntearbeiten die entsprechenden Pflanzen wieder findet und die Arbeiten selbstständig ausführt», sagt Bucher.
Das Trägerfahrzeug für diesen Alleskönner existiert glücklicherweise bere
its: Vor einigen Jahren hat die Firma Semesis für Baumschulen den Geräteträger «Flunick» entwickelt. Das Fahrzeug rollt auf zwei wendigen Raupen über die Felder, die durch einen Querträger miteinander verbunden sind. An diesem wiederum hängt der Werkzeugträger, der sich hoch- und runterfahren lässt und mit dem das Gerät je nach Aufsatz Pflanzlöcher bohren oder die Erde hacken und mulchen kann. 
 
Für Buchers Projekt müssten daher nur noch die spezifischen Geräte entwickelt und an der Präzision des Roboters gefeilt werden. «Das ist jedoch eine technische Herausforderung, die sich erst mit dem Bau eines Prototyps lösen lässt», sagte Matthias Linder, Mitinhaber von Semesis, bereits vor anderthalb Jahren gegenüber dem BT. 
 
Genau hier hapert es derzeit aber noch: Die Kosten für die Entwicklung eines solchen Geräts belaufen sich nämlich auf rund sechs Millionen Franken, wie eine Machbarkeitsstudie gezeigt hat. Ein Betrag, den weder Markus Bucher noch die Firma Semesis alleine stemmen können. 
 
Das Interesse ist da
Der Biobauer aus Grossaffoltern hat jedoch keinen Zweifel daran, dass sich schon bald Investorinnen und Investoren für seine Maschine finden lassen. «Die Zeit ist reif, das spüre ich», sagt er, als er an diesem nebligen Nachmittag über sein Versuchsfeld stapft. 
 
Immer mehr Menschen werde bewusst, dass es neue Lösungen braucht, wenn die Landwirtschaft Herausforderungen wie den Klimawandel oder das Artensterben meistern soll. Im Verein, der zur Unterstützung von «Honesta» gegründet wurde, engagierten sich mittlerweile Leute mit ganz unterschiedlichen Berufen und Hintergründen. «Und mein Projekt spricht sich auch in der Branche herum», sagt Bucher. Er habe bereits mehrere Anfragen von Maschinenfirmen erhalten, die Interesse bekundeten.
 
Hilfe aus der Wissenschaft
Auch ohne das Gerät gibt es für Markus Bucher und sein Team noch genug zu tun, um das Experiment hinter dem Hof voranzutreiben. So müssen sie beispielsweise herausfinden, welche Pflanzen in den Kreisen am besten nebeneinander wachsen, und wie viel Pflege und Wasser für die Anbaumethode benötigt wird. Bei diesen Aufgaben kann der Landwirt mittlerweile auch auf die tatkräftige Unterstützung zweier Fachpersonen zählen: Vor gut einem Jahr sind mit Anna Edlinger und Julian Helfenstein zwei Mitarbeitende des Zentrums für landwirtschaftliche Forschung Agroscope auf seinen Hof gezogen. Sie engagieren sich im Ehrenamt für Honesta und kümmern sich vor allem darum, die richtigen Pflanzenkombinationen für das Versuchsfeld zu finden. 
 
«Für eine nachhaltige Landwirtschaft müssen Wissenschaft und Praxis näher zusammenarbeiten», sagt Julian Helfenstein. Auf dem Versuchsfeld von Markus Bucher könnten sie das, was sie erforschten, in der Realität prüfen. 
 
Bucher wiederum profitiert davon, dass die beiden seinem Projekt neben ihrer wertvollen Mitarbeit auch eine wissenschaftliche Glaubwürdigkeit verleihen. «Ich habe immer nach Gefühl gearbeitet und den Erfolg durch meine Beobachtungen bestimmt», sagt er. Durch eine wissenschaftliche Begleitung wird dieser nun messbar – und damit auch interessant für Menschen, die die Mittel haben, das Projekt finanziell auf den richtigen Weg zu bringen.
 
Info: Weitere Informationen zum Verein finden Sie unter www.honesta.swiss
 

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