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Twann

Ein Seebär tritt ab

Nach 35 Jahren bei der Seepolizei hat Heinz Rindlisbacher heute seinen letzten Arbeitstag. Er erzählt, wie er Menschen und Tiere gerettet und eine Wollsau mit dem Lasso eingefangen hat.

Ein letztes Mal am Steuer eines Polizeibootes: Heute abend zieht Heinz Rindlisbacher seine Uniform endgültig aus. ©bielertagblatt/peter samuel jaggi

Peter Staub

Die Szene, die sich vor ein paar Wochen abgespielt hat, war so spektakulär, dass die Zuschauer auf der Doktor-Schneider-Brücke über den Nidau-Büren-Kanal Trauben bildeten. Direkt unter ihnen hatte ein Segelboot mit dem Mast an der Brücke angehängt.

Die Strömung war derart stark, dass die Seepolizisten vor Ort nicht wussten, wie sie das Schiff aus der misslichen Lage befreien sollten. Da kam es ihnen zupass, dass sie Heinz Rindlisbacher rufen konnten. In seinen 35 Dienstjahren hat dieser nämlich fast jede Situation erlebt, mit der man bei der Seepolizei konfrontiert werden kann.

Tatsächlich gelang es dank der Unterstützung Rindlisbachers und der Hilfe eines Werftbesitzers, das Boot wegzuziehen. Die Zuschauer applaudierten spontan. «Für einen Moment waren wir die Helden», sagt Rindlisbacher.

Wäre das Manöver nicht gelungen, hätten die gleichen Leute die Polizisten wohl als Deppen verlacht. Erfolg und Misserfolg lägen eben eng beieinander.

Gelernter Automechaniker
Falls sich eine solche Situation wiederholen sollte, werden Rindlisbachers junge Kollegen künftig auf sich alleine gestellt sein. Denn am heutigen Rapport der Seepolizei trägt der 60-jährige Rindlisbacher das letzte Mal seine Uniform: Nach 35 Jahren bei der Seepolizei in Twann geht er in Pension.

Als der gelernte Automechaniker die Polizeischule angetreten hatte, dachte er nicht daran, später für die Seepolizei zu arbeiten. Ihn reizte der technische Dienst. Dieser aber war für ältere Kollegen reserviert. «Ich bin in Biel und Magglingen aufgewachsen, hatte aber keinen speziellen Bezug zum See», erzählt Rindlisbacher.

Immerhin war er ein sehr guter Schwimmer, da er als Jugendlicher in Magglingen das Freibad der Sportschule benutzen durfte. «Und als es am Ende der Polizeischule hiess, es gäbe zwei Stellen bei der Seepolizei, je eine auf dem Thunersee und dem Bielersee, meldete ich mich für die Stelle in Twann.»

Bevor Heinz Rindlisbacher am 1. Mai 1979 seinen Posten antrat, musste er eine tauchärztliche Untersuchung bestehen. Zudem galt es, in Zürich in einer Druckkammer verschiedene Tests zu absolvieren.

Etwa einen Geschicklichkeitstest in einer simulierten Tiefe von 50 Metern, der mit den Resultaten des gleichen Tests auf normaler Höhe verglichen wurde. Oder einen Sauerstoff-Verträglichkeitstest mit reinem Sauerstoff in einer simulierten Tiefe von 15 Metern.

«Seit meinem Amtsantritt hat es hier eigentlich keinen grossen Wandel gegeben», sagt Rindlisbacher. Natürlich habe sich etwa die Tauchausrüstung verändert. Früher seien sie mit Tauchtabellen getaucht. «Heute haben wir einen kleinen Computer am Handgelenk, der uns sogar die Wassertemperatur anzeigt.»

Zudem gibt er die Tauchtiefe an und informiert über den Druck in der Pressluftflasche. «Das Tauchen ist ein Teil des Berufs», sagt Rindlisbacher. Die Seepolizisten sind deshalb verpflichtet, mindestens 20 Tauchgänge pro Jahr zu machen.

Und um mit den Polizeibooten zu fahren, musste der frischgebackene Seepolizist natürlich die Motorbootprüfung bestehen. Auch der Segelschein stand an: «Damit ich in einem Notfall weiss, wie ein Segelboot funktioniert», erklärt Rindlisbacher.

Die Aufgaben der Seepolizei sind primär der Rettungsdienst, die Sicherheit und Ordnung auf dem Wasser aufrechtzuerhalten und die Kontrolltätigkeit. Dazu gehört, gesunkene Schiffe zu bergen. Oder mitzuhelfen, dass es nicht so weit kommt.

Bergungen machte Rindlisbacher mehrere mit. Eine der letzten betraf ein Ehepaar aus Zürich, das bei zunehmendem Wind auf dem See unterwegs war. Die von vorne kommenden Wellen füllten das Cockpit des Motorbootes, so dass das Schiff rund 200 Meter vom Ufer entfernt vor Tüscherz sank.

«Wir mussten das Ehepaar aus dem Wasser bergen», berichtet Rindlisbacher. Es ging ihnen gut, allerdings ging ihr Hund mit dem Schiff unter. Im Gegensatz zum Gepäck des Paares wurde der Hund bei der Bergung nicht gefunden. Das sei eine der eher seltenen Personenrettungen gewesen.

Keine Rettung in letzter Sekunde
Diese betrafen sonst meistens Segler, deren Jollen gekentert waren, oder entkräftete Surfer. Leider seien gerade die Jollensegler oft nicht dem Wetter entsprechend angezogen, weil sie die Verhältnisse unterschätzten, sagt Rindlisbacher. «Selbst wenn das Wasser 18 Grad warm ist, ist man nach 20 Minuten im Wasser ausgekühlt, so dass Betroffene froh sind, wenn wir sie dann rausholen.»

Eine Rettung, die so dramatisch war, dass die Polizei buchstäblich in letzter Sekunde eintraf, um Menschen das Leben zu retten, habe er allerdings nicht erlebt.

Der Personalbestand bei der Seepolizei hat sich in den letzten 35 Jahren kaum verändert. Gleich am Anfang von Heinz Rindlisbachers Karriere gab es eine Aufstockung von sechs auf sieben Personen.

Das hatte damit zu tun, dass der Posten des «Landjägers» aufgehoben und in die Seepolizei integriert wurde. Dafür ist die Seepolizei seit damals auch für Aufgaben auf dem Land zuständig.

Zweisprachig aufgewachsen
«Früher war ich neben dem ehemaligen Dienstchef der Einzige, der gut Französisch sprach», erzählt Rindlisbacher. Deshalb wurde er manchmal zugezogen, wenn man französischsprachigen Medien Auskünfte geben sollte.

Französisch habe er als Kind im Bieler Mettquartier gelernt. Sein damaliger Kollege sprach Französisch, so dass er praktisch zweisprachig aufgewachsen sei.

Zu Rindlisbachers schwierigsten Aufgaben gehörte es nach eigenen Angaben, Leichen zu bergen. Wenn eine solche Meldung reinkam, stellte er sich immer das Schlimmste vor, damit er auf alles gefasst war.

Sein tragischstes Erlebnis war ein Unfall, als zwei Kollegen bei einem Taucheinsatz starben.

In seiner Dienstzeit hatte er es auch oft mit Tieren zu tun, wobei er manchmal von Wildhütern unterstützt wurde. «Vor rund 20 Jahren wurden wir beispielsweise nach Le Landeron gerufen, weil es hiess, dass dort im Bereich des Anlegestegs ein Wildschwein auf die Leute losgehe», erzählt er.

Als sie dort eintrafen, stellte sich heraus, dass es sich um eine Wollsau aus dem benachbarten Massnahmenzentrum St. Johannsen handelte, die im Zihlkanal schwamm. «Mit einem Lasso fingen wir die Wollsau ein und bargen sie aus dem Wasser.»

Erheiternde Szenen gab es laut Rindlisbacher manchmal, wenn die Seepolizei Rehe aus dem Wasser barg. «Rehe schwimmen nämlich recht schnell, und mit unseren Booten sind wir nicht so wendig», sagt er. In solchen Fällen sei er immer froh gewesen, wenn ein Wildhüter dabei war.

Man müsse die Rehe zuerst ermüden lassen, bevor man sie aufs Schiff ziehen könne. Dann sei wichtig, ihnen gleich die Augen zu bedecken und die Läufe zusammenzubinden. «Wenn ein Reh ausschlägt, kann es auf dem Schiff einigen Schaden anrichten», weiss Rindlisbacher.

Nach sieben Jahren bei der Seepolizei wurde er zum Gefreiten und nach elf Jahren zum Korporal befördert. Dienstgrade, die es nicht mehr gibt. Der heutige Rapport sei seine letzte Amtshandlung, sagt er. Dass er bereits mit 60 in Rente gehen kann, verdankt er einer alten Regel.

Dieses Rentenalter gestand man den Polizisten zu, weil sie unregelmässig Dienst leisten, in der Nacht oder an Wochenenden arbeiten und ihre Belastung allgemein hoch ist. «Wir haben aber auch für die Übergangsrente einbezahlt, da ich die AHV erst mit 65 erhalten werde. Diese Regelung wird nun allerdings geändert», erklärt Rindlisbacher.

Ab morgen werden ihn seine ehemaligen Kollegen und sein Nachfolger nur noch dann auf dem Posten antreffen, wenn er ihnen den neuen Jahreskalender mit eigenen Fotos vorbeibringt. Neben dem Fotografieren will er im Ruhestand das Wandern mit seiner Frau noch ausgiebiger pflegen.     
 

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