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Weinhandel

Ein Seeländer Selfmade-Mann

Vinum, Nurissa, Bielfina: Hinter diesen Marken steht der Unternehmer Willy Pauli. Der 88-Jährige geht immer noch jeden Morgen ins Büro. Seine Erfolgsgeschichte begann vor vielen Jahren in einer Polizeizelle.

Willy Pauli: Jeden Morgen um 8 Uhr kommt er ins Büro. Er geht selten vor 16 Uhr nach Hause. Bild: Stéphane Gerber

Pierre-Alain Brenzikofer/pl

Willy Pauli ist in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung, hat er doch einen langdauernden Herzstillstand während einer schweren Operation überlebt. Aber vor allem ist der Seeländer ein Selfmademan, der mit bald 90 Jahren noch immer als umtriebiger Unternehmer im Geschäftsleben steht.

Pauli vergleicht seine Entwicklung gerne mit gutem Wein, der mit den Jahren stets besser wird. Eine ähnliche Dynamik erlebe er bei der Umsetzung von Projekten, die tagtäglich auf seinem Schreibtisch landeten. Jedenfalls lässt der Blick auf seinen Lebenslauf keine Zweifel an dieser Sichtweise aufkommen.

Dabei hat Paulis Erfolgsgeschichte in einer Polizeizelle angefangen. Nach den Abschlüssen des Gymnasiums und der Rekrutenschule arbeitete der junge Mann bei seinem Vater, der einen Lebensmittelladen an der Dufourstrasse bewirtschaftete. «Schon damals wollte ich unbedingt ein Praktikum auf einem Weingut absolvieren», erinnert sich Pauli. So machte er sich auf Wanderschaft und suchte nach einem geeigneten Lehrmeister.

 

Eine Nacht in der Zelle

Seine ersten Erfahrungen machte er in Deutschland. Enttäuscht verliess er den Arbeitgeber, von dem er sich ausgenutzt fühlte, und landete als Küchenbursche auf einer amerikanischen Militärbasis. Dann ging die Reise nach Frankreich weiter: «Aber in Dijon angekommen, hatte ich keinen Franc mehr in der Tasche.» Pauli legte sich zum Schlafen auf eine Parkbank. Plötzlich wurde er von einer Polizeipatrouille geweckt. Die freundlichen Ordnungshüter boten ihm Unterschlupf in der Arrestzelle des Postens an. «Die Sicherheitstür haben sie allerdings nicht verriegelt», so der Schweizer.

Am nächsten Morgen kam die zweite Überraschung. Einer der Gendarmen verschaffte ihm einen Job: Der Schwager des Polizisten arbeite als Plakatkleber und war gerade krank. So konnte Pauli die Stellvertretung übernehmen.

Danach erreichte der Seeländer endlich die Weinlagen des Burgunds. Er klopfte beim weltberühmten Rebgut Albert Bichot an und durfte dort sein Praktikum beginnen. «Als Erstes musste ich Fässer spülen und bekam schwarze Fingernägel. Ich weiss, was diese Arbeit bedeutet», erklärt Willy Pauli. Im Gespräch mit Kollegen erfuhr er von einer Hochschule für Önologie, an der es jeden Freitag Vorlesungen gab.

Die Geschäftsleitung von Albert Bichot musste die Stärken des jungen Schweizers erkannt haben, denn sie gewährte den freien Tag fürs Studium und erlaubte ihm, das unternehmenseigene Labor zu nutzen. Seine Zeit als Dionysos, der in Holzfässer kriecht, war vorbei.

Der junge Mann kam nicht ganz unbedarft ins Reich der edlen Gewächse: Sein Vater hatte ihn schon früher mit Weinkunde vertraut gemacht. Dennoch sagt Pauli heute: «Erst im Burgund habe ich alles gelernt.» Der Seeländer Unternehmer hält nichts von vermuteten Eigenschaften erfolgreicher Winzer. Das Ergebnis hänge nicht von «Begabung» oder einer «guten Nase» ab, denn «Önologie muss man sich durch Lernen erarbeiten». Schon im Geschäft seines Vaters wurde Wein in Flaschen abgefüllt. «Jeden Sonntag tranken wir mit der Familie einen guten Tropfen», erinnert sich Pauli.

Anderthalb Jahre verbrachte der wissbegierige junge Mann auf Weingütern im Burgund und im Bordeaux. Dann wurde es Zeit für eine eigene Karriere. Am 1. April 1962 machte er sich selbstständig. Für einen Weinhandel fehlte ihm das Geld. Also baute er einen Handel mit Mineralwasser und Süssgetränken auf. «Wir begannen in einer Garage in Nidau. Das Startkapital von 10 000 Franken hatte ich mit meiner Ehefrau, der ich so viel verdanke, zuvor gespart», berichtet Willy Pauli.

Ein gewagter Einstieg ins Geschäft, denn damals herrschte auf dem Getränkesektor starke Konkurrenz. Heute lacht der Unternehmer darüber: «Ich habe sie alle aufgekauft.» Anfang der 70er-Jahre gründete er die schweizweit bekannte Weinhandelsfirma Vinum AG.

 

«Hier spricht der Baron»

Denkt man an das Bordeaux-Gebiet, kommen einem die berühmten Weine des Barons von Rothschild in den Sinn. Zudem wird gesagt, Willy Pauli habe eine besondere Beziehung zu diesem vornehmen Haus. Der Bieler erzählt: «Ich war mit einem Direktor des Gutes Philippe de Rothschild befreundet. Er beklagte sich darüber, dass er in der Schweiz keine Weine verkaufe. Daraufhin habe ich für die französische Kellerei eine Vertriebsfirma aufgebaut.»

Die Zeit verging, und eines Abends läutete zu fortgeschrittener Stunde das Telefon bei Pauli: «Hier spricht der Baron», tönte es am anderen Ende der Leitung. Ungläubig legte der Angerufene den Hörer auf. Am nächsten Tag begann das Spiel von Neuem. Später versicherte der befreundete Direktor, dass der Baron den Schweizer höchstpersönlich angerufen hatte.

Philippe de Rotschild suchte tatsächlich ein Treffen mit Willy Pauli. Dabei ging es auch um den vom Seeländer entwickelten Versandhandel für Weine – eine Revolution in dieser Sparte. Vielmehr aber plagte den Baron das von Präsident Giscard d’Estaing verordnete Ausfuhrverbot für französische Devisen. Als grosser Kunstsammler konnte der adelige Winzer keine namhaften Werke mehr im Ausland erwerben.

Willy Pauli wurde der vertrauenswürdige Mittelsmann für den Baron. Es verstehe sich, dass alle Transaktionen stets offengelegt wurden und im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen stattfanden, unterstreicht der Bieler Unternehmer.

 

Pionier der Automatenverpflegung

So wurde der Baron ein enger Freund von Willy Pauli, dem nunmaligen Alleinimporteur der Weine aus dem Gut Philippe de Rothschild. Zu den Gewächsen aus dem Bordeaux gehört der berühmte Château Mouton Rothschild. Die Etiketten dieser Flaschen werden jedes Jahr von bekannten Künstlern gestaltet. Hans Erni leistete ebenfalls einen Beitrag.

Mit dem Unternehmen Nurissa wurde Willy Pauli zum Pionier der Automatenverpflegung, an die zu Anfang niemand glaubte. Der findige Geschäftsmann entschied sich, einen Pilotversuch beim Uhrenhersteller Omega zu wagen. Dort gab man ihm zu verstehen: Ohne den Segen des Präsidenten des Verwaltungsrats gibt es keine Verhandlungen.

 

«Sind Sie der Typ im Zug?»

Pauli erinnerte sich, dass der mächtige Uhrenboss regelmässig im Zug von Olten nach Zürich fuhr. Darin lag die Lösung: Er wollte den Präsidenten während der Reise ansprechen. «Ich reiste bis Olten in der zweiten Klasse und stieg dann in die erste um», berichtet Pauli. Ein Jahr lang hoffte er auf ein Gespräch, aber sein Ansinnen ging nicht in Erfüllung. Immer wieder kam etwas dazwischen. Dann kam doch noch der grosse Tag: Er erkannte den Präsidenten vor dem Bahnhof Biel. Sein Chauffeur hatte wohl den Termin versäumt.

Pauli packte die Gelegenheit beim Schopf und bot ihm die Mitfahrt in seinem Auto zur Omega an. «Sind sie nicht der Typ, der jede Woche bei mir im Zug sitzt», soll er gesagt haben. Jedenfalls wurden sich die beiden Männer einig und Nurissa kam zum Vertrag mit dem Uhrenhersteller. Das war der Beginn der Erfolgsgeschichte der Automatenverpflegung.

Im Jahr 1992 übergab Willy Pauli die Geschäftsleitung von Nurissa und Vinum an seine Söhne. Aber der Ruhestand passte dem quirligen Macher gar nicht: «Nach sechs Monaten war ich zu Tode gelangweilt.» Im Handumdrehen gründete er die Firma Bielfina AG. Die Immobilien-Finanzgesellschaft verwaltet heute über 340 Wohnungen mit 700 Mieterinnen und Mietern.

Trotz allem gönnt sich Willy Pauli etwas Freizeit. Am liebsten spielt er Golf. Eine Disziplin, die Geschicklichkeit und Verstand erfordert – genau wie im Geschäftsleben.

 

Stratege der Welschfreisinnigen: Der politische Mensch

Von 1994 bis 2006 vertrat Willy Pauli zahlreiche Vorstösse erfolgreich im Grossen Rat des Kantons Bern. Auch in seiner damaligen Wohngemeinde Nidau sass er als Volksvertreter in der Legislative. Noch heute gilt er als anerkannter Stratege der welschfreisinnigen Partei PRR – vor allem in Biel, der Stadt seines Herzens. Paulis Weg in die Politik gründet auf seiner Freundschaft mit Raoul Kohler, dem legendären Bieler National- und Gemeinderat.

 

Dank Pauli zwei Tunnelröhren

«Im Grossen Rat reichte ich jede Session mindestens einen Vorstoss und mehrere Anfragen ein», bilanziert der Bieler. Sein grösster Erfolg ist die Ostumfahrung der Stadt mit zwei Tunnelröhren. Ursprünglich war aus Kostengründen nur ein Durchstich für beide Fahrtrichtungen geplant. Pauli setzte sein Anliegen alleine gegen alle durch. Sogar die Stadt und seine eigene Partei waren dagegen.

Heute zeigt sich, dass der Geschäftsmann richtig kalkuliert hatte: Die Lösung mit einer Röhre hätte einen teuren Fluchttunnel und aufwendige Lüftungsanlagen erfordert. Dazu kommen die über Jahre unkalkulierbaren Unfallfolgen wegen des Gegenverkehrs. Bei der Einweihung der Autobahnumfahrung fiel auf: Die Verantwortlichen hatten Willy Pauli auf der Gästeliste vergessen.

Im Kantonsparlament kämpfte er auch für Änderungen im Grundbuchregister, verhinderte obligatorische Wärmezähler in alten Gebäuden und errang die Befreiung von der Erbschaftssteuer. Einst habe der damalige Finanzdirektor Hans Lauri versichert, Pauli sei wohl die einzige Person ausser ihm, die das kantonale Budget von A bis Z gelesen hätte. Das mag man gerne glauben.

Der streitbare ehemalige Grossrat kritisiert bis heute die Besteuerung der Unternehmen. Schliesslich steht Bern an zweitletzter Stelle der Schweizer Kantone. «Der Jura und Neuenburg haben ihre Steuern gesenkt, und das hat zu mehr Steuereinnahmen geführt».

Wenn es um seine Überzeugung geht, kennt der Mann kein Dogma. Sogar die Sozialdemokraten beschwerten sich, dass er ihre Themen bewirtschafte. Auch in der eigenen Partei stiess er auf Missfallen, weil er Bernhard Pulver, den Regierungsratskandidaten der Grünen, unterstützte.

 

Die «gemeinsame Freundin»

Willy Pauli trat im Kantonsparlament gelegentlich als Gegenspieler des Sozialdemokraten Hans Stöckli auf. Am Ende einer Intervention bekräftigte er an die Adresse seines Rivalen: «Trotz allem haben wir eine gemeinsame Freundin.» Klar, dass damit die Stadt Biel gemeint war. Pabr/pl

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