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Aus dem Stadtrat

Emotionen? Stadtrat!

Was Emotionen im Stadtrat angeht, so bin ich kein unbeschriebenes Blatt. Diesem unzivilisierten Gefühl des gerechten Kampfes habe ich mich exzessiv hingegeben.

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Leonhard Cadetg, FDP

Nur um dann später zu erkennen, dass es ausser der reinigenden Wirkung in mir selbst keine Folgen hatte. Nichts. Verpufft. Hingegen peinlich war es manchmal, so im Rückblick. Recht mag ich gehabt haben, aber der Teil Impulskontrolle meiner emotionalen Intelligenz scheint wenig ausgeprägt zu sein…

Ganz ohne Gefühle geht reden aber nicht, schon gar nicht vor Publikum. Einige tun es im Stadtrat mit mehr, andere mit weniger.

Einer, der sich immer wieder echauffiert, ist der stadträtliche Altmeister. Es gibt für ihn zuverlässige Reizthemen: Toiletten und Trottoirs. Wer das erleben möchte, kann sich verlässlich auf die veröffentlichte Traktandenliste stützen, damit er nicht allzu lange auf der Galerie warten muss. In der Maisitzung hat dieser altgediente Stadtrat hingegen einen neuen Auslöser für eine bissige, kräftige und gefühlsgeladene Attacke auf den zuständigen Gemeinderat bekommen. Und wiederum habe ich ihn verstanden. Er hat erzählt, wie das Strandbad ihn als Kind begeistert hat, wie sich Stadt- und Gemeinderäte, Beamte und Bürger getroffen haben, Pétanque gespielt, Hoch- und Weitsprung gemacht haben. Wie das heute durch den schnöden Mammon zerstört werde, weil der Gemeinderat die Wiese nicht schützt, sondern umzäunt, vermietet und dem Stadtvolk entzieht. Der besagte Stadtrat war so mitreissend, dass er aus der SP Madretsch engagiert ergänzt wurde: Seit der Expo kann man auf dem Rasen kaum mehr liegen, die Kiesel drücken durch die Matte und das Tuch. Dabei war versprochen worden, es sei dann so wie früher! Ist es nicht!

Die junge Garde lässt sich in Sachen Gefühlsausdruck auch nicht lumpen. Ein Beispiel? Die Jusofrau in ihrem heiligen Zorn auf die Haltung der FDP. Sie trägt aufwendig erarbeitete Texte, voll zwingender Schlüsse und natürlichster Verurteilung des Bösen vor. Mit ungehemmtem Schwung haut sie in die rhetorischen Tasten. Sie bevorzugt melancholische, verletzte und verletzende Akkorde, mit einer Prise Dissonanz falschen Lobes für den Gegner. Meist ist dieser kräftige Klangteppich kunstvoll umspielt von einer verführenden Opfermelodie. Mit gut gewägten Worten singt sie die Ballade des Schrecklichen: Ausschliesslich kapitalistisch ist er, herz- und emotionslos auf seinen eigenen Vorteil bedacht und deshalb – zwingend, unausweichlich – ein Freisinniger, in der Regel Mann und alt. Worauf mein Herz ebenso unvermeidbar das Motiv des unschuldig Verurteilten anstimmt: Frau Stadträtin, ich bin doch nicht so, erkennt mich! Alt und männlich und freisinnig schon, ja. Ich mag Freiheit, das auch. Ich freue mich darüber, dass es Unternehmer gibt, die etwas wagen, vielleicht scheitern und vielleicht Gewinn einstreichen. Denn nur sie schaffen Arbeitsplätze. Ja, ich gebe zu, dass ich finde, Leistung müsse sich lohnen. Ich bin auch der Meinung, Hilfe müsse auf die Beine helfen und verlange die Anstrengung der Empfangenden. Aber ganz so schrecklich neoliberal sind wir Freisinnigen nicht: Bildung und Sicherheit sind Staatsaufgaben.

Zum Glück gibt es also den Verstand. So konzentrieren wir uns trotz emotionaler Ausbrüche ganz leicht auf die Geschäfte, auch wenn einzelne Reden und Geschichten dies unglaublich erschweren können. Geschichten sind nämlich neben den Reden die zweite grosse stadträtliche Emotionsquelle. Etwa diejenige über die konkreter werdende Palastrevolution in der Partei des rationalen Stadtpräsidenten – wie ich auch er: ein Mann –, die eine politisch klarer links positionierte Frau auf den präsidialen Wahlkampfschild zu heben versucht. Hurra, wir wissen sogar, wer sie ist! Wer spürt da keine Emotionen? Dem Stadtrat jedenfalls werden sie nicht abhandenkommen.

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