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Nidau

Er schützte das Nidauer Strampi

Plötzlich hiess es einrücken: Zivilschützer Kevin Rackwitz und seine Kollegen haben den See vor dem Schwimmbecken des Strandbads Nidau gestoppt – und zwar mit mehreren Tonnen Wasser, verpackt in Schläuchen.

Wasser hinter und unter ihm. Zivilschützer Kevin Rackwitz auf einem Beaver-Schlauch. Copyright: Anne-Camille Vaucher
Mengia Spahr
 
Als der Bielersee einen Höchststand von 430,94 Meter über Meer erreichte, standen Zivilschützer Kevin Rackwitz und seine Kollegen im Strandbad Nidau, beäugten die mobilen Schutzdämme und bibberten. Der Hersteller garantiert, dass die orangen Schläuche dem Druck standhalten, solange das Wasser nicht mehr als zwei Drittel der unteren Schläuche bedeckt. Diese Höhe hat der See überschritten. Doch der Damm hielt und die Schwimmbecken konnten gerettet werden.
 
Man habe nicht etwa das Wasser im Bassin vor dem See schützen wollen, sondern die Pooltechnik, stellt Denis Simonet klar. Der Informationschef des Zivilschutzes Nidau plus sagt, dass die fragilen Filtersysteme durch das Hochwasser zerstört worden wären. Die Schutzmassnahmen haben ihm zufolge einen Schaden von mehreren 100000 Franken verhindert.

Dann kam der Anruf

Bei Katastrophen und Notlagen sind Blaulichtorganisationen innerhalb weniger Minuten vor Ort. Dauert die prekäre Situation an, kommt der Zivilschutz zum Einsatz. Innerhalb des Zivilschutzes gibt es Personen, die für die Führungsunterstützung zuständig sind, für die Betreuung von Menschen in Not, für den Bereich Logistik oder für die technische Hilfe. Letztere werden Pioniere genannt, und ein solcher ist Kevin Rackwitz. Am frühen Morgen des 13. Juli hat der gelernte Maurer eine Nachricht erhalten, er solle sich für einen Einsatz bereithalten. Um 13 Uhr 20 folgte der Anruf – seither ist Rackwitz nicht mehr auf der Arbeit erschienen.
 
Informationschef Simonet erzählt, dass er einige Gespräche mit Vorgesetzten habe führen müssen, um die Notwendigkeit des Einsatzes zu rechtfertigen. Wenn in der Ferienzeit Mitarbeitende ausfallen, ist das für viele Betriebe schwierig. Umso dankbarer ist Simonet den Arbeitgebern für das Verständnis und die Solidarität.
 
Rackwitz begab sich nach dem Aufruf in die Zivilschutzanlage in Port, wo er im Kommandoposten auf seine Kollegen traf. «Da wir alle aus der Region sind, kennt man sich auch privat. Mit einigen ging ich zur Schule», sagt er. Nachdem sie den Schadenplatz begutachtet hatten, holten sie das benötigte Material. Im Strandbad kamen sogenannte Beaver-Schutzdämme zum Einsatz, die im Werkhof der Stadt Nidau gelagert werden. Die Zivilschützer platzierten die 15 bis 20 Meter langen Schläuche und füllten sie mit Luft. Sie formten und verschoben sie. Einmal an der richtigen Stelle, haben Rackwitz und sein Team zehntausende Liter Wasser in die orangenen Wülste eingelassen, die Luft entwich über Ventile. Nun war an bewegen nicht mehr zu denken, denn gefüllt wiegen die Schläuche mehrere Tonnen.
Insgesamt verlegten die Zivilschutzleistenden an diesem ersten Einsatztag zwölf Doppelschläuche, auf die am nächsten Tag zur Beschwerung zwölf Einfachschläuche gelegt werden sollten. Der körperlich anstrengende Aufbau dauerte bis in die frühen Morgenstunden. Selbst im Leerzustand sind die Schläuche schwer. «Zu viert kann man sie gut anheben, aber nicht weit tragen», sagt Rackwitz, der die Rolle des Einsatzleiters übernahm.
 
Der zweite Einsatz
 
Der 28-Jährige ist seit acht Jahren Mitglied des Zivilschutzes. Es ist sein zweiter Einsatz in einem Ernstfall. Der erste war 2015, auch wegen Hochwasser, auch im Strandbad Nidau. «Damals war ich normaler Pionier und machte Nachtschichten von abends um zwölf bis morgens um acht.» Während der Nachtschichten füllten die Zivilschutzleistenden Wasser in die Schläuche nach und schalteten die Pumpen ein und aus. Es gehe aber auch darum, Präsenz zu markieren und das Material zu bewachen, erklärt Simonet. «Es gibt immer Personen, die es lustig finden, die Schläuche aufzuschlitzen», führt er aus.
 
Jetzt ist Rackwitz Zugführer und tagsüber im Einsatz. Auch als alles aufgestellt gewesen war, habe es viel zu tun gegeben. Die Zivilschützer verteilten Sandsäcke an die Bevölkerung und pumpten das Wasser ab, das unter den Beaver-Schläuchen durchdrückte. «Man kann nicht einfach Pumpen installieren und Pause machen – das muss man überwachen», sagt Rackwitz. Erschöpfung mache sich aber keine breit.
 
Man glaubt ihm, der es gewohnt ist, auf dem Bau zu arbeiten, dass er gut anpacken kann. Rackwitz ist breitschultrig, die Arme hat er oft verschränkt. Seine Antworten sind kurz und präzise.
 
Die letzten Keller
 
Seit Dienstag hat der Zivilschutz Nidau plus im Strandbad von einem Drei-Schicht-Betrieb auf eine einzige Schicht umgestellt. Seit einigen Tagen arbeiten die Zivilschutzleistenden endlich ihre Liste von überfluteten Kellern ab. Gegen 200 Personen hatten gemeldet, dass in ihre Untergeschosse Wasser eingedrungen sei. Lange waren den Einsatzkräften die Hände gebunden. Der Grundwasserspiegel war zu hoch, um Wasser abzupumpen. Ausserdem hatte das Wasser im Keller einen Nutzen: Gefüllt war das Gebäude stabiler und hielt dem Druck von aussen besser stand, sodass keine zusätzlichen Hochwasserschäden entstanden (das BT berichtete).
 
In den meisten Untergeschossen ist das Wasser mittlerweile von alleine abgelaufen. Dort, wo es jetzt noch steht, kommen Pumpen und Wassersauger zum Einsatz. Am Montag haben Rackwitz und sein Team den ganzen Tag damit verbracht, die Tiefgarage einer Liegenschaft zu leeren. Im Strandbad Nidau hat derweil das Aufräumen begonnen: «Wir retablieren alles, was wir sicher nicht mehr brauchen», so Rackwitz im Zivilschützer-Slang. Bis morgen sind er und seine Kollegen noch vor Ort, dann kehrt bei ihm der Alltag wieder ein. Zusammen mit den Wassermassen verschwinden die orangen Riesenwürmer aus der Badi.

Der Einsatz in Zahlen

725 Einsatztage hatte der Gemeindeverband Zivilschutz Nidau plus während der letzten Wochen
80 Zivilschutzleistende des Zivilschutzes Nidau plus standen im Einsatz
Sie haben 500 Sandsäcke an die Bevölkerung abgegeben und insgesamt
45 Tonnen Sand verteilt
Im Strandbad Nidau konnten sie einen Schaden von mehreren Hunderttausend Franken verhindern mrs

 

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