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Landwirtschaft

«Es ist ein Wettlauf mit der Zeit»

Die Schweizer Zucker AG kämpft mit starkem Rübenschwund. Die Zuckerfabriken, vor allem jene in Aarberg, sind unrentabel ausgelastet. Verwaltungsratspräsident Andreas Blank nimmt Stellung und erklärt, warum ein Werk kein Werk wäre.

Verwaltungsratspräsident Andreas Blank hofft zusammen mit den Landwirten auf resistentere Sorten. Die Zeit drängt. Bild: zvg

Interview: Manuela Habegger

Andreas Blank, warum ist die Anbaubereitschaft der Landwirte bei den Zuckerrüben so stark gesunken?

Andreas Blank: Lange lag es am Rübenpreis. Nachdem die EU im Jahr 2013 beschlossen hat, die EU-Zuckermarktverordnung und damit die Produktionsquoten und die Exportlimiten per 2017 aufzuheben, sind die Preise massiv eingebrochen. Zucker in verarbeiteter Form muss nicht verzollt werden, hier gilt mit der EU quasi ein Freihandel. Für einige Landwirte war es danach nicht mehr lukrativ, Rüben anzubauen. Der Bundesrat hat dann aber im Jahr 2018 ein Massnahmenpaket zur Stützung des Schweizer Zuckers beschlossen und unter anderem auch einen Grenzschutz eingeführt. Im vergangenen November beschloss das eidgenössische Parlament eine Verlängerung dieser Massnahmen um fünf Jahre, die Rübenpreise für das Jahr 2022 konnten leicht angehoben werden. 

 

Und dennoch sind dieses Jahr erneut 500 Landwirte aus dem Geschäft ausgestiegen. Wieso?

Vor allem im westlichen Teil der Schweiz sorgen seit zwei Jahren Schädlinge für beträchtliche Ertragsausfälle. Es sind dies die Krankheiten SBR, Syndrome de Basses Richesses, und die viröse Vergilbung. Gegen die viröse Vergilbung konnten die Landwirte bisher das Saatgutbeizmittel Gaucho einsetzen. Aber mit dem Wegfall von Gaucho, das in der Schweiz verboten wurde, ist diese Krankheit innert kurzer Zeit im Westen wieder massiv aufgetreten. Das ist übrigens nicht nur bei uns so, daher hat man in vielen Ländern der EU Notfallzulassungen eingeführt.

 

Ohne die Krankheiten würden die Anbauflächen also wieder steigen?

Wenigstens würden die Flächen nicht weiter zurückgehen. 2019 konnte der Rückgang mit Einführung des Massnahmenpaketes gestoppt werden. Mit diesen Unterstützungsmassnahmen wäre der Rübenanbau wieder attraktiver, wenn nicht die Krankheiten wären.

 

Wird man die Krankheiten ohne das Pflanzenschutzmittel überhaupt in den Griff kriegen?

Die Branche arbeitet mit Hochdruck dran. Es sind bereits in diesem Jahr neue Sorten auf dem Markt, die resistenter sein sollen. Gleichzeitig sind Bestrebungen im Gange, vorübergehend Sonderzulassungen für Pflanzenschutzmittel zu erhalten. Die Landwirte wollen das aber eigentlich nicht. Wenn sie mit den Spritzmaschinen durch die Dörfer fahren, sind sie die Buh-Männer. Aber Gaucho ist in der Schweiz politisch kein Thema mehr. Vom Absenkpfad für Pflanzenschutzmittel ist übrigens die ganze Landwirtschaft betroffen, nicht nur bei den Rüben.

 

Denken Sie, die Wissenschaft kann dem erklärten Ziel hin zu ökologischeren Anbaumethoden stemmen?

Wir sind zuversichtlich. Die Branche unter Beizug von staatlichen Institutionen wie Agroscope gibt Vollgas. Grundsätzlich will die Landwirtschaft ja nachhaltig produzieren, am Schluss muss aber die Rechnung aufgehen. Wenn wir die aktuellen Auflagen mit der EU vergleichen, produzieren wir viel nachhaltiger und konkurrieren gleichwohl mit fast denselben Preisen.

 

Wie gross sind die Unterschiede zum Ausland?

Die Unterschiede beispielsweise in Sachen CO-Emissionen sind vor allem gegenüber den osteuropäischen Ländern massiv. Überschüssiger Zucker kommt aktuell vor allem aus Osteuropa. Gleichzeitig hat die Schweiz einen höheren Hektarenertrag, was ebenfalls zur Nachhaltigkeit beiträgt. Wir verbrauchen weniger Land für die gleiche Menge Rüben. Zudem wird das Werk in Aarberg zu zwei Dritteln mit dem Holzkraftwerk und damit mit erneuerbarer Energie betrieben, während im Osten immer noch dreckige Braunkohle als Energieträger dient.

 

Falls Nachhaltigkeit und Biodiversität stärker finanziert werden müssten, kann man das ja mit einem höheren Grenzschutz tun oder die Landwirte mit höheren Flächenbeiträgen entschädigen. Ersteres würde allerdings dazu führen, dass die Zuckerpreise hierzulande steigen und die grossen Schoggifabrikanten und Getränkehersteller auf EU-Zucker umschwenken?

Das ist eine interessante Diskussion, die wir oft führen. Die Zeit arbeitet hier aber eher für uns. Zum Beispiel Nestlé gibt Milliarden aus, um in ihrer Produktionskette die CO-Emissionen und damit ihr Image zu verbessern. Wenn das Unternehmen dann ausländischen Zucker, der mit Braunkohle hergestellt wird, kauft, hat es ein Problem. Die nachhaltig produzierte Kakaobohne lässt sich dagegen werbetechnisch besser verkaufen als Zucker. Wir haben das Problem, dass Zucker allgemein ein schlechtes Image hat. Die Schokoladenhersteller oder Getränkeproduzenten haben Mühe, in ihrem Storytelling den nachhaltig produzierten Zucker zu propagieren.

 

Seit 2017 muss für das Swissness-Label mindestens 80 Prozent der enthaltenen Rohstoffe aus dem Inland stammen. Wie bedeutend ist dieses Label für den Absatz von Schweizer Zucker?

Das hilft uns sicher. Allerdings sind nicht alle gleich stark davon betroffen. Der Mondelez-Konzern sagt zum Beispiel, dass die Toblerone ohnehin mit der Schweiz assoziiert wird, egal ob das Schweizer Kreuz drauf ist. Die Getränkehersteller sind ebenfalls nur beschränkt auf Swissness angewiesen. Sie kaufen den Schweizer Zucker auch aus Qualitätsgründen, weil er zum Beispiel feiner ist und besser verarbeitet werden kann. Die preisliche Seite hat aber ihre Grenzen. Schokolade oder Süssgetränke haben einen beträchtlichen Anteil Zucker. Da spielt der Einkaufspreis dann doch eine grosse Rolle.

 

Mit dem aktuellen Zuckerpreis kann die Schweizer Zucker AG die bessere Qualität also noch rechtfertigen. Gleichzeitig sagen Sie, dürfte der Preis auch den Landwirten genügen, wenn die Krankheiten nicht wären. Liegt der Zuckerpreis also aktuell genau richtig?

Grundsätzlich ja. Im Moment belasten uns aber wie die gesamte Wirtschaft die stark gestiegenen Energiepreise. Je nachdem, wo sich diese Kosten einpendeln, womöglich höher als jetzt, müsste man dies auch auf die Preise aufschlagen können. Das sind bei uns mehrere Millionen Franken, wobei wir hier in Aarberg einen Teil der Energie über das Holzkraftwerk generieren können.

 

Neben dem Holzkraftwerk, das einen Teil der Energie auch für die Umgebung produziert, versucht die Schweizer Zucker AG mit einer Ethanolproduktion das Rübengeschäft zu diversifizieren. Inwiefern hilft das, um die Mindererträge aufzufangen?

Das sind interessante Geschäftsfelder und bringen ein bisschen Geld in Kasse. Da sind wir laufend dran. Die Diversifikationsgeschäfte retten uns aber das Unternehmen nicht. Das Geschäftsmodell basiert auf der Zuckerproduktion und das muss wieder rentabel werden.

 

Sie haben in einem Interview gesagt, die Entwicklungen im EU-Raum und die Auswirkungen auf die Schweizer Zuckerpreise seien absehbar gewesen. Man habe deshalb schon vor mehr als zehn Jahren angefangen, finanzielle Reserven zu bilden. Wie steht es um diese Rückstellungen?

In dieser Sonderreserve ist nun deutlich weniger Geld vorhanden als am Anfang, das ist klar. Diese Reserve wird irgend einmal aufgebraucht sein, wenn es so weitergeht. Wir haben aber unabhängig von dieser Spezialreserve eine sehr gesunde Bilanz. Wir müssen unabhängig davon wieder nachhaltig in die Gewinnzone zurückkehren, um auch den Betrieb und Unterhalt unserer beiden Zuckerfabriken sicherzustellen.

 

Der Flächenrückgang akzentuiert sich wegen der Krankheiten ja vor allem im Einzugsgebiet der Fabrik in Aarberg. Die Auslastung lag im letzten Jahr bei 68 Tagen, weit unter den 100 Tagen, die rentabel wären. Gibt es das Werk in fünf Jahren noch?

Vorbemerkung: Es ist nicht sicher, welche Fabrik geschlossen würde. Wir kämpfen ja momentan vor allem mit den Krankheiten. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Schädlinge auch die östliche Schweiz erreichen. Viele Probleme sind mit der Schliessung eines Werks nicht gelöst. Beide Standorte haben Vor- und Nachteile. Im Rahmen des Massnahmenpakets wurde als Auflage des Bundesrates eine unabhängige Studie in Auftrag gegeben, die unter anderem auch die Wirtschaftlichkeit der Fabriken beurteilt hat. Diese Studie hat klar gezeigt, dass aus betriebswirtschaftlicher Sicht eine Zuckerproduktion in der Schweiz nur mit den zwei Fabriken Aarberg und Frauenfeld sinnvoll ist. Das hat unter anderem mit den Transportwegen und der Logistik zu tun. Aber für zwei Fabriken braucht es natürlich genügend Rübenfläche. Wir müssen darum kämpfen, dass die Anbauflächen wieder steigen.

 

Wie ist denn Ihr wahrscheinliches Szenario für die nächsten fünf Jahre?

Ich kann nicht Kaffeesatzlesen. Ich bin grundsätzlich zuversichtlich, aber es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Im Moment verursachen die Krankheiten zu hohe Ertragsausfälle. Hier hoffen wir auf resistentere Sorten. Wir müssen nun erst sehen, wie gut das funktioniert.

 

In der Zwischenzeit versucht man also, die Schwankungen zwischen Frauenfeld und Aarberg auszugleichen.

Das ist korrekt, war schon immer so. Zudem beschaffen wir uns bei schlechten Ernten auch ausländische Rüben. Mit dem Skaleneffekt bringt das immer noch etwas. Das ist aber dann nicht mehr Schweizer Zucker. Wir wollen davon auch wieder wegkommen. Das schaffen wir aber eben nur mit mehr Schweizer Rübenfläche. Aber der Kampf um die Flächen ist natürlich ein ganz grundsätzliches Problem.

 

Wie meinen Sie das konkret?

Fast alle Kulturen werben für neue Pflanzer. Jede Kultur kann aber von den Problemen wie bei den Rüben betroffen werden oder ist das bereits. Die Landwirte bauen das an, was sich rechnen lässt. Je nachdem haben wir dann plötzlich zu viel Raps, Getreide, Mais, Kartoffeln oder auch Gemüse, weil das aktuell lukrativer ist. Diesbezüglich erwarten wir vom Bund und auch vom Bauernverband eine Gesamtschau.

 

Welche Rolle soll die Zuckerrübe einnehmen?

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Zuckerrübe darin einen wichtigen Platz einnehmen soll und muss. Die Zuckerproduktion ist in der Schweiz deutlich nachhaltiger als im Ausland. Wir verwerten die ganze Zuckerrübe, inklusive allen Nebenprodukten und Abfällen. Die Zuckerrübe bindet grosse Mengen an CO und die Zuckerrübe ist in der Fruchtfolge sehr wichtig. Wir haben zwei gut funktionierende moderne Zuckerfabriken. Man muss sich schon gut überlegen, ob man so eine sinnvolle Kultur wie die Zuckerrübe aufgeben will. Dazu braucht es aber den Einsatz von allen Beteiligten.

 

Zur Person

  • Ämter: Andreas Blank ist seit 2013 Präsident des Verwaltungsrates der Schweizer Zucker AG. Als Aarberger ist er quasi neben der Zuckerfabrik aufgewachsen. 16 Jahre lang war er als SVP-Grossrat politisch aktiv (bis 2018). 13 Jahre leitete er die Geschäfte des EHC Biel (bis 2017).
  • Beruf: Als Jurist betreibt der heute 59-Jährige in Lyss und Aarberg ein Notariatsbüro.
  • Privat: Er ist verheiratet, hat zwei Kindern und ist in Aarberg wohnhaft. mha

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