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«Es ist immer gefährlich, wenn es einem gut geht»

Rolf Christen war zwölf Jahre lang Gemeindepräsident von Busswil. Nun möchte er dasselbe Amt in Lyss ausführen. Wenn der BDP-Politiker gewählt wird, würde er als erstes den Gemeinderatsbetrieb reorganisieren. Er findet die Stellenprozente ungerecht verteilt.

Rolf Christen kann sich vorstellen, auch als Gemeindepräsident die Abteilung Bau und Planung weiterzuführen. Bild: Stefan Leimer
  • Dossier

Interview: Andrea Butorin

Rolf Christen, ganz ehrlich: Eigentlich kandidieren Sie bloss als Gemeindepräsident, um mehr Stimmen für ihren Gemeinderatssitz zu holen.Rolf Christen: Wer mich kennt, weiss, was Fakt ist – Rolf Christen möchte der zukünftige Gemeindepräsident von Lyss sein. Die Kandidatur ist keine Alibiübung. Ich bin mir der Verantwortung bewusst und bin bereit, diese mit einem Zeithorizont von  acht Jahren zu tragen. Kommt dazu:_Das Präsidium ist im halb- bis vollprofessionellen System, das wir haben, die einzige Möglichkeit, um professionell zu politisieren.

Was würden Sie als Erstes anpacken, wenn Sie gewählt werden?
Ich werde oft darauf angesprochen, weshalb ich den bestehenden Gemeindepräsidenten angreife, der ja keine Fehler gemacht hat. Es ist richtig – Andreas Hegg hat keine offensichtlichen Fehler gemacht. Aber ich würde den Betrieb anders organisieren. Heute haben wir 180 Stellenprozente für die Exekutive. Gemäss Reglement ist das Präsidium ein 80- oder 100-Prozent-Pensum. Das steht aber in einem Missverhältnis zu den Aufgaben, die alle machen. Ich würde die Prozente deshalb sofort anders verteilen.

Wie denn?
Als Präsident würde ich sicher nicht mehr als 80 Prozent arbeiten. Eventuell könnte man das Reglement ändern und die Prozente sogar auf 70 oder 60 Prozent senken. Der andere Aspekt ist, wie ich das Team gecoacht haben will. Ich will, dass sich der Gemeinderat regelmässig über das Gesamtbild austauscht und nicht nur jeder für sich arbeitet. Ich würde auch Rückschauen einführen. Bislang sind wir ausserhalb der GR-Sitzung nie zusammengekommen, haben nie gemeinsam ein Bier getrunken. Im Übrigen könnte ich mir vorstellen, auch als Gemeindepräsident die Abteilung Bau und Planung weiterzuführen.

In einem früheren BT-Artikel haben Sie den amtierenden Präsidenten Andreas Hegg (FDP) sehr wohl kritisiert.
Es gab ein Inserat im Anzeiger, das viele Leute irritiert hat. Denn darin rühmt er sich mit vielen Punkten, die eigentlich eine Leistung des gesamten Gemeinderats sind. In Lyss ist gute Arbeit gemacht worden. Aber man ist defensiv unterwegs, denn uns geht es ja gut. Aber es ist immer auch gefährlich, wenn es einem gut geht. Wir haben seit 36 Jahren dieselbe Partei an der Führung, da dürfte man innovativer werden, neue Gesichtspunkte reinbringen.

Wie empfinden Sie derzeit die Zusammenarbeit im Gemeinderat im Hinblick auf den Wahlkampf?
Problemlos. Absolut professionell.

Wie sehr haben Sie Angst, Ihren Gemeinderats-Sitz zu verlieren?
Angst... Sicher ist, dass die BDP allein nicht genügend Parteistimmen macht, um im Proporzsystem einen Sitz zu machen. Es wird um die Restmandate gehen. Um davon profitieren zu können, sind wir auch die Listenverbindung mit der GLP eingegangen. Viele Wähler denken, ich würde problemlos gewählt. Sie wissen gar nicht, was das Proporzsystem bedeutet. Vor vier Jahren ist es der SP passiert, dass eine vernünftige Anzahl Stimmen allein nicht ausgereicht hat. Ich denke aber, dass die Bevölkerung eine Veränderung in der Führung meiner Abteilung bemerkte und mein Engagement als Gemeinderat schätzt. Die Abteilung Bau und Planung war in den letzten vier Jahren in der Öffentlichkeit kein Thema mehr. Somit hoffe ich auf Wählerstimmen über die Parteigrenzen hinaus.

Sie konnten als Retter verschiedener Dossiers auftreten. Man könnte auch sagen, dass Sie die Lorbeeren einheimsten von Dingen, die bereits aufgegleist waren.
Retter ist sowieso der falsche Ausdruck. Beim Kirchenfeldschulhaus haben wir einige Justierungen in der Führung unternommen. Die Ortsdurchfahrt ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Das war bereits angedacht, aber ich habe sie von Anfang an begleitet. Was von A bis Z von mir stammt, ist der Werkhof. Den hatte man zuvor 30_Jahre lang vor sich hingeschoben. Und was nun jede Partei auf ihre Fahne schreibt, nämlich die Vision des Ortskerns, die stammt mit Verlaub von mir.

Wo sehen Sie die grössten Probleme in Lyss?
Das Hauptthema ist, wie kann man bis 2030, dem Zeithorizont des kantonalen Richtplans, auf rund 17_500 Einwohner wachsen, ohne einen Quadratmeter Land zu verbauen. Wie geht man damit um? Welche Infrastrukturen werden benötigt?_Diese Diskussion hat nun begonnen. Das grösste Anliegen ist, dass der Ortskern zwischen Coop und Migros zusammenwächst. Zudem müssen die Investitionen finanzierbar und nachhaltig tragbar sein.

Wie hoch schätzen Sie Ihre Chancen ein, als Gemeindepräsident gewählt zu werden?
Ich denke, dass ich intakte Chancen habe, in den zweiten Wahlgang zu kommen. Wenn einer die Wahl im ersten Wahlgang schafft, dann nur Andreas Hegg. Aber aufgrund der Konstellation von vier Kandidaten denke ich, dass es zu einem zweiten kommen wird.

Sie waren zwölf Jahre lang Gemeindepräsident von Busswil und nun vier Jahre im Lysser Gemeinderat. Haben Sie noch nicht genug von der Politik?
Ich habe die Politik zum Beruf gemacht und nicht zum Hobby. In den letzten vier Jahren habe ich mein privates Umfeld umgestellt und bin nun kein internationaler Direktor mehr.

Sie haben immer noch Spass daran?
Ja, natürlich.

Und wollen nun wie angetönt für Ihre Arbeit endlich angemessen bezahlt werden.
Ja und nein. Natürlich will ich dafür bezahlt sein, aber das muss nicht unbedingt im Präsidium sein. Ich bin gern der Leader. Der Coach einer Geschäftsleitung oder eines Exekutivkomitees. Ich war fast bei allen Stationen meines Lebenslaufs irgendwann mal der Präsident. Etwa bei der Pfadisportgruppe Lyss, die ich zwölf Jahre lang präsidierte.

Können Sie sich nicht unterordnen?
(Lacht) Doch, das muss man auch. Aber ich bin gern derjenige, der den Takt angibt. In Busswil hörte ich, ich sei ein guter Coach.

Busswil wird Ihnen sowohl Stimmen bringen wie auch kosten. Wer gegen die Fusion war, wird Sie kaum wählen.
Das ist so. Aber ob das immer noch 50 Prozent sind, oder ob sie inzwischen gesehen haben, dass sich gar nicht viel verändert hat...

Was machen Sie in zehn Jahren?
Ich blicke auf gute acht Jahre als Gemeindepräsident zurück und gehe auf den Golfplatz.

Welches ist in Lyss Ihr Lieblingsplatz?
In Busswil bin ich gern an der alten Aare unterwegs, geniesse auf dem Friedhof die Übersicht bei den Eichen oder esse im Garten des «Rössli». Mein Lieblingsplatz in Lyss ist die Nespolyhalle. Zudem mag ich den Weg entlang des Lyssbachs. Dort ist Lyss noch dörflich.

Würden Sie als Präsident Nägel mit Köpfen machen und Lyss zur Stadt erklären?
Ja, gleich am ersten Tag. Man kann nicht wachsen und denken, im Kern sei man immer noch ein Dorf. Man muss zu den Fakten stehen. Als ich Kind war, hatte Lyss 6000 Einwohner. Heute sind es mehr als es doppelt so viele. Da muss sich der Charakter ändern.

Sind Sie nicht manchmal traurig, wenn Sie an das Lyss Ihrer Kindheit denken?
Nein. Die Bielstrasse, an der ich aufgewachsen bin, war nie ein Bijou. Abgesehen von der Arni-Fabrik. Dass die abgerissen und durch das «La Tour» ersetzt wurde, ist ein nicht zu korrigierender Fehler. Aber nun wird die Bielstrasse attraktiver, als sie es in meiner Kindheit war.

* * * * *

Zur Person

Rolf Christen ist am Montag 61 Jahre alt geworden.
Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Aufgewachsen ist er in Lyss, mittlerweile lebt er in Busswil.
Christen war als Generaldirektor für eine Firma, die Kommunikationslösungen in Hotels anbietet, tätig.
Von 1998 bis 2010 war er Gemeindepräsident von Busswil.
Ursprünglich war er Mitglied der SVP, 2009 wechselte er zur BDP.
In seiner Freizeit spielt er einmal die Woche Golf, reist und verbringt gerne Zeit in der Ferienwohnung in Saas Fee.
 

Stichwörter: Wahlen Lyss, BDP, Rolf Christen

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