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Yukon

Fliegende Rentiere und festlich verzierte Müllwagen

Auch in Kanada dreht sich an und vor Weihnachten alles um Geschenke, feines Essen und Lichterketten. An den sogenannten «Boxing Days» werden Letztere sogar mit bis zu 90 Prozent Rabatt verscherbelt, wie Fernweh-Autorin Christine Mäder erzählt.

Santas Müllwagen ist in der Vorweihnachtszeit aus Whitehorse kaum mehr wegzudenken. Bild: zvg / Kim Sinclair
  • Dossier

Christine Mäder

Tradition und Kommerz gehen Hand in Hand, vor allem im Dezember. Auch der Yukon ist da voll mit dabei. Kaum war Halloween vorbei, ging das Weihnachtsgeschäft los. Was ich in den Läden immer als etwas früh empfinde, gefällt mir andererseits in den Vorgärten, an Bäumen, Sträuchern und Häusern: Die bunte, oft blinkende Farbenpracht unzähliger Lichterketten macht die lange Dunkelheit einfach erträglicher. Am kürzesten Tag haben wir in Whitehorse ja bloss 5 Stunden und 38 Minuten Tageslicht von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Plus je eine Stunde vor und nach der Dämmerung. Das sind 13 Stunden und 31 Minuten weniger als zur Sommersonnenwende am 21. Juni!

Liebenswerter Kitsch
In meiner Wohngegend kann ich mich unter anderem an einem aufblasbaren Samichlaus im Propellerflugzeug, an funkelnden Rentieren und einer ganzen Figurenfamilie vom Comic Peanuts erfreuen. Auch vor meiner Haustür steht ein 1,8 Meter grosser Santa. Schon im November habe ich bei der Fahrt durchs Quartier die ersten beleuchteten Weihnachtsbäume in den Stuben gesichtet. Anders als während meiner Kindheit in der Schweiz werden hier kaum echte Kerzen auf den Baum gesteckt; das Licht kommt aus der Steckdose. Oft werden die liebevoll, manchmal aber auch kitschig geschmückten Tännchen direkt ans Fenster gestellt, damit sie von draussen bewundert werden können. Wenn überhaupt vorhanden, werden zu dieser Zeit die Vorhänge sicher nicht zugezogen.

Während es heute unzählige Arten und Grössen von künstlichen Weihnachtsbäumen gibt – manche mit schon eingebauten Lichtern oder sogar mit Duft eingesprüht – hat jeder Haushalt im Yukon das Recht, sich im Wald ausserhalb der Stadtgrenze gratis eine oder sogar zwei echte Tannen, Fichten oder Kiefern zu holen. Für Familien mit Kindern ist dieser Ausflug eine lieb gewordene Tradition.

Sogar der Müllwagen feiert mit
Ebenfalls Tradition hat der mit tausenden farbigen Lichtern geschmückte alte Müllwagen, der in der Woche vor Weihnachten durch die Strassen von Whitehorse fährt. Seit 27 Jahren verbreitet Wayne Henderson im Samichlauskostüm winkend und hupend «Christmas Cheer», besucht Schulen und Altersheime und verteilt dort Zuckerstangen und gute Laune. Als die Stadt vor einigen Jahren ihre Müllabfuhr-Flotte erneuerte, stellte sich heraus, dass die neuen Wagen nicht mit Lichterketten ausgestattet werden können. Dies führte fast zu einem Aufstand in der Bevölkerung. Und rasch wurde eines der ausgedienten Fahrzeuge wieder als «Santa’s Garbage Truck» eingesetzt.

In Nordamerika bringt nicht das Christkind die Geschenke, sondern der rundliche, weissbärtige Weihnachtsmann im roten Gewand. Santa Claus lebt mit Mrs. Claus am Nordpol und stellt dort in seiner Werkstatt, unterstützt von seinen Helferelfen, die Geschenke für die Kinder zusammen, welche ihre Wünsche auf Listen oder in Briefen – heutzutage aber wohl eher via Smartphone oder Tablet – kundgetan haben. In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember wird das vom rotnasigen Rudolf angeführte Rentiergespann dem mit Geschenken vollgepackten Schlitten vorgespannt, und ab gehts durch die Lüfte von Haus zu Haus. Santas Route kann mittlerweile im Internet (Norad und Google) mitverfolgt werden.

Das Schlittengespann landet auf dem Dach und dann zwängt sich Santa mit seinem Sack voller Gaben durch den Kamin runter in die Stube. Traditionell hängen da grosse, verzierte Strümpfe für die kleineren Geschenke, während die anderen unter dem Weihnachtsbaum Platz finden. Als Belohnung für seine Bemühungen wird dem Samichlaus ein Glas Milch und eine Schale mit Gebäck hingestellt. Am Weihnachtsmorgen stehen Kinder freiwillig früh auf und die ganze Familie versammelt sich, oft noch im Pyjama, vor dem Tannenbaum zur Geschenkverteilung. Entweder teilt eine Person ein Päckli nach dem anderen aus, damit jeder Anwesende mitfiebern kann, oder aber die Auspackschlacht beginnt.

Im Laufe des Tages treffen dann die Gäste ein, die zum traditionellen «Turkey Dinner» eingeladen worden sind. Je nach Gewicht des Truthahns schmort der mit gewürzten Brotwürfeln, Zwiebeln und Sellerie gestopfte Vogel vier bis sechs Stunden im Ofen. In der Zwischenzeit werden die Beilagen zubereitet: meist Kartoffelstock, Süsskartoffeln, Rüebli, Rosenkohl und Preiselbeersauce. Zum Dessert gibt es dann je nach Familientradition Kürbis- oder Apfelkuchen, Sahnetorte, Zimtschnecken oder, wie bei mir, Weihnachtsguetzli.

«Boxing Day»-Rummel
Während der 26. Dezember für Regierungsangestellte und Schulen ein Feiertag ist, herrscht an diesem Tag in den Läden ein Rummel, der seinesgleichen sucht: Am «Boxing Day» werden nicht erwünschte Geschenke wieder in ihre Schachteln (eben «boxes») verpackt, an den Kaufort zurückgebracht und gegen etwas Passenderes eingetauscht. Geldrückgabe ist auch kein Problem, so lange der originale Kassenzettel vorgewiesen werden kann. An den oft schon vor Weihnachten beginnenden und bis Ende der Altjahrswoche andauernden «Boxing Day Sales» werden Dinge zu einem Bruchteil des Kaufpreises verscherbelt; Weihnachtsdekorationen oft mit bis zu 90 Prozent Ermässigung.

Jahrzehntelang war der «Boxing Day» der umsatzgrösste Tag nordamerikanischer Geschäfte. Inzwischen versetzen der von den USA nach Kanada übergeschwappte «Black Friday» und der darauffolgende «Cyber Monday» die Leute hier auf der Suche nach Schnäppchen noch stärker in einen Kaufrausch. Kommerz in Reinkultur.

In drei Tagen ist Silvester, und der Wetterbericht sieht vielverheissend aus mit relativ milden Temperaturen. Gut so, denn letztes Jahr mussten die Outdoor-Spiele, das Schlitteln und das Freudenfeuer im Shipyards Park aufgrund der beissenden Kälte mit einem Windfaktor von unter minus 40 Grad Celsius kurzfristig abgeblasen werden. Dennoch harrten hunderte von Unentwegten im Freien aus, um das traditionelle Feuerwerk in Whitehorse mitzuverfolgen.

Silvester ist auch der Tag, an dem man die guten Vorsätze fürs neue Jahr fasst. Oder auch nicht ... Happy New Year!

Info: Christine Mäder, in Biel geboren und aufgewachsen, war von 1977 bis 1993 Journalistin und Redaktorin beim «Bieler Tagblatt». Nach weiteren drei Jahren als Musikredaktorin in Zürich und Baden wanderte sie in die «hinterste obere Ecke» von Kanada aus: ins spärlich besiedelte Yukon Territorium, wo sie ihre Sprachkenntnisse zuerst im Tourismus anwendete, nun aber in Whitehorse in der Finanzabteilung von Parks Canada tätig ist.

Christine Mäder

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