Sie sind hier

Abo

Hochwasser

Hochwasser: Nun müssen konkrete Lösungsvorschläge her

Bund und Kantone überprüfen derzeit die Leistungsfähigkeit des Systems Juragewässerkorrektion. Dies aufgrund einer überparteilichen Motion von Seeländer Grossrätinnen und Grossräten. Ein allfälliges Bauprojekt hätte immense Kosten zur Folge.

Überschwemmt: Die Badi in Twann im Juli.Matthias Käser/A
von Brigitte Jeckelmann
Das Hochwasser vom letzten Sommer liegt bereits ein gutes halbes Jahr zurück - doch vorbei ist die Geschichte noch längst nicht. Nun ist die Politik dran: Insgesamt fünf Vorstösse von Grossrätinnen und Grossräten zuhanden der Bau-, Verkehrs-, und Energiedirektion zeigen, wie einschneidend das Ereignis war. Gefordert sind Erklärungen, wie es zu den Überflutungen im Seeland kommen konnte. Geschädigte wollen wissen, wer für die Zerstörungen an Gebäuden zuständig ist und wer für miserable Ernten wegen überfluteten Feldern zur Verantwortung gezogen werden kann. Doch das Wichtigste: Was ist zu tun, damit dies nicht wieder vorkommt? 
Diese Woche hat der Regierungsrat gleich zwei Vorstösse von Seeländer Grossrätinnen und Grossräten beantwortet; eine überparteiliche Motion von Vertretern der FDP, EVP und den Grünen mit Nidaus Stadtpräsidentin Sandra Hess als Sprecherin. Zudem eine Interpellation der Bieler SVP-Stadt- und Grossrätin Sandra Schneider. 
Die Motion Hess (FDP) war mit sieben Fragen wohl der bisher umfangreichste Vorstoss. Die Motionäre wollten es genau wissen: Wie wurde der Pegelstand von Thuner- und Brienzersee reguliert? Hat man vorbeugende Massnahmen ergriffen? Hat eine Interessenabwägung zwischen dem Oberland und dem Seeland stattgefunden? Verlangt wird zudem eine umfassende Berichterstattung zum Ereignis. In dieselbe Richtung zielen die Fragen von Sandra Schneider.
 
Kurzanalyse in Arbeit
Aus der Sicht des Regierungsrats hat sich das System der Juragewässerkorrektion insgesamt bewährt. Es sei aber «ein weiteres Mal an seine Grenzen gestossen», heisst es in der Antwort. Die Frage, wie sich das System im Hinblick auf künftige weitere Hochwasserereignisse verbessern lässt, zeigt die Komplexität des Ganzen auf - und auch eine gewisse Ratlosigkeit. 
Angesichts der Klimaerwärmung müsse man künftig mit Überlastungen rechnen. Sollte sich zeigen, dass das System nicht mehr ausreicht, werde das «umfangreiche technische Abklärungen brauchen, die mindestens sechs Kantone betreffen». Dazu gehören die Kantone Freiburg, Bern, Solothurn, Aargau, Neuenburg und Waadt. Wasserbauliche Einzelaktionen seien kaum vorstellbar. Wenn schon, müsse das ganze System leistungsfähiger sein. Dies hätte zur Folge, dass die Kanäle vergrössert und die Reguliervorschriften angepasst werden müssten. Dieses Szenario wäre verbunden mit «immensen Kostenfolgen und schier endlosen Bewilligungsverfahren». Kommt dazu: Die Kantone müssen sich in allem einig sein. Letztlich stellt sich bei solchen Monsterprojekten die Frage nach Kosten und Nutzen. Falle dieser Vergleich negativ aus, seien sie nicht finanzierbar. 
Trotzdem läuft derzeit bereits eine Überprüfung zur Frage der Leistungsfähigkeit des Systems, wie der Regierungsrat schreibt. Das Bundesamt für Umwelt erstelle in Zusammenarbeit mit den Kantonen eine Kurzanalyse. Diese werde dem Grossen Rat unterbreitet.  
Böden bereits im Juni gesättigt
Der Regierungsrat verweist weiter auf die überdurchschnittlich hohen Niederschlagsmengen in weiten Teilen der Schweiz in den Monaten Mai und Juni. Hinzu kam eine intensive Schneeschmelze. Die Böden waren vielerorts also bereits gesättigt und auch viele Seen «wiesen bereits leicht überdurchschnittliche Wassermengen auf». Der einsetzende Dauerregen im Juli fiel somit auf ein bereits gefülltes hydrologisches System. Besonders rasch stiegen die Pegel von Thuner- und Bielersee auf die maximale Gefahrenstufe fünf. Der Brienzersee dagegen erreichte nur Stufe drei. Der Vergleich zwischen den benachbarten beiden Seen im Berner Oberland zeigt: Entscheidend war, wo wie viel Regen gefallen war. Der Regierungsrat verweist zudem auf die gültigen Reguliervorschriften. Darin eingeschlossen ist die Murgenthaler-Bedingung. Sie wurde nach der zweiten Juragewässerkorrektion erlassen, bei der der Nidau-Büren-Kanal ausgebaut wurde. Dies ermöglicht es, grössere Mengen Wasser aus dem Gebiet der drei Jurarandseen abfliessen zu lassen. Damit dies nicht zulasten des darunter liegenden Kantons Aargau geht, wurde die Abflussmenge bei Murgenthal auf eine bestimmte Menge beschränkt. 
 
Die Reguliervorschriften sind nach Darstellung des Regierungsrats ein Versuch, «die unterschiedlichen Ansprüche in Form eines Kompromisses unter einen Hut zu bringen». Dasselbe gelte für die Interessen von Schifffahrt, Ökologie, Landwirtschaft und Hochwasserschutz. Bei Hochwassergefahr habe aber die Prävention absolute Priorität. Deshalb habe der Regulierdienst des Amts für Wasser und Abfall die Pegel von Thuner- und Brienzersee bereits gesenkt, noch bevor die massiven Niederschläge einsetzten. So seien die Pegel von Thuner-, und Bielersee Anfang Juli rund 20 Zentimeter unter dem Sommer-Normalstand gelegen. Im Klartext: Ohne diese Massnahme wären die Pegel der Jurarandseen deutlich höher gestiegen, nämlich um rund 20 Zentimeter, wie Berechnungen ergeben hätten. Zudem habe man nach Absprache mit den anderen Kantonen beschlossen, die Abflussmenge aus dem Bielersee beim Wehr in Port zeitweise um 100 Kubikmeter pro Sekunde zu erhöhen, um das Absinken der Pegel der Jurarandseen zu beschleunigen.
 
Keine Interessenabwägung
Der Regierungsrat wehrt sich gegen den Vorwurf, eine Interessensabwägung vorgenommen zu haben. Der Regulierdienst habe sich an die Vorschriften gehalten und «nicht aktiv in die Schadensverteilung eingegriffen. Dazu wäre er nicht befugt». Es hätte auch nichts genutzt, hätte man den Pegel des Thunersees weniger schnell absinken lassen, schreibt der Regierungsrat. Einerseits wäre dies eine bewusste Abweichung von den Reguliervorschriften mit negativen Folgen auf die ebenfalls überfluteten Gebiete um den Thunersee gewesen. Andererseits hat man auch hier Berechnungen erstellt. Resultat: «Eine Drosselung der Absenkgeschwindigkeit hätte praktisch keine Auswirkungen auf die Pegel der Jurarandseen gehabt.» 
 
Jetzt aber Nägel mit Köpfen
Sandra Hess ist mit den Antworten des Regierungsrats vorläufig zufrieden. Die vorbeugende Absenkung von Thuner- und Bielersee sei für sie neu gewesen, sagt sie am Telefon. «Man stelle sich nur vor, wie hoch das Wasser wohl sonst im Seeland gestanden wäre.» Inzwischen hat sie sich überzeugen lassen, dass das Seeland nicht absichtlich geflutet wurde. Dennoch erwartet sie nun von der Regierung Nägel mit Köpfen. Denn wie es in der Antwort heisst, ist mit weiteren Hochwassern zu rechnen. «Deshalb muss man sich sehr schnell darüber im Klaren sein, wie man diesen künftig begegnen kann.» Immerhin: Die Motion soll angenommen werden, der verlangte Bericht ist in Arbeit. Sandra Hess erwartet, dass darin konkrete Lösungsvorschläge enthalten sind. 
Die Bielerin Sandra Schneider hatte in ihrem Vorstoss die Frage aufgeworfen, weshalb die aktuelle Hochwassersituation im Bielersee nicht auf der Wetterapp Alertswiss zu finden war. Die Nutzung von Alertswiss stehe allen Behörden im Kanton Bern offen, heisst es in der Antwort. Gemäss eigenen Angaben sollen die Regierungsstatthalter die Kommunikation im Sommer aber mit dem SMS-Hochwasser-Alarm sichergestellt und die Informationen nicht vollumfänglich auf Alertswiss eingespeist haben. 
Als Fazit werde jedoch die Sensibilisierung verstärkt, die Wetterapp zu nutzen. Sandra Schneider zeigt Verständnis für die «sehr aussergewöhnliche Situation» im letzten Sommer. Aus der Antwort des Regierungsrats sei ersichtlich, dass das System von allen Seiten überlastet war, sagt sie. Grundsätzlich habe sie den Eindruck, dass Behörden, Zivilschutz und Feuerwehr zusammen das Ereignis gut bewältigt haben. Mit ihrem Vorstoss habe sie die Politik wachrütteln wollen. Schneider: «Das nächste Hochwasser wird kommen - wie können wir uns dagegen wappnen?» 
Nun wartet sie gespannt auf die Auswertung, die das Bundesamt für Umwelt leitet. Diese sei bereits angelaufen und wird laut Regierungsrat gegen Ende dieses Jahres abgeschlossen sein. 

Nachrichten zu Seeland »