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«Ich bin ein moderner Typ und konservativ»

Heute Abend spielen in der Seelandhalle Schluneggers Heimweh auf. Im poppig volkstümlichen Chor singt auch der gebürtige Bieler Yves Rico Jaquillard mit. Er kombiniert gerne die Welten: Mit seinen tätowierten Armen legt er auch Tech-House auf.

Schluneggers Heimweh mit Georg Schlunegger (mitte) und Yves Rico Jaquillard (3. von rechts). zvg

Interview: Tobias Graden

Yves Rico Jaquillard, wann waren Sie das letzte Mal in den Bergen?
Yves Rico Jaquillard: Das war beim Videodreh zum Lied «Bueb us de Bärge».

Sie sind in Biel geboren, wohnen in Schönbühl – sind Sie denn ein «Bueb us de Bärge»?
Nein. Ich bin ländlich aufgewachsen, in einem Dorf im Emmental, das schon, aber nicht in den Bergen. Und als ich alt genug war, bin ich weggezogen.

Man muss also nicht aus den Bergen kommen, um bei Schluneggers Heimweh mitzusingen.
Nein. Zwei, drei von uns stammen zwar aus Bergregionen, aber es hat auch Stadtzürcher und Luzerner dabei.

Das Projekt, das sich derart bergig gibt, ist in Zürich entstanden.
Das ist so.

Wie sind Sie zur Gruppe gekommen?
Ich war zuvor Teil des Pop-Klassik-Quartetts Phenomen. In der Staffel unseres Auftritts von «Die grössten Schweizer Talente»gewann Maya Wirz, wir haben dann ein Lied mit ihr aufgenommen bei Hitmill. So lernte ich Georg Schlunegger kennen. Als ich bei Phenomen ausstieg, suchte Georg gerade nach geeigneten Sängern und fragte mich an.

Ist Heimweh für Sie eine musikalische Herausforderung, nachdem sie Klassik-Pop gesungen haben?
Es ist durchaus herausfordernd, weil es eine andere Richtung ist. Früher habe ich mich auf Pop und Soul beschränkt, dann kam die Klassik, und jetzt Mundart. Das war ein Versuch für mich, aber es macht sehr Spass.

Gesanglich dürfte es machbar sein, nicht?
Nicht für jeden (lacht). Sagen wir so: Es ist anders. Technisch gesehen ist es schon nicht gleich anspruchsvoll, aber man muss auf andere Sachen achten. Zum Beispiel darauf, wie man mit dem Ton umgeht, mit der Mundart. Da ist es anders wichtig, wie man ein Lied rüberbringt. Wenn ich englisch oder italienisch singe, verstehen es die Leute weniger gut, da ist es vor allem wichtig, dass es technisch stimmt. Aber in Mundart muss das, was man singt, in Zusammenhang stehen mit dem Text. Man muss dazu stehen können.

Sie sind reichlich tätowiert, betätigen sich auch als Tech-House-DJ Rico Loco. Den heimattümelnden Volkssänger stellt man sich gemeinhin anders vor.
Gemeinhin schon.

Haben Sie die Rolle des Paradiesvogels?
Ganz konservativ betrachtet vielleicht schon. Aber ich sehe mich nicht so, sondern als vollwertiges Mitglied. Die Gruppe soll ja auch modern daherkommen, Pop-Einfluss haben. Da passen die Tattoos gut dazu. Es ist auch gewünscht, dass es Abwechslung gibt.

Bringen Sie sich auch musikalisch ein?
Soweit möglich. Das grosse Handwerk überlassen wir Georg Schlunegger, es ist sein Projekt, er hat die Ideen. Aber wir dürfen eigene Ideen äussern.

Sie sind letztlich angestellt.
Das kann man so sagen.

Schluneggers Heimweh vermittelt eine konservative Botschaft, es geht um Heimat, Familie, Treue. Ist das auch Ihre Botschaft?
Ja. Sehr sogar. Ich bin zwar ein moderner Typ, in den Wurzeln aber konservativ. Ich habe das so mitbekommen auf dem Land, dass man auch zurückschauen und sich irgendwo festhalten kann, an der Familie, an Freunden, dass man sich selber treu ist und der Heimat. Ich würde nicht mitmachen, wenn ich nicht hinter dieser Botschaft stehen könnte. Darum habe ich auch bei Phenomen aufgehört, dieser Anzug, das Steife, das war eher eine Show. Da konnte man nicht wirklich sich selber sein.

Nun treten Sie in Tracht auf, das könnte man als eine Art Uniform auffassen, und Sie zeigen auch eine Show.
Wir beschränken uns auf den Mutz (das Gilet der Männertracht, Anm. d. Red.), der Rest bin ich mit meinen löchrigen Jeans und den Ketteli und dem weissen Oberteil. Damit kann ich mich identifizieren als Teil der Gruppe.

Als DJ sind Sie in der Clubszene des Nachtlebens tätig. Kollidiert dies nicht mit den konservativen Werten, die Sie bei Heimweh vertreten?
Wie soll dies kollidieren?

Nun, dort sind Drogen ein Thema, der urban-hedonistische Lebensstil...
Ich kann das kombinieren. Man muss sich ja nicht auf eine Richtung beschränken und sagen, ich bin jetzt konservativ und fertig. Ich bin ein offener Mensch, ich öffne mich gegenüber anderen Menschen und auch Szenen, möchte viel erleben und sehen. Wenn es mir zu krass wird, kann ich mich immer noch zurückziehen. Doch das war bislang gar nicht nötig.

Bei Heimweh singen Sie auch davon, dass es nirgends so schön sei wie hierzulande. Welches ist für Sie der schönste Ort der Welt?
Da gibt es keinen speziellen. Wo man sich gerade wohlfühlt.

Und das kann auch im Ausland sein?
Wenn ich reise, sehe ich wunderschöne Orte, von denen ich nicht mehr weggehen möchte. Und manchmal liege ich im Bett und finde gerade dies den schönsten Ort der Welt (lacht).

Ist denn die Botschaft, die Heimweh aussendet, ehrlich gemeint – oder bedient sie ein Marktsegment, dessen Menschen ein Bedürfnis haben nach scheinbar sicheren Werten in einer unsteten Welt?
Ich denke, nein: Ich weiss, dass dies ernst gemeinte Worte sind. Georg Schlunegger hat die Texte geschrieben, er ist ein sehr bodenständiger, toller Mensch. Was er schreibt, kommt aus seinem Herzen. In vielen Texten sehe ich Situationen, in denen sich viele Menschen widerfinden können, es sind Momente aus dem Leben. Ich empfinde das selber so. Das ist nicht nur Marketing, auch wenn dieses natürlich auch nötig ist.

Und Hitmill weiss ja, wie es geht.
Das ist so. Vor allem marketingtechnisch.

Jedenfalls reitet Schluneggers Heimweh derzeit auf einer Erfolgswelle. Wie erklären Sie sich das?
Das habe ich mir auch schon überlegt. Heute kommt musikalisch sehr viel aus Amerika. Wir werden in den Charts bombardiert von amerikanischen Sachen, die oft sehr ähnlich klingen, von einem Einheitsbrei mit diesem Rap und dem David-Guetta-artigen, alles ist so megacool und hat keine Seele. Ich glaube, dass die Leute gerade in der heutigen Zeit ein bisschen genug davon haben. Sie wünschen sich Sachen, mit denen sie sich identifizieren können, die unsere Kultur einbeziehen.

Wenn Ihnen die Seele in der Musik wichtig ist: Ist die auch in Ihrem Tech-House drin?
Das ist natürlich etwas ganz anderes. Im Tech-House hat man ja keinen Text. Man transportiert Gefühle, es ist mit Tanzen verbunden, mit sich gehen lassen, mit Rausch. Wer tanzt, will abschalten. Das kann man nicht vergleichen.

Die Leute, die an ein Heimweh-Konzert kommen, sind also nicht unbedingt die gleichen, die vor dem DJ-Pult abtanzen.
In der Tat, das wird zu 99 Prozent nicht der Fall sein.

Georg Schlunegger hat sich nun bereits wieder von der Bühne zurückgezogen. Ist das Erfolgsmodell gefährdet?
Nein. Ich verstehe Georg, er will seiner Familie mehr Raum geben. Er ist jetzt einfach verstärkt im Hintergrund aktiv.

Interessierte können sich melden um mitzusingen. Was müssen sie mitbringen?
So genau weiss ich das nicht einmal, dafür bin ich nicht zuständig. Das macht Hitmill.

Letzte Frage: Könnten Sie sich dafür einsetzen, dass Heimweh keine Rumpelstilz-Klassiker mehr für die Titel benutzt?
Das verstehe ich jetzt nicht...

Bei Heimweh geht es auch um «Rosmarie» und «Rote Wy». Diese Rumpelstilz-Lieder sind Klassiker der Schweizer Popgeschichte, «D’Rosmarie und i» ist einer der besten Schweizer Songs überhaupt. Ich sehe es kritisch, wenn Heimweh die selben Titel benutzen.
Ach so. Da müssen Sie mit Georg Schlunegger reden, er ist dafür verantwortlich, da kann ich nichts machen (lacht).

 

Heimatfeeling für Agglobewohner
tg. Schluneggers Heimweh sind die Überflieger der Stunde. An den Swiss Music Awards hat die Gruppe gleich zwei Preise abgeräumt, seit 24 Wochen hält sich das Debütalbum vorne in der Hitparade. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von Georg Schlunegger, Komponist, Produzent und Mitbesitzer der Produktionsfirma Hitmill, die für viele erfolgreiche Schweizer Produktionen verantwortlich zeichnet (und auch schon den Seeländer George zum «Buuregiel» machte). Heimweh bieten mit perfekt produziertem volkstümlichem Schlagerpop inklusive dezentem Jodeln jene Bilder, die sich konservative Agglobewohner unter dem reinen Alpenleben vorstellen: Am Abend jodeln die Bergbauern gemeinsam dem Sonnenuntergang entgegen, in die Stadt gehen sie bloss, wenn sie durch die Arbeitssuche dazu gezwungen sind, Liebe und Treue zu Familie und Vaterland stehen über allem und nirgends ist es schöner als hier. Erfunden worden ist das in Zürich, wo der Grindelwalder Schlunegger die «mystischen» Berge vermisst.
Info: Schluneggers Heimweh:«Heimweh» (Phonag). Live heute Abend in der Seelandhalle, Lyss.

 

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