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Büren

Kinderlosigkeit
künstlerisch verarbeiten

Für Beatrice de Wit-Messerli ist die Kreation von Quilts mehr als ein Hobby. Die Kauffrau und Künstlerin verarbeitet bei dieser Tätigkeit die Herausforderungen, die das Leben ihr stellt.

Beatrice de Wit-Messerli neben den Quiltröcken, die sie zur Verarbeitung ihrer Gefühle herstellte. Bild: Matthias Käser
  • Dossier

Aufgezeichnet: Daniela Deck

Meine Gefühle fliessen in die Quilts. Entdeckt habe ich dieses Kunsthandwerk, als ich mit 20 Jahren als Au-Pair nach Kanada ging. Die Textur des Stoffes, die Farben, die Technik - es war Faszination auf den ersten Blick. Ich habe Kurse besucht, um das Quilten zu lernen. So habe ich das Fundament gelegt für meine Kunstwerkstatt Batice. Heute bin ich mit ihr in dem renovierten Haus in Büren daheim, das seit Generationen in den Händen der Familie ist.

Den Namen «Batice» habe ich von meinen Nichten. Als sie kleine Kinder waren, war «Beatrice» für sie zu kompliziert. So haben sie «Batice» zu mir gesagt. Ich wusste sofort: Das ist es, unter diesem Namen soll meine Welt der Quilts unterwegs sein.

Bezogen auf mein Kunsthandwerk müsste der Text eigentlich mit «Mein Freitag» überschrieben sein. Denn diesen Tag widme ich dem Quilten. Den Rest der Arbeitswoche bin ich im Büro. Die Zeit im Homeoffice hat mir ungeahnte Freiheiten beschert. Schliesslich muss ich von der Wohnung zum Atelier zwar an die frische Luft, auf eine Aussentreppe, aber ich brauche nicht das Haus zu verlassen. Stoffe, Fäden und Vlies, die Grundbestandteile des Quilts, habe ich entweder noch auf Vorrat oder ich lasse sie mir liefern.

Grundsätzlich bin ich die geborene Globetrotterin. Neben meinem Beruf als Kauffrau respektive als Direktionsassistentin, den ich sehr schätze, habe ich geografisch immer die Horizonterweiterung und den Tapetenwechsel gesucht. So habe ich als junge Frau angefangen, als Reiseleiterin zu arbeiten. Mit den Reisegruppen habe ich mich auf den Spuren der Kultur bewegt und den lokalen Quilt- und Handwerkstraditionen nachgespürt. So habe ich in den Anden Frauen über die Schulter geschaut, die mit Velospeichen stricken. Die Dorfgemeinschaften sind so arm, dass sie sich keine Stricknadeln leisten können. Aber das ist kein Grund, auf Kunsthandwerk zu verzichten. Das hat mich inspiriert.

Auf einer dieser Reisen habe ich auf Mallorca meinen Mann kennengelernt. Ich wollte ein wenig Abstand von der Gruppe und dachte, dass ich im englischen Pub ungestört sein würde. Das stimmte, doch da war dieser interessante Holländer. So habe ich neben Deutsch, Französisch, Englisch und Spanisch in kurzer Zeit noch Holländisch gelernt. Ich bin zu ihm gezogen, nach Dordrecht, in der Nähe von Rotterdam.

Meine Quilts, die Stoffe und Nähmaschinen, sind mitgekommen. Man könnte auch sagen, der grösste Teil der Quilts ist dort erst geboren worden. Sieben Jahre lang arbeitete ich im Rotterdamer Hafen in der Administration. Da genügte der Blick aus dem Fenster, um die ganze Welt zu sehen, die in Form der Schiffe zu uns kam. Es war eine wunderbare Zeit.

Wir stammen beide aus Grossfamilien. So war für uns gleich klar, dass wir eine grosse Familie wollen. Doch es gab keine Kinder. 33-jährig, erkrankte ich an Brustkrebs. Vielleicht war das eine Folge der jahrelangen Hormontherapie der Fruchtbarkeitsbehandlung. Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass ich diesen Krebs hatte, Bestrahlung brauchte und mit der Ungewissheit und Angst fertig werden musste. So habe eine spezielle Quiltserie begonnen, um meine Gefühle zu verarbeiten, und 2011 darüber ein Buch geschrieben, auf Holländisch. Vom schweren Quilt über den (ein-)geschlossenen, zum fremden ging die Erfahrungsreise bis hin zum Quilt der Wiedergeburt.

Ich habe mich erholt, vom Krebs und psychisch. Wir sind in die Schweiz gezügelt, nach Bern. In dieser Zeit habe ich mich beruflich wieder fit gemacht, mit Weiterbildungen. Nur schon für meine Selbstachtung war es wichtig, dass ich auf der kaufmännischen Schiene ernsthaft und sorgfältig an meiner Karriere arbeitete. Dann ging die Ehe in die Brüche. Wir tragen einander nichts nach, und zu meiner holländischen Familie habe ich weiterhin engen Kontakt. Aber damit war ein Lebensabschnitt zu Ende. Dem musste ich mich stellen.

Stellen wollte ich mich – endlich – auch meiner Kinderlosigkeit. Dafür habe ich nicht einfach eine neue Serie herkömmlicher Quilts in Form von Decken entworfen, sondern ein Reigen von Quiltröcken. Meine älteste Nichte ist mein Model. Sie weiss, wie man sich auf dem Laufsteg bewegt. Wenn diese Röckeserie fertig ist, wahrscheinlich diesen Sommer, will ich damit eine Modenschau machen. Dabei sollen die Röcke von einer Balletttänzerin begleitet werden, die dazu die Gefühle des Rockes zwischen den Models zeigt und diese in den Tanz einbezieht.

Bei den Röcken arbeite ich mit Knöpfen, die ich teils mit der Maschine, teils von Hand annähe. Aus verschiedenen Quellen, aus einem Nachlass und an Messen, konnte ich mir unterschiedliche Knöpfe sichern, vom Horn- bis zum Kunststoffknopf. Die ersten zehn Röcke der Serie tragen je drei Knöpfe – Mutter, Vater und Kind. Vom elften Rock an sind es nur noch zwei Knöpfe – die beiden Partner, die sich damit abfinden, dass von ihnen keine Familie ausgeht. Ab dem 17. Rock ist es nur noch ein Knopf – das bin ich. Neben den Farben spiele ich mit den Schnitten. Je mehr die Trauer und die Wut auf das Schicksal wachsen, desto enger wird der Schnitt. Als der Tiefpunkt erreicht ist, ist der Rock so eng, dass meine Nichte sich darin kaum mehr bewegen kann. Diesen Rock anzuziehen, ist für sie eine echte Herausforderung, aber sie macht das sehr geschickt.

Dann die Befreiung. Die Talsohle ist durchquert, es geht aufwärts. Die nächsten Röcke feiern die Entdeckung neuer Freiräume. Da überwiegt Bling-Bling. Dann gewinnt die Verantwortung für das eigene Leben wieder Oberhand. Man wird fokussierter. Ich werde fokussierter, neue Wege öffnen sich, aus Enttäuschung und Traurigkeit entstehen wieder Lebensfreude, Glück und Zufriedenheit.

Früher habe ich Quilts auf Bestellung gemacht. Diese Serien zur Verarbeitung des Schicksals mache ich für mich selbst. Die Quilt-Society nimmt dennoch rege Anteil daran. Die Modenschau möchte ich auf Quiltmessen in der Schweiz oder Europa präsentieren und vielleicht schaffe ich es wieder nach Houston, Texas, wo ich 2014 schon die erste Quiltserie ausstellen durfte.

Hier in der Schweiz gibt es auch eine Quiltszene. Weltweit gesehen, besonders in den USA, ist es ein milliardenschwerer Wirtschaftszweig. Ich möchte mit meinen Quiltröcken betroffenen Frauen und Männern Mut machen, das Tabuthema Kinderlosigkeit anzugehen. Zum Quilten als Hobby halte ich schon seit Jahren Vorträge. Die Verarbeitung der Kinderlosigkeit lässt sich damit vollkommen natürlich verknüpfen. Andere greifen zur Verarbeitung ihrer Gefühle vielleicht zum Pinsel oder sie schreiben ein Buch. Da gibt es unzählige Möglichkeiten. Wichtig ist, dass man die Gefühle nicht verdrängt.

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