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Weihnachtskarten

Mit lieben Grüssen

Der Bürener Ulrich Gribi besitzt unzählige Postkarten. Weihnachtskarten sind ein Schwerpunkt seiner Sammlung. Sie werden das BT durch den Advent begleiten – mit lieblichen, bisweilen aber auch irritierenden Sujets.

Ulrich Gribi verschickt selber nur noch selbstgestaltete Weihnachtskarten. Bild: Lee Knipp
  • Dossier

Tobias Graden

Heute, sagt Ulrich Gribi, heute verschicke man ja nicht mehr so oft Weihnachtskarten, auch kaum mehr Ansichtskarten, weil heute knipse man alles rasch mit dem Handy, ein kurzer Moment und fertig ist das Bild, es verschwindet im digitalen Speichern unter all den anderen Bildern.

Früher war das anders, gerade in der Adventszeit. Das Früher hat Ulrich Gribi in seiner Sammlung von Ansichtskarten verstaut. In zahleichen Ordnern hat er unzählige Ansichtskarten archiviert, aus verschiedenen Zeiten und verschiedenen Ländern. Schon nur ein kurzer Blick zeigt: Da lagert ein reicher Bilderschatz, dessen einzelne Elemente stets auch etwas über ihre Entstehungszeit aussagen. Und dessen Bilder oft eine – mithin politische, je nach historischen Umständen propagandistische – Aussage mittransportierten, die über das eigentliche Sujet hinausgeht.

 

Als Kinder Wein tranken

Dabei war das Weihnachtskartenwesen nach seiner Erfindung rasch einmal schlicht ein lukrativer Markt. Die erste Weihnachtskarte wird dem britischen Künstler John Calcott Horsley zugeschrieben, der 1843 im Auftrag des späteren Gründers des Victora & Albert Museums, Sir Henry Cole, das Sujet gestaltete. Horsley liess sich zwar von der Komposition eines christlichen Altarbildes inspirieren, doch zeigte die Karte nicht etwa ein religiöses Motiv, sondern eine bürgerliche Familie beim festlichen Essen. Dabei tranken selbst die Kinder Wein, was für einen kleinen Skandal sorgte. Der Schriftzug mit den Worten «A Merry Christmas and a Happy New Year» vermochte nicht alle Gemüter zu besänftigen. Gleichwohl: Die 1000 handkolorierte Karten, die Cole anfertigen liess, waren trotz ihres damals horrenden Preises von einem Shilling – damit konnte man sich ein ganzes Abendessen kaufen – keine Ladenhüter. Noch existierende Exemplare dieser Karte werden unter Sammlern heute zu hohen Preisen gehandelt. 2001 erzielte eine solche Karte einen Preis von 22 500 Pfund. In der Sammlung von Ulrich Gribi fehlt sie noch.

Das Verschicken von Grusskarten ist allerdings deutlich älter. Die älteste bekannte Grusskarte findet sich im Bestand des British Museum. Es handelt sich um eine Valentinskarte aus dem 15. Jahrhundert.

 

Millionenfach Wünsche

Bald einmal waren die Weihnachtskarten in den vorweihnächtlichen Gebräuchen in Europa und auch in den USA jedenfalls fest etabliert. Unzählige Menschen verschickten ihren nahen und fernen Bekannten Weihnachtsgrüsse, und die Druckindustrie verdiente damit gutes Geld. Die Erfindung der Briefmarke kurz zuvor und die damit einhergehende Rationalisierung des Postwesens erleichterten den Versand von Karten auch über Landesgrenzen hinweg.

Auch die Drucktechnologie macht Fortschritte. Louis Prang druckte in Boston im Jahr 1874 die ersten Weihnachtskarten auf US-amerikanischem Boden, schon wenige Jahre später lag seine Auflage bei fünf Millionen Stück pro Jahr. Um eine Vielfalt der Sujets anbieten zu können, veranstaltete er künstlerische Wettbewerbe zur Gestaltung der Karten.

Kein Wunder, nennt Sammler Ulrich Gribi die Weihnachtskarten ein «einzigartiges Kulturgut». Wenn er seine Sammlung zeigt und durch die Alben blättert, sagt er alle paar Sekunden: «Hier ist auch noch eine sehr schöne.» Ohnehin hat der pensionierte Bankfachmann ein Flair für Kunst und Ästhetik: Der Umschwung seines direkt an der Aare gelegenen Hauses ist komplett nach den Prinzipien der japanischen Gärten gestaltet, im Haus selber hängt an jeder Wand Kunst, Skulpturen sind geschmackssicher platziert, hinzu kommen zahlreiche Dekorationsartikel. Der Bürener ist lokalhistorisch bewandert, er ist leidenschaftlicher Fotograf und hat schon mehrere Bücher veröffentlicht, etwa einen Bildband über den aufgehobenen Oldtimerfriedhof in Kaufdorf oder über das Häftli. Teile seiner Postkartensammlung sind schon mehrfach ausgestellt worden, etwa aus Anlass des 100-Jahr-Jubiläums der Zimmerwalder Konferenz. Auch aus dieser Sammlung soll dereinst noch ein Buch entstehen.

 

Hochblüte im Jugendstil

Besonders angetan hat es Gribi der Jugendstil, der sämtliche Bereiche des Lebens nach künstlerischen Kriterien zu gestalten trachtete – und damit auch die Weihnachtskarten. Während manche Sujets von Weihnachtskarten aus heutiger Sicht kitschig wirken oder sich in Darstellungen von Krippenszenen oder bescherenden Weihnachtsmännern auch ähneln, so haben die Künstler des Jugendstils auch die Weihnachtskarten zu Kunstwerken gemacht. Gribi bezeichnet denn auch die Phase von 1900 bis 1920 als Hochblüte der Weihnachtskartengestaltung, als selbst bekannte Künstler solche Karten illustrierten. Zum Beispiel Ernst Ludwig Kirchner – eine von ihm geschaffene Serie gehört zu Gribis Lieblingen in der ganzen Sammlung.

An den Weihnachtskarten lässt sich aber nicht nur bisweilen die Kunstgeschichte nachvollziehen, sondern auch die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie die grossen politischen Entwicklungen. So wird beispielsweise klar, dass das Feiern von Weihnachten mit Geschenken und festlichem Essen, wie es auf den Karten abgebildet war, in seiner Üppigkeit der bürgerlichen Schicht vorbehalten war. Armen Kindern blieb, wie auf einer Karte festgehalten, der sehnsüchtige Blick von der Strasse durch das Fenster in die hell erleuchtete Stube hinein.

 

Weihnachten und Wehrwille

Eine besondere Funktion kam den Weihnachtskarten dann in Kriegszeiten zu. Wenn ein Schweizer Soldat im Zweiten Weltkrieg Weihnachtsgrüsse vom Grenzwachtdienst nach Hause schickte, tat er dies mit einer Karte, die nicht nur eine Krippenszene und einen Tannenbaum mit Schweizer Kreuz zeigte, sondern auch ihn selber, wie er in wehrhafter Haltung in den Alpen steht und den Feind im Blick behält. Den Wehr- und Durchhaltewillen propagierte eine englische Karte aus dieser Zeit, auf der Winston Churchill mit den Worten «We shall never stop, never weary, and never give in» zitiert und auf der als Sujet ein jämmerlich frierender Adolf Hitler abgebildet ist. In Deutschland inszenierte sich selbiger auf Weihnachtskarten als gütiger Onkel der Nation, der zwei braven Mädels Geschenke überreicht. Derweil versandten Wehrmachtssoldaten «Weihnachtsgrüsse aus Russland». Das Sujet zeigt einen Mann in weiter Landschaft, am Himmel leuchtet der Weihnachtsstern – die klare, aufgeräumte Grafik verkehrt die verheerende Lage an der Ostfront in das Gegenteil einer winterlichen Idylle. Neu war eine solche Beschönigung der Verhältnisse nicht: Weihnachtskarten aus dem Ersten Weltkrieg verniedlichten und infantilisierten die Menschheitskatastrophe in den Schützengraben, wenn die den Kanonen zum Frass vorgeworfenen Soldaten als Kinder gestaltet werden, die sich über den Besuch des Weihnachtsmanns freuen.

In der Sowjetunion ging es mit der Weihnachts- respektive Neujahrskarte als Propagandamittel nach dem Krieg weiter. Besonders in der Zeit um 1960 konnten diese Karten nicht aufwändig genug gestaltet sein: Den zwischenzeitlichen Triumph im Wettrennen im All feierte die Propaganda dergestalt, dass auch Väterchen Frost nicht mehr nur auf seinen Schlitten, sondern auch auf Satelliten und Raketen setzt.

 

Ein Pin-up der Seventies

Aus heutigen Weihnachtskarten ist solche Propaganda verschwunden, allerdings sind auch die Vielfalt und der Gestaltungswille Vergangenheit. Wenn Ulrich Gribi welche verschickt, so hat er diese mit Familienmotiven selber gestaltet. Neuere Karten sind für ihn jedenfalls nicht mehr des Sammelns wert, jüngere als jene mit dem als Santa Claus verkleideten Pin-up-Girl aus den 70er-Jahren hat er nicht. Am liebsten aber blättert er in einem seiner vielen Alben 100 Jahre zurück und erfreut sich an den Sujets aus einer Zeit, als auch ein millionenfach verwendeter Gebrauchsartikel wie eine Weihnachtskarte noch mit höchster künstlerischer Sorgfalt gestaltet wurde.

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