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Hochwasser

Regierungsrat lässt Geschädigte im Stich

Geschädigte müssen selber schauen, wie sie mit den Risiken von Hochwasser umgehen. So lautet die Kurzfassung der Antwort des Regierungsrats auf die Motion von drei Die-Mitte-Grossratsmitgliedern. Diese wollen nun selber aktiv werden.

Wasser so weit das Auge reicht im Juli auf dem Bieler Strandboden. Raphael Schaefer/A
von Brigitte Jeckelmann
Christine Bühler ist enttäuscht. Sie hatte sich auf ihre Motion zum Hochwasser im letzten Sommer vom Regierungsrat mehr erhofft als vier vollgeschriebene Seiten ohne konkrete Antworten. Dabei hatten die Grossrätin aus dem bernjurassischen Romont und ihre beiden Mitstreiter Peter Gerber und Andreas Mühlemann (alle Die Mitte)  der Regierung im letzten September drei klare Aufträge erteilt: Was für Möglichkeiten gibt es, mit Hochwasserschäden, die man nicht versichern kann, umzugehen? Wie soll man Schäden handhaben, die als Folge der Regulierung der Jurarandseen entstanden sind, um die Ober- und Unterlieger zu schonen? Zudem verlangten die Motionäre, das Reglement zur Steuerung des Abflusses beim Wehr in Port anzupassen. 
Nachdem es im Juli wochenlang fast pausenlos und in der ganzen Schweiz geregnet hatte, erreichte der Pegelstand des Bielersees einen neuen Rekordwert. Wasser strömte vom Berner Oberland ins Seeland, überschwemmte Häuser und Kulturland und richtete Schäden im zweistelligen Millionenbereich an - die teilweise von den Versicherungen nicht gedeckt sind. Darunter fallen jene Schäden, die durch steigendes Grundwasser entstehen, wie es im Seeland der Fall war (siehe Zweittext). 
 
Solidarität überstrapaziert
Ein zentraler Punkt für die Motionäre ist die Regulierung der drei Jurarandseen: Ihrer Ansicht nach besteht mit Blick auf den Klimawandel und künftig mehr solcher Ereignisse Bedarf, diese zumindest einer Prüfung zu unterziehen. Zwar ist sich Christine Bühler bewusst, dass es für das zuständige kantonale Amt für Wasser und Abfall eine schwierige Aufgabe ist, anfallendes Hochwasser auf die Kantone Bern, Freiburg, Solothurn, Neuenburg und Waadt gerecht zu verteilen. 
Dreh- und Angelpunkt dabei ist das Wehr in Port, das die Abflussmengen aus dem Bielersee reguliert. Massgebend ist ein Reglement, das alle fünf Kantone unterzeichnet haben. In Port hatte sich im Sommer letztlich entschieden, wie viel Wasser im Seeland liegen blieb. Für Christine Bühler ist klar: Die Solidarität hat Grenzen. Geschädigte Landwirte und Liegenschaftsbesitzer würden in solchen Situationen allein gelassen. «Diese Situation ist unbefriedigend», sagt sie und spricht von einem «staatlich verordneten Hochwasser im Interesse anderer». 
Dem widerspricht der Regierungsrat. In seiner Antwort beruft er sich auf die gesetzlichen Bestimmungen für Versicherungen und verweist auf ein entsprechendes Bundesgerichtsurteil aus dem Jahr 2007. Zudem hält er fest, dass man solche nicht versicherbaren Schäden von Privatversicherern abdecken lassen kann. Bliebe noch, den Geltungsbereich für Elementarschäden zu erweitern. Doch das hält der Regierungsrat unter Verweis auf die bisher erfolglosen Versuche, Erdbeben mit einzuschliessen, für chancenlos. 
Dies führt den Regierungsrat zum Schluss: kein Handlungsbedarf. Dasselbe gilt für jene Schäden, die als Folge der Regulierung entstanden sind, weil nach Ansicht der Motionäre zu viel Wasser in Port zurückgehalten wurde. Die Frage nach einer Entschädigung stelle sich erst, «wenn der Regulierdienst nicht pflichtgemäss gehandelt hat», schreibt der Regierungsrat. Dieser habe aber im Rahmen der Vorschriften gehandelt. Die Schäden seien eine Folge der heftigen Niederschläge und nicht der Regulierung. 
Künftig sei mit mehr solchen Ereignissen wie jenem im Sommer zu rechnen. Damit müssten sich alle auseinandersetzen; sowohl private Seeanstösser als auch Gemeinden und Kantone. Vorbeugende Massnahmen planerischer Art sowie an Gebäuden hält der Regierungsrat für am wirksamsten, um sich gegen Hochwasser zu wappnen. 
 
Ergebnis der Analyse Ende Jahr
Einzig weiterverfolgen würde die Regierung den Punkt in der Motion, bei dem es darum geht, das Regulierreglement anzupassen, wie es auch schon früher gemacht worden war. So wurde nach dem Hochwasser im Jahr 2007 die Prognoseregulierung eingeführt - anhand der Wetterprognosen wird der Seepegel abgesenkt, bevor der Regen fällt. Dazu braucht es aber erst eine umfassende Analyse des Ereignisses. Diese würden der Bund und die beteiligten Kantone gemeinsam vornehmen. Über Änderungen in der Regulierung würde man in diesem Rahmen diskutieren. Das Ergebnis der Analyse stellt das kantonale Amt für Wasser und Abfall auf Ende Jahr in Aussicht. 
Das ist für Christine Bühler kein Trost: «Ich hätte erwartet, dass der Regierungsrat Lösungsansätze aufzeigt.» Doch stattdessen winde sich die Regierung und verweise bei der Versicherungsfrage auf Alternativen, die bereits jetzt in genügendem Ausmass zur Verfügung stünden. Die Motionäre fühlen sich vom Kanton zu wenig ernst genommen. Dabei ist nach Ansicht von Christine Bühler keine Zeit zu verlieren. Denn das nächste Hochwasser kann jederzeit eintreffen. 
Seeländer Grossrätinnen und Grossräte wollen nicht tatenlos herumsitzen, bis es so weit ist. Ein gutes Dutzend von ihnen hat sich in einer überparteilichen Gruppe zusammengetan, um selber nach Lösungen zu suchen. Einer von ihnen ist der Bieler Christoph Grupp (Grüne). Zwar könne er die Antworten des Regierungsrats nachvollziehen. Dennoch bestehe dringender Handlungsbedarf. In welche Richtung das Engagement der Gruppe von Grossrätinnen und Grossräte genau zielt, kann Grupp noch nicht sagen. Man habe sich erst einmal getroffen. Als Nächstes werde man gemeinsam eine Auslegeordnung vornehmen und versuchen herauszufinden, was an Verbesserungen überhaupt möglich ist. 
 
Reglement ist ein Kompromiss
Das kantonale Amt für Wasser und Abfall (Awa) äussert sich via Medienstelle der Bau-, Verkehrs-, und Energiedirektion zu den Vorwürfen: Bei einem Treffen Ende letzten Jahres seien Vertreter der Kantone Freiburg, Waadt, Neuenburg, Bern und Solothurn sowie dem Kanton Aargau zum Schluss gekommen: Die Regulierung der Jurarandseen erfolgte gemäss dem geltenden Reglement. Während das Hochwasser vom August 2007 bei den Unterliegern zu Unzufriedenheit und grossen Schäden geführt habe, seien beim Hochwasser vom letzten Sommer die Anstösser der Jurarandseen stärker betroffen gewesen. Ein Regulierreglement sei aber immer ein Kompromiss, denn die ideale Lösung für alle Betroffenen und für jedes Hochwasser gebe es nicht. 
Zu reden gab auch eine Panne beim Hochwasser-Entlastungsstollen in Thun Anfang Juli: Das Tor beim Auslauf klemmte und liess sich nicht mehr komplett schliessen. Es floss also mehr Wasser die Aare hinunter, als wenn sich das Tor vollständig hätte schliessen lassen. Dies hatte laut dem Awa aber keinen Einfluss auf die Wasserstände im Seeland, das hätten Nachrechnungen ergeben. Die Jurarandseen wären auch mit intaktem Stollen auf die gleich hohen Pegelstände angestiegen. 
Inzwischen ist auch die Ursache für das defekte Tor geklärt: Schrauben bei den seitlichen Führungsrollen hatten sich gelockert. Dies sei vermutlich durch die Erschütterungen ausgelöst worden, denen das Tor ausgesetzt ist, wenn die Wassermengen durch den Stollen fliessen. Der Mangel sei behoben, am Stollen würden während des Winters zudem Verbesserungen vorgenommen. 
 
Versichern wäre möglich
Auf Anfrage nimmt der verantwortliche Regierungsrat der Bau-, Verkehrs-, und Energiedirektion, Christoph Neuhaus (SVP), persönlich Stellung: Die Enttäuschung der Motionäre dürfe nicht allzu tief gehen, denn in der Antwort stehe, dass mit ganz wenigen Ausnahmen alles versicherbar gewesen wäre. Allerdings hätten Private dann für die Prämie in die eigene Tasche greifen müssen. Und dass man die Regulierung in dem Sinn anpasse, dass unbesehen die Unterlieger geflutet werden, dürfte auch nicht im Sinn der Motionäre sein. Einerseits habe man im Sommer über einen längeren Zeitraum bereits 100 Kubikmeter mehr pro Sekunde in den Nidau-Büren-Kanal abgelassen, andererseits werde das Reglement laufend angepasst. 
Neuhaus: «Aber für die Wetterkapriolen nun den Kanton in die Verantwortung nehmen zu wollen, das geht gar nicht.»
 
Versicherungen gegen Grundwasser
Grundwasser kann durch undichte Gebäudehüllen oder einen Leitungsdruchbruch in ein Gebäude dringen. Laut Linda Zampieri von der Gebäudeversicherung Bern (GVB) macht eine entsprechende Versicherung Sinn. Diese werde von allen grösseren Versicherungsgesellschaften angeboten. Auch von der GVB Aqua, der Tochtergesellschaft der GVB Privatversicherungen AG. Ihre Wasserversicherung deckt gemäss Zampieri Wasserschäden jeglicher Art, sofern eine intakte Gebäudehülle besteht. 
Wie viel eine Wasserversicherung jährlich kostet, ist unterschiedlich, wie Zampieri erläutert. Für ein Einfamilienhaus mit Baujahr 1980 ohne Vorschäden, mit einer Versicherungssumme von 650’000 Franken und einem Selbstbehalt von 200 Franken beläuft sich die jährliche Prämie bei der GVB Privatversicherungen AG auf 246 Franken. 
Auch die Landwirtschaft hat unter dem Hochwasser gelitten; zahlreiche Felder standen unter Wasser, die Kulturen ertranken regelrecht. Die Schweizer Hagelversicherung hat nach Auskunft von Mediensprecherin Esther Böhler letztes Jahr in der Region Seeland insgesamt 5,4 Millionen Franken für versicherte Schäden durch Überschwemmung ausbezahlt. Im Vergleich zu Vorjahren sei diese Summe ausserordentlich hoch. Wie Böhler ausführt, können alle Kulturen gegen Überschwemmung versichert werden. Als Überschwemmungsschaden gilt, wenn das Wasser mehrheitlich von aussen zugeflossen ist. Schäden durch liegengebliebenes Regenwasser, Grundwasser, Bodensenkungen, fehlende oder ungenügende Drainage sind dagegen nicht eingeschlossen. Durch eine erweiterte Deckung können jedoch Schäden an Kartoffeln und Zuckerrüben verursacht durch verbleibendes Wasser oder durch Rückstau in Drainagen versichert werden. bjg

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