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Titelgeschichte

Seltene Sängerknaben

Einst war die Feldlerche das akustische Erkennungsmerkmal des Grossen Mooses. Jetzt ist der Lebensraum des Vogels des Jahres gefährdet.

Feldlerchen-Männchen sind äusserst ausdauernde Sänger. Wer sie hört, muss sie teils weit oben in den Lüften suchen, wo sie ihr Revier verteidigen. Bild: zvg/Beat Rüegger

Diese eine Freundin, die man nach längerer Zeit wieder trifft und die einem atemlos jedes erlebte Detail der letzten Monate erzählt: Das ist die Feldlerche. Wobei das Geschlechterklischee sogleich durchbrochen wird. Besonders geschwätzig ist nämlich das Männchen, das fünf bis 15 Minuten lang ununterbrochen im Flug trillert und dabei sein Revier markiert. Jetzt, Anfang Februar, kann man den charakteristischen Gesang bereits teilweise hören. Im Juli, nach beendeter Balz und Aufzucht der Jungen, verstummen die Vögel langsam.

Paul Mosimann aus Ins ist im Grossen Moos aufgewachsen. Für ihn ist die Feldlerche ein «akustischer Begleiter eines Frühlingstags im Grossen Moos». Der Biologe, der sich mit seinem Ökobüro für Artenschutz und -förderung einsetzt, weiss aber auch: Diese Geräuschkulisse ist in Gefahr. Nicht umsonst ist die Feldlerche von Birdlife Schweiz zum Vogel des Jahres erkoren worden.

 

Sie beeilen sich mit der Aufzucht, und trotzdem reicht es oft nicht

Die Feldlerche ist etwas grösser als ein Spatz, unauffällig braun-gesprenkelt und stellt bei Aufregung ihre Haube auf. Spannend ist es, die Männchen auf ihren Singflügen zu beobachten. Teilweise fliegen sie bis zu 100 Meter hoch, sodass man sehr gute Augen oder ein Fernglas benötigt, um sie überhaupt zu erkennen. Ist die Darbietung zu Ende, stürzen sie sich wie ein Stein zu Boden und bremsen erst kurz vorher ab.

Zum Verhängnis wird dem Vogel sein Brutverhalten, er ist nämlich ein sogenannter Bodenbrüter. Er baut sein Nest also versteckt am Boden in sogenannt offenen Lebensräumen wie kleinparzelligen Äckern und Wiesen. Das birgt nicht nur die Gefahr, dass der Nachwuchs Fressfeinden zum Opfer fällt, sondern auch dem Menschen und dessen intensiver Landwirtschaft. Obwohl junge Feldlerchen bereits nach sieben bis zwölf Tagen – und damit so rasch wie sonst kaum ein Singvogel – ihr Nest verlassen, reicht es oft nicht zum Überleben.

Paul Mosimann hat in den 80er-Jahren erstmals Feldlerchen-Bestandesaufnahmen im Grossen Moos gemacht und 20 Jahre später die Erhebungen wiederholt. Das Ergebnis war erschreckend: Der Feldlerchenbestand ist in dieser Zeit um rund die Hälfte zurückgegangen. Im schweizweiten Vergleich steht das Grosse Moos aber noch einigermassen gut da: Weiter östlich ist die Feldlerche teilweise bereits komplett verschwunden, und am besten geht es ihr laut Mosimann weiter westlich, zum Beispiel in der Orbe-Ebene. Je westlicher, desto wärmer und trockener und desto mehr Insekten gebe es, die Vögeln als Nahrung dienten. Und: «Wo Ackerbau betrieben wird, findet sich meistens trotz intensivem Anbau eine Nische, in der die Feldlerche brüten kann.» Schwierig werde es auf intensiven Grünlandflächen, auf denen die Vegetation zu dicht sei und das Gras gemäht werde, ehe die Vögel flügge geworden sind.

 

Forschende tüfteln in Witzwil und Bellechasse

Was der Feldlerche hilft:bewusst kleinstrukturiertes Gelände, weniger Pestizideinsatz, breitere Wegränder, grössere zeitliche Abstände zwischen den Schnittterminen und das Anlegen von Biodiversitätsförderflächen wie Buntbrachen oder Ackerschonstreifen. Letztere seien bei Landwirten aber unbeliebt, weil sie sich vor Problempflanzen fürchteten, sagt Paul Mosimann: «Vielen ist zu wenig bewusst, dass Buntbrachen anfangs viel Pflege brauchen.» Im Grossen Moos dominiert zudem der Gemüseanbau, in dem die Direktzahlungsverordnung nur einen halb so grossen Anteil an Ausgleichsflächen fordert wie im Ackerbau. 

Hoffnung schöpft der Biologe und Vogelfreund in Experimenten wie der Weitsaat: Dabei lassen Bauern bei der Ansaat von Getreide bewusst einzelne Reihen frei. Die Vogelwarte Sempach betreibt zusammen mit der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL seit 2018 ein Forschungsprojekt auf den Feldern der Strafanstalten Witzwil und Bellechasse. Mosimann wiederum ist in ein Feldlerchen-Förderprojekt in Grossaffoltern und im Limpachtal involviert. Er sagt: «Zum Beispiel mit Weitsaat kann man ohne grossen Aufwand etwas für die Biodiversität tun, und die Landwirte müssen keinen grossen Ertragsausfall hinnehmen.» Eine andere Möglichkeit ist das Säen einer Untersaat, zum Beispiel im Mais. 

«Wo Ackerbau betrieben wird, gibt es für die Feldlerche noch Hoffnung», schliesst Paul Mosimann. Das schlimmste, was ihm passieren könnte:An einem Frühlingstag durchs Grosse Moos zu spazieren und keine einzige Feldlerche zu hören. Er hofft, dass er das nie erleben muss. Froh, die Feldlerche nicht zu hören, waren einst nur Romeo und Julia, weil das ihnen ein paar weitere gemeinsame Stunden bescherte. Wie schrieb doch William Shakespeare: «Es war die Nachtigall und nicht die Lerche, die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang.» Andrea Butorin

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