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Lyss

Stinkende Schönheit, mampfende Gladiatoren

Ein Parcours lädt in Lyss dazu ein, den Wald auf eine neue Art zu entdecken. Noch bis Ende November können dabei Preise gewonnen werden.

«Hoi bei mir»: Wettbewerbstafeln weisen auf die spannende Lebenswelt des Waldes hin. copyright: Lee Knipp

Sarah Zurbuchen

Der Gefleckte Aronstab ist eine schön anzusehende Pflanze, sie hat aber einen für Menschen unangenehmen Geruch nach Urin. Gewisse Insekten hingegen finden das lecker und werden von diesem betörenden Duft angelockt. Mit einer List schafft es die Pflanze, die Tiere über Nacht gefangen zu halten. Immerhin ist die Unterkunft schön warm, nämlich bis zu 25 Grad wärmer als draussen. Und am nächsten Morgen dürfen sie dann auch wieder raus in die Freiheit. Der ganze Aufwand dient der Pflanze dazu, ihren Blütenstaub in der Umgebung zu verteilen.
«Kidnapping mit Happy End» nennt das Bundesamt für Umwelt (Bafu) diesen Krimi. Im Zuge der Kampagne «Waldvielfalt» haben Fachleute einen Parcours mit Wettbewerb entwickelt, bei dem auch der Aronstab zu Ehren kommt. Der Waldrundgang ermuntert an verschiedensten Standorten in der ganzen Schweiz Spaziergängerinnen und -gänger dazu, sich mit den Waldbewohnern zu beschäftigen. Einer dieser Parcours befindet sich in der Hardern in Lyss, zwischen der Waldhütte und dem Bildungszentrum Wald und Forst.


Vorliebe für Süsses
Der Rundgang habe das Ziel, so Adrian Schmutz vom Bafu, auch Menschen anzusprechen, denen Naturschutz und Biodiversität eher fremd seien. Aber auch Kinder und Familien gehörten zur Zielgruppe. Die Auswahl der zwölf Arten, die vorgestellt werden, sei sehr sorgfältig getroffen worden. «Wir haben einen Mix von bekannten Arten wie dem Eichhörnchen und überraschenden Lebewesen wie der Lungenflechte oder dem Aronstab», sagt Schmutz. Auch ganz kleine Exemplare kommen zum Zug, so etwa die Waldameise: «Hoi bei mir, ich fresse Zecken», steht auf einem der zwölf Holzschilder des Parcours. Darauf ist eine Ameise zu sehen und daneben eine Nummer sowie der Link zur Website des Wettbewerbs. Online können die Teilnehmenden die Nummer einer Tier-  oder Pflanzenart zuteilen und erfahren mehr darüber, wahlweise in einem kurzen Text oder einem ausführlicheren Bericht. Rote Waldameisen seien quasi die Kuriere der Bäume und Gräser, heisst es da etwa. «Sie müssen ihre Samen möglichst weit herum im Wald verteilen.» Und weil sie dabei nicht gestört werden wollen, vertreiben sie Störenfriede mit Ameisensäure, die kann ganz schön brennen.
Weil die Waldameisen eine Vorliebe für Süsses haben, halten sie sich ganze Blattlauskolonien. Diese scheiden nämlich den heiss begehrten Honigtau aus, wovon sich die Ameisen ernähren. Teilweise dienen ihnen die Läuse auch direkt als Nahrung. Auch Zecken, Asseln, Spinnen oder Tausendfüssler gehören zu ihrem Speiseplan.


Wert der Wälder
«Wir wollen mit dem Parcours den Wert von Wäldern erlebbar machen», so Adrian Schmutz weiter. Gleichzeitig will das Bundesamt auf das komplexe Zusammenspiel der Lebewesen im Wald aufmerksam machen und aufzeigen, warum sie auch für uns Menschen wichtig sind.
Zum Beispiel die Weisstanne, deren Wurzeln bis zu drei Meter in den Boden gehen. «Sie ist besonders standfest und haut so schnell nichts um. In Gebieten mit Hügeln und Bergen schützen Weisstannen deshalb vor Erdrutsch oder Lawinen», informiert die Website. Darüber hinaus werde ihr Holz geschätzt und sie sei gleichzeitig Nahrungsquelle und Lebensraum für viele Waldbewohner, ist weiter zu lesen.


Käfer mit Babyspeck
Den Lysser Waldparcours hat das Bafu in Zusammenarbeit mit der Waldbesitzerin – der Gemeinde Lyss – , der Försterschule sowie dem Forstbetrieb Lyss realisiert. Kaspar Herrmann ist Lehrer am Bildungszentrum Wald Lyss (BZW)  und zuständig für Themen wie Ökologie und Biodiversität. Er hat zusammen mit seinem Sohn die Holztafeln des Parcours aufgestellt. «Durch den Rundgang werden diese Themen auch in die Bevölkerung hinausgetragen», sagt er. Die Tafeln werden noch bis im Dezember im Wald stehen, danach würden sie in der Försterschule gelagert und bei Bedarf wiederverwendet, etwa wenn es darum geht, die angehenden Förster für Waldführungen zu sensibilisieren. Auf Anfrage könnten auch Lehrerinnen und Lehrer von anderen Schulen die Tafeln nutzen, so Herrmann. Denn die Ausführungen zu den einzelnen Arten eignen sich für Gross und Klein. Ausserdem sind sie in einer zeitgemässen Sprache verfasst und geben manchmal auch Anlass zum Schmunzeln: So werden die Hirschkäfer als «Gladiatoren» bezeichnet, zu ihrem Appetit ist zu lesen: «Was sie als Larven alles wegmampfen, ist unglaublich. Das müssen sie auch, denn wenn sie sich einmal in Käfer verwandelt haben, zehren sie vom Babyspeck.»
Dass gerade die Umgebung rund um das Waldhaus für den Rundgang ausgesucht wurde, ist kein Zufall, wie Revierförster Livio Pedrelli sagt. Von Vorteil sei, dass es dort Parkiermöglichkeiten gibt, um eine unkomplizierte Erreichbarkeit zu ermöglichen. «Ausserdem ist der Bevölkerungsdruck hier eh schon recht gross mit der Waldhütte, der Feuerstelle und dem Vita-Parcours.» Trotzdem sei es ihm ein grosses Anliegen, den Menschen zu vermitteln: Sie befinden sich hier in einem Lebensraum, einem fremden Garten. «Die Leute sind im Wald zu Gast und sollten sich dementsprechend respektvoll verhalten.»

Info: Den Wettbewerb finden Sie unter www.wald-vielfalt.ch/walderlebnis/spiel-im-wald. Letzte Teilnahmemöglichkeit ist der 30. November.

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