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Aarberg

Treffen sich ein SPler und ein SVPler

Ein Altjahrsgespräch mit Samuel Gauler (SP) und Peter Ryser (SVP), die beide in Aarberg als Gemeinderäte ungewöhnliche Rollen einnahmen: Der Rechte engagierte sich im Sozialen, der Linke sorgte für Ruhe und Ordnung.

Sie lassen Aarberg hinter sich – und gehen mit einem Lachen: Peter Ryser (SVP, links) und Samuel Gauler (SP, rechts). Daniel Müller

Samuel Gauler, schliesst sich mit Ihrem Rücktritt ein Kreis?

Samuel Gauler: Das ist richtig. Vor 40 Jahren habe ich meine politische Karriere in Aarberg mit einem Kommissionssitz begonnen.

Wie fühlt man sich, ein 40 Jahre langes Kapitel ad acta zu legen?

Samuel Gauler: Ich habe ein gutes Gefühl. Ich konnte mich vorbereiten und mit einem Alter von 68 Jahren ist das wunderbar. Gut, anderswo fängt man mit 70 noch an und wird Staatspräsident (schmunzelt). Gottlob ist das in der Schweiz nicht so, wir haben ja viele junge Leute, die einsteigen, das ist fantastisch. Auch ist es schön, mal ohne Agenda leben zu dürfen.

Ihr Gemeinderatssitz wurde von der FDP dank der Listenverbindung mit der BDP besetzt. Wie persönlich nehmen Sie den Entscheid?

Ryser: Bei mir ist es gleich wie bei Samuel, ich bin vorbereitet. Mit der Möglichkeit einer Abwahl habe ich mich schon vorher beschäftigt und habe die Chancen abgeschätzt. Da musste man einfach sagen, als kleine Partei würde ich alles daran setzen, einen Sitz zu gewinnen. Und deshalb mussten wir von der SVP damit rechnen, wenn die anderen Parteien gute, valable Kandidaten aufstellen, wir im Minimum einen Sitz abgeben müssen. Innerhalb der Partei dann, ist der Gemeindepräsident unumstritten, meine beiden Gemeinderatskollegen sind gebürtige Aarberger, sind hier zur Schule und haben hier ihre Geschäfte. Das sind Mosaiksteinchen, die zusammengefügt ein klares Bild ergeben. Dazu bin ich ja ein “Ausserirdischer”, habe 20 Jahre in Murten gelebt. Mit meinem Ressort konnte man sich auch keine Medaille verdienen. Nichtdestotrotz: Ich habe es sehr gerne gemacht.

Sie waren also nicht überrascht. 

Ryser: Ich war nicht überrascht, muss aber fairerweise sagen, dass ich ein, zwei Tage auch recht enttäuscht war. Wenn man sich zu einem Challenge meldet, will man auch gewinnen. Ich hatte noch so viele Projekte im Kopf gehabt, die ich gerne aufgleist oder daran weitergearbeitet hätte. Nach zwei Tagen sah ich aber auch das Gute und musste dann fast meine Kollegen aufmuntern, weiterzumachen.

Ein SVPler, der das Ressort Soziales übernimmt – wie hat er sich geschlagen, Herr Gauler?

Gauler: Ich habe Peter Ryser sechseinhalb Jahre als “Sozialminister” erlebt. In seinem Ressort war er sattelfest. Ich mag mich an kein Geschäft von euch erinnern, dass wir im Gemeinderat abgelehnt hätten. Das heisst: Er hat die Arbeit gut gemacht. Auch wenn er ein SVPler ist – das ist ja manchmal noch schwierig, ein SVPler und das Soziale – der Peter Ryser ist eine eigenständige Persönlichkeit und bei den Sachgeschäften hat er sicher nicht den SVP-Hut angehabt.

Eines dieser Geschäfte war ein Arbeitsintegrationsprojekt für Sozialhilfeempfänger.

Peter Ryser: Ja, da haben wir eine sehr gute Bilanz. Ich wollte etwas bewegen. Von meinen Kollegen hiess es zwar, “du hast von Katrin Steiner das Ressort übernehmen und zwei Jahre umsetzen müssen, jetzt sollst du ein anderes Ressort übernehmen können”. Doch ich wollte ihnen beweisen, dass man auch wenn im Sozialbereich das Meiste vom Kanton gegeben ist, etwas bewegen kann. Nach der abgelaufenen Legislatur durfte ich mit dem damaligen Präsident, dem Stalder Noldi, eine neue Abteilungsleiterin wählen. Das ist eines meiner Prinzipien: Der Kapitän springt nicht aus dem fahrenden Schiff, wenn er den Steuermann auswählen durfte.

Wie kam das Projekt in Fahrt?

Peter Ryser: Am Anfang alleine mit der Abteilungsleiterin initiiert,  kamen dann die Sozialkommission und Fachleute dazu und das Gewerbe aus Region und Aarberg. Es ist eine Erfolgsgeschichte! Gerade letzthin kam heraus, dass damit 30 Leute von der Sozialhilfe wegkamen, die ihr Leben nun wieder selber finanzieren, selber gestalten.

Das müssen Sie jetzt erklären, wie Sie das geschafft haben. Auf nationaler Ebene sind ja auch Bestrebungen im Gange, die Sozialhilfequote zu verkleinern. Bis jetzt mit mässigem Erfolg. Warum ist das bei Ihnen anders? 

Peter Ryser: Zuerst muss gesagt werden: Bund und Kanton wurden erst durch die guten Zahlen auf unser Projekt aufmerksam. Zu Ihrer Frage: Ich habe meine Beziehungen spielen lassen, die man als Politiker haben kann. Weil mich die Wähler kennen, bin ich als erstes persönlich bei den Direktoren der Grossfirmen sprich: Ricoter, Zuckerfabrik, Galswiss, vorbei und fragte Sie, ob ich mein Arbeitsintegrationsprojekt vorstellen dürfe.  Später habe ich die Abteilungsleiterin einbezogen. Es war eine intensive Sysyphus-Arbeit. Wir haben Leute wie den Gewerbepräsidenten von der Region einbezogen, das Gewerbe, waren an der Gewerbeausstellung mit einem Stand – das gab es auch noch nie.

Das System Aarberg könnte schweizweit Anwendung finden?

Peter Ryser: Ja, wir dürfen es mittlerweile auch in verschiedenen Teilregionen vorstellen, man hat es beim Kanton als eines der zehn innovativsten Projekte vorstellen und nun hat es ja auch das Bundesamt für Statistik gemerkt. Ich finde es wichtig, dass Politiker ihr Beziehungsnetz wieder für die Sache einsetzen.

Herr Gauler, neben der Aarfit-Halle hatten Sie in der letzten Legislatur vor allem die Altstadt-Überbauungsordnung als grosses Geschäft.

Samuel Gauler: Das waren die letzten vier Jahre, ja. Zuvor hatte ich ja die Ortspolizei. Probleme hatten wir damals vor allem mit Littering und Lärm im Stedtli, vor allem am Falkenecken. Dann wechselte ich ins Bauressort. Lustig ist, dass ich bereits 1978 in der Baukommission war und wir damals die erste Überbauungsordnung Altstadt machten. Jetzt, über 30 Jahre später, überarbeitete ich also die Vorlage, die wir damals erarbeitet haben. Schön, dass wir alle Bedürfnisse, auch gerade jene der Hausbesitzer und Denkmalpfleger, unter einen Hut bringen konnten.

Auch der Denkmalpflege?

Samuel Gauler: Ja, das war sensationell. Ich habe noch nie erlebt, dass die kantonale Denkmalpflege so lösungsorientiert und konstruktiv zusammengearbeitet hat.

Praktisch war natürlich auch, dass ich als Pensionierter zeitlich sehr flexibel war.

Peter Ryser: Es war ein Gewinn für Aarberg, dass Samuel quasi vollamtlich Gemeinderat war und soviel Zeit investieren konnte. Dadurch wurde die Aarfit-Halle finanziell und als Ganzes eine Erfolgsgeschichte.

Sie geben Samuel Gauler also auch gute Noten.

Peter Ryser: Ich muss vorausschicken, dass wir im Gemeinderat alle Geschäfte sehr kritisch beleuchtet haben. Er war ebenso dossiersicher und seine Geschäfte kamen ebenso ganz oder mit kleinen Abschlägen so durch, wie er sie präsentiert hatte. Das auch, weil er extrem viel Zeit investiert hatte. Da muss ich ihm ein Kränzchen winden.

Welche Projekte stecken bei Ihnen noch in der Pipeline, Herr Ryser?

Peter Ryser: Wir haben eine Strategie für ein Gesundheits- oder Ärztezentrum entwickelt. Die ist jetzt aktueller geworden mit dem Migros-Bauprojekt auf dem Postareal.

Und welches sind Aarberg dringlichste Herausforderungen?

Peter Ryser: Das Schulhaus ist dringend nötig, ebenso haben wir wachsenden Bedarf für Mittagstische, Tagesschulen und Kindergärten. Dies sind Dienstleistungen, die heute ein innovativer Ort bieten muss.

Einverstanden Herr Gauler?

Samuel Gauler: Die Schulraumerweiterung ist ein Teil. Der andere: Wir haben kein Bauland mehr. Man muss einzonen und ich bin dafür, dass nun sechs- oder mehrstöckig gebaut wird. Und zwar nicht nur Wohn-, sondern auch Gewerberaum geschaffen wird. Und: Weg von der Ausnützungsziffer. An anderen Orten der Welt werden fünf, sechshundert Meter hohe Gebäude gebaut. In Aarberg denken wir, es gehen nur drei Stöcke. Das ist völlig daneben!

Sie wollen ja in Aarberg  nicht fünf- oder sechshundert Meter hohe Gebäude bauen?

Samuel Gauler: Nein, aber 40 bis 50 Meter dürften es gut sein.

So wie in Lyss...

Samuel Gauler: ...das wird mal kommen.

Die Frage stellt sich doch bei Lyss wie bei Aarberg, wie sich das Ortsbild entwickeln soll.

Peter Ryser: Ich verstehe Samuel als Bauminister. In Aarberg haben wir uns ja die Expansion nach innen auf die Fahne geschrieben. Ich bin einverstanden: Die Ausnützungsziffer sollte wegfallen. Wie bei der Altstadt-Überbauungsordnung muss es darum gehen, den bestehenden Raum möglichst gut auszunutzen. Ob es dazu gleich 40, 50 Meter hohe Bauten braucht, das sehe ich etwas anders. Im Gegensatz zu Aarberg hat Lyss keinen klaren Ortskern und deshalb würde ein Hochhaus dort auch nicht stören.

Samuel Gauler: Und manchmal muss man auch mit solchen Extremforderungen kommen, damit die Leute merken. So fünf bis sechs Stöcke wären eigentlich ganz vertretbar. Und damit hätten wir auch schon viel erreicht nämlich hundert Prozent mehr Wohnraum.

Es erstaunt, dass von beiden Seiten der Verkehr nicht als Herausforderung erwähnt wird, obwohl dieser mit dem neuen A5-Ostast eher zunehmen dürfte.

Peter Ryser: Da ist auch der Kanton gefordert. Es braucht eine gesamtheitliche Lösung.

Samuel Gauler: Jetzt jammern wir schon wieder zum Voraus über die Lastwagen, die da kommen werden. Lassen wir die Autobahn mal öffnen und irgendwann wird dann der Leidensdruck auch für den Kanton zu gross. Dann braucht es eine regionalpolitische Lösung von Kerzers bis Lyss. Wir hier bräuchten eine Umfahrung durch die alte Aare durchs Grien zwischen Aarberg und Kappelen hintendurch.

Wir müssen einen Abschluss finden, wie haben Sie es mit den Neujahrsvorsätzen?

Samuel Gauler: Einfach mal agendalos sein dürfen und die Welt anschauen. Im Frühling gehen meine Frau und ich nach Portugal, im Herbst in den Osten, Rumänien, Bulgarien oder Slowakei. Gegen Schottland habe ich mich auch lange gewehrt, nun habe ich keine Ausreden mehr. (lacht)

Peter Ryser: Nach 6 Jahren EW-Kommission und 6 Jahren im Gemeinderat nehme ich mir nun ein Sabbatical, das macht man ja heute so (schmunzelt). Privat haben wir vor einem halben Jahr durch eine Krebskrankheit eine Tochter verloren, deshalb möchte ich meiner Frau mehr beistehen. Dann habe ich Bigbandmusik als Hobby, was ich wieder aufnehmen möchte.

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Zwei Abgänge

Mit Samuel Gauler (68, SP) und Peter Ryser (55, SVP) verlassen auf Ende Jahr zwei Milizpolitiker den Aarberger Gemeinderat, die die Gemeindepolitik während Jahren und sogar Jahrzehnten mitgeprägt haben. Samuel Gauler war als letztes Vorsteher des Bauamtes, Peter Ryser leitete das Amt für Soziales. msc

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